Bundesinnenminister Horst Seehofer (dpa)
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Die Tageszeitung „taz“ hält die angekündigte Anzeige von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wegen einer Kolumne für einen Angriff auf die Pressefreiheit. Chefredakteurin Barbara Junge erklärte am Montag über Seehofer: „Seine Entscheidung hätte deutlicher nicht sein können. Seine Anzeige gegen unsere Autor.in ist ein beschämender Angriff auf die Pressefreiheit.“ Seehofer sei qua Amt für den Schutz der Verfassung zuständig und damit für die darin garantierte Freiheit der Presse. „Seehofer ist auch für die Polizei zuständig. In diesem Fall stellt der Bundesinnenminister die Belange der Polizei über die Pressefreiheit“, betonte Junge.

Am Montagmittag ließ Seehofer nach heftiger Kritik offen, ob er seine vorherige Ankündigung umsetzen werde. Dies werde im Ministerium „sorgfältig geprüft und dann schläft man darüber“, sagte er lediglich. Auf einer Pressekonferenz in Stuttgart, wo sich Seehofer über die Lage nach den Krawallen vom Wochenende informierte, bekräftigte der Minister aber seine scharfe Kritik an der Kolumne. „Ich bin sehr für Presse- und Meinungsfreiheit, aber es gibt auch Grenzen“, sagte Seehofer. Er verwies darauf, dass auch die Chefredakteurin der „taz“ in Verbindung mit dem Artikel von einer „Herabsetzung von Personen“ gesprochen habe.

Satirische Kolumne über mögliche Abschaffung der Polizei In der wohl satirisch gemeinten Kolumne war es in Verbindung mit Rassismus-Vorwürfen um eine mögliche Abschaffung der Polizei gegangen. Dabei hatte die Autorin Hengameh Yaghoobifarah auch geschrieben, am Ende seien bisherige Polizeibeamte dann am besten auf einer „Mülldeponie“ als Arbeitsplatz aufgehoben. Seehofer hatte in diesem Zusammenhang von einer „Enthemmung der Worte“ gesprochen, auf die „unweigerlich eine Enthemmung der Taten“ folge und dabei auch eine Verbindung zu den Stuttgarter Krawallen hergestellt. Er werde am Montag in seiner Funktion als Bundesinnenminister „Strafanzeige gegen die Kolumnistin“ stellen, sagte der Minister dazu der „Bild“-Zeitung am Sonntag.

„Über das Erheben der Anzeige wurde noch nicht entschieden“

Am Montag legte sich Seehofer dagegen nicht mehr fest, nachdem ihm ein Angriff auf die Pressefreiheit vorgeworfen worden war. „Über das Erheben der Anzeige wurde noch nicht entschieden“, sagte ein Ministeriumssprecher. Er verwies allerdings auch auf die im Grundgesetz festgeschriebenen Grenzen der Meinungs- und Pressefreiheit, etwa wenn das „Recht der persönlichen Ehre“ verletzt wird. In die Debatte schaltete sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein. „Die Bundeskanzlerin ist in dieser Sache mit dem Bundesinnenminister im Gespräch“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Wir stehen aus tiefer Überzeugung zu den Polizistinnen und Polizisten“, hob er aber weiter hervor. Zugleich betonte Seibert auch: „Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut.“ Sie sei jedoch „nicht grenzenlos“, sagte auch er. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner bezeichnete Seehofers Vorhaben am Sonntagabend auf Twitter als „Angriff auf die Pressefreiheit - unabhängig davon, ob man den Meinungsbeitrag gut oder schlecht findet“. Kellner fügte hinzu: „Ein Innenminister, der eine Journalistin anzeigt, klingt nach Orban oder Kaczyński.“ Damit bezog er sich auf die rechtspopulistischen Regierungen in Ungarn und Polen. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke warf dem Bundesinnenminister „Einschüchterungsversuche gegenüber unliebsamen Journalistinnen und Journalisten“ vor.

„taz“-Chefredakteurin Barbara Junge: Kolumne „daneben gegangen“

Kritik an Seehofer gab es auch deswegen, weil sich der Minister am Montag - trotz angesetzter Pressetermine - zu seinem Vorgehen zunächst lediglich gegenüber der „Bild“-Zeitung äußerte. „taz“-Chefredakteurin Barbara Junge hatte am Wochenende ihr Bedauern über die Kolumne ausgedrückt, die „daneben gegangen“ sei.

Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, schrieb auf Twitter: „Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit, unabhängig ob man den Meinungsbeitrag gut oder schlecht findet.“ Mit Blick auf den ungarischen Ministerpräsidenten und den Chef der polnischen Regierungspartei, denen jeweils Illiberalismus vorgeworfen wird, fügte er hinzu: „Ein Innenminister, der eine Journalistin anzeigt, klingt nach Orban oder Kaczyński.“

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz äußerte Verständnis für Kritik an der Kolumne der Zeitung „taz“. Aber Seehofer „überschreitet eine Grenze“, schrieb Notz in dem Kurznachrichtendienst. Seine Fraktionskollegin Renate Künast nannte Seehofers Vorgehen dort „ungeheuerlich“ und fragte: „Das soll eine Botschaft sein!? Gegen Pressefreiheit!? Seehofer am Ende.“

„Will Horst Seehofer den Wahlkampf gegen die Medien eröffnen?“

Der ganze Fall dreht sich um eine Kolumne einer „taz“-Mitarbeiterin, die vor einer Woche erschien. In dem Text ging es darum, wo Polizisten arbeiten könnten, wenn die Polizei abgeschafft würde, der Kapitalismus aber nicht. Darin wurde auch die Option der Mülldeponie aufgegriffen. Aus der Berufsgruppe heraus und von Politikern kam danach viel Kritik. Die Zeitung „Bild“ zitierte Seehofer am Sonntag mit den Worten: „Ich werde morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des unsäglichen Artikels in der „taz“ über die Polizei stellen.“ Seehofer sagte demnach auch: „Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben. Das dürfen wir nicht weiter hinnehmen.“

Der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz befand Seehofers Ankündigung für falsch. „Natürlich führen Hassreden zu Gewalt. Aber es geht nicht um Zensur, sondern um (Selbst)Verantwortung der Redenden und Schreibenden“, twitterte er.

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, sagte: „Meine spontane Reaktion auf die Nachricht von der Strafanzeige gegen die „taz“: „Will Horst Seehofer den Wahlkampf gegen die Medien eröffnen?“ Überall betonte zugleich, die als Satire bezeichnete Kolumne sei grenzwertig gewesen. Die „taz“ habe zugleich bereits ihr Bedauern dazu ausgedrückt. „Damit sollte das Thema auch für Horst Seehofer durch sein“, sagte Überall.

dpa