29. Januar 2022, Rom, Italien: Sergio Mattarella, Präsident von Italien, gibt eine Erklärung ab, nachdem er im Präsidentenpalast Quirinale in Rom die offizielle Mitteilung über seine Wiederwahl erhalten hat. Italiens Parlamentarier und Regionenvertreter haben Mattarella erneut zum Staatsoberhaupt gewählt. (dpa)
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Eigentlich war Sergio Mattarella schon so gut wie weg aus Rom. Nach sieben Jahren im Amt des italienischen Staatspräsidenten sollte es für den 80-Jährigen wieder zurück auf die Ferieninsel Sizilien gehen, seine Heimat. Doch dieser Plan des Juristen geht nicht auf - die italienischen Parlamentsparteien brauchen seine Hilfe. Nach fast sechs Tagen und sieben Wahlgängen schafften sie es nicht, sich auf einen neuen Kandidaten zu einigen. Am Ende votierten sie im achten Durchlauf mit 759 von 1009 Stimmen für Mattarella.
Sonntag, am Tag danach herrschte leichte Katerstimmung: im Fernsehen keine Interviews mehr im Minutentakt, in den sozialen Medien kein Gewitter an Posts von Politikern. „Das Parlament hat nach einer Woche Wahlzirkus eine erbärmliche Figur abgegeben“, findet die Südtiroler Senatorin Julia Unterberger. Sie war bei der Wahl dabei. Italien sei nun erst einmal in Sicherheit. Doch die Wahl hinterließ Wunden in den Parteien. „Die Schwierigkeit in Italien ist, dass jede Partei gespalten ist“, sagt die Politikerin der christdemokratischen Südtiroler Volkspartei. Kein Parteichef habe seine Leute im Griff, außer Giorgia Meloni von den rechtsextremen Fratelli d'Italia (Brüder Italiens).
„Als sie mich in den Quirinale wählten, war ich besorgt, weil ich wusste, wie anspruchsvoll die Aufgabe war“, sagte Mattarella im Mai vergangenen Jahres in einer Schule in Rom. In acht Monaten ende seine Amtszeit als Präsident, erklärt er damals, offensichtlich mit Vorfreude auf den Ruhestand. „Ich bin alt, in ein paar Monaten werde ich mich ausruhen können.“ Mattarella soll für Stabilität sorgen
Doch Mattarella wird weiterhin gebraucht, um die gerade erst errungene politische Stabilität Italiens zu bewahren. Vor allem Parteien aus dem Mitte-Links-Spektrum wünschten sich den im Volk und in der Politik beliebten Mann aus Palermo für weitere sieben Jahre im höchsten Amt der Republik. Es sei der beste Weg, um Italien vor dem „Wahnsinn“ zu bewahren, erklärte Ex-Regierungschef Matteo Renzi. Die politischen Lager von Mitte-Rechts und Mitte-Links haben es mit viel Mühe geschafft, eine Regierung mit Mario Draghi an der Spitze aufzustellen – für gemeinsame Sache bei der Präsidentenwahl reichte es aber nicht. Die Italiener wurden daran erinnert: In entscheidenden Situationen bleibt es in dem Mittelmeerland schwer, etwas Großes zu erreichen.
Mattarella ist eigentlich ein Vollblut-Jurist. Vor seiner politischen Karriere unterrichtete der Katholik bis 1983 parlamentarisches Recht an der Universität Palermo. Für den Wahlbezirk West-Sizilien wurde er 1983 in die Abgeordnetenkammer in Rom gewählt und beendete damit seine akademische Laufbahn. Bis 2008 saß er sieben Legislaturperioden lang in der größeren der beiden Parlamentskammern Italiens.
Der Vater dreier Kinder bekleidete in seiner politischen Karriere in Rom mehrere Ministerposten. 2011 wurde er Richter am Verfassungsgericht. Am 31. Januar 2015 krönte er schließlich seine politische Karriere mit der Wahl zum zwölften Staatspräsidenten Italiens. Ex-Regierungschef Renzi brachte Mattarella damals als Kandidaten ins Spiel.
Jetzt geht es für Mattarella weiter. „Mit dieser Wahl wird die gegenwärtige politische Stabilität verlängert, und es wird nicht zu der von manchen befürchteten Regierungskrise kommen“, sagt Nino Galetti, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom. Die Parteiführer hätten sich auf die Beibehaltung des Status quo geeinigt.
Eine vieldiskutierte Alternative wäre gewesen, Regierungschef Draghi zum Präsidenten zu wählen – doch wer hätte dann Ministerpräsident werden sollen?
Der Präsident hat in Italien Macht und ist ein wichtiger Lenker in politisch instabilen Zeit. Er kann Gesetze und Minister verhindern und die Parlamentskammern auflösen. Im vergangenen Jahr zerfiel die zweite Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte im Streit um die Corona-Wiederaufbauhilfen der EU. Mattarella pochte zunächst auf Sondierungen, um vorgezogenen Wahlen zu verhindern. Als diese scheiterten, holte er Draghi, den früheren Chef der Europäischen Zentralbank, auf die politische Bühne.
Das Chaos ist mit der Status-quo-Wahl von Samstag erstmal abgewendet. Für die Regierungsparteien könnten jedoch unruhige Zeiten bevorstehen. „Es besteht ein spürbares Risiko, dass die Machtkämpfe innerhalb der herrschenden Mehrheit in den kommenden Monaten zunehmen werden, da die fruchtlosen und chaotischen Bemühungen, Mattarella zu ersetzen, tiefe Spuren bei den Parteien und ihren Chefs hinterlassen haben“, meint Politik-Experte Wolfango Piccoli vom Teneo-Institut.
Das ohnehin schon wenig ausgeprägte Vertrauen zwischen den Parteien werde noch geringer, erklärt Tobias Mörschel, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rom. Es dürfte noch schwieriger werden, die Koalition zusammenzuhalten. Bei aller Komplexität der Lage fanden am Ende viele politische Gratulanten einfache Worte: „Grazie Presidente“ (Danke Präsident). Mehr zum Thema: Italien: Siebter Wahlgang ohne Ergebnis – Parteien wollen Mattarella

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