Bundeskanzler Olaf Scholz hat auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos für neue Formen der internationalen Zusammenarbeit geworben. Zum Abschluss des Treffens in den Schweizer Alpen warnte der SPD-Politiker am Donnerstag davor, angesichts der verschiedenen globalen Krisen auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet das Heil wieder in Abschottung zu suchen. „Um es ganz klar zu sagen: Die De-Globalisierung ist ein Holzweg.“
Die internationale Zusammenarbeit müsse jedoch mehr Rücksicht nehmen auf globale Ressourcen, solidarischer und klüger gestaltet sein. Dazu bräuchten die großen Industrienationen wie Deutschland auch neue Partner.
Durch die Corona-Pandemie und die Folgen des Ukraine-Kriegs für Energie- und Lebensmittelversorgung wird die Globalisierung gerade von manchen in Frage gestellt. Angesichts gestörter Lieferketten durch Corona-Lockdowns sehen sich Unternehmen immer häufiger vor der Frage, wo sie ihre Güter einkaufen. Experten beobachten zudem eine Tendenz zum Nationalismus. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine macht zugleich deutlich, wie gefährlich und hemmend die Abhängigkeit von internationalen Lieferbeziehungen sein kann.
„Natürlich müssen wir manch strategische Abhängigkeit reduzieren“, betont Scholz bei seinem ersten Auftritt in Davos als Regierungschef. „Auch unsere Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland fällt in diese Kategorie – deshalb wird sie beendet.“ Mehr Widerstandsfähigkeit erreiche die Wirtschaft vor allem, indem sie sich breiter aufstelle. Ansonsten werde der Preis von Zöllen und Handelsschranken von Unternehmen, Arbeitnehmern und Verbrauchern bezahlt, die ohnehin schon unter steigenden Preisen litten. Getrieben von teurerem Öl und Gas hat die Inflation in Europa Rekorde erreicht.
Scholz: Große Industrieländer müssen neue Partner suchen
Scholz ist in Davos bei weitem nicht der einzige Verfechter des Freihandels – das Weltwirtschaftsforum ist seit jeher Treffpunkt für Anhänger einer vernetzten Welt. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ließ keinen Zweifel daran, dass er eine Abkehr von der Globalisierung für falsch hält. Doch die Regeln müssten sich ändern.
Der Bundeskanzler vertrat in Davos die Meinung, dass sich die großen Industrieländer neue Partner suchen müssen. „In dieser multipolaren Welt fordern ganz unterschiedliche Länder und Regionen gemäß ihrem wachsenden ökonomischen und demographischen Gewicht größere politische Mitsprache ein.“ Dies sei „keine Bedrohung“, sondern liefere möglicherweise Antworten auf wichtige Zukunftsfragen. Deutschland hat dieses Jahr den Vorsitz der sieben großen Industriestaaten (G7) inne.
Zum Gipfel Ende nächsten Monats auf Schloss Elmau in Bayern hat Scholz auch Südafrika, den Senegal, Indien, Indonesien und Argentinien eingeladen. „Sie vertreten Länder und Regionen, deren Mitarbeit die Welt braucht, um bei globalen Herausforderungen in Zukunft voranzukommen.“ Eine Partnerschaft mit solchen Ländern bedeute aber auch, sich bei drohenden Hunger-, Rohstoff- und Inflationskrisen solidarisch zu zeigen. „In einer multipolaren Welt wird eine solche internationale Ordnung nicht ohne internationale Solidarität zu haben sein.“
Diese Solidarität erwartet er auch im Umgang mit Russland. Auch ihn beschäftige die Sorge, „ob jetzt ein Krieg ausbricht, der über den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine hinausgreift“. Dies müsse „jeden Tag ein Ansporn sein, dass wir alles dafür tun, dass dieser furchtbare Krieg so schnell wie möglich endet“. Scholz berichtete in Davos auch vom geplanten 100-Milliarden-Euro-Programm für die Bundeswehr. Erstmals überhaupt liefere Deutschland Waffen in ein solches Kriegsgebiet. Putin werde nur ernsthaft über Frieden verhandeln, wenn er die Verteidigung der Ukraine nicht brechen könne.
Was der Kanzler mit keinem Wort erwähnte: Unter den Nato-Bündnispartnern gibt es informelle Absprachen zum Verzicht auf die Lieferung bestimmter Waffensysteme. Wie der dpa in Brüssel bestätigt wurde, soll dadurch das Risiko einer direkten militärischen Konfrontation zwischen Nato-Staaten und Russland geringer gehalten werden. Scholz sagte lediglich, man tue nichts, was eine direkte Konfrontation zwischen Nuklearmächten bedeute. Russland warf er Imperialismus vor. „Das ist der Versuch, uns zurück zu bomben in eine Zeit, als Krieg ein gängiges Mittel der Politik war.“
Mehr zum Thema: Deutschland und Katar fassen Energiepartnerschaft ins Auge
26 Mai 2022
dpa
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