19.04.2021, Belgien, Brüssel: Josep Borrell, Außenbeauftragter der Europäischen Union (EU), oben auf dem Bildschirm, spricht mit den EU-Außenministern per Videoverbindung im Gebäude des Europäischen Rates. Bei den Beratungen der EU-Außenminister über die jüngste Zuspitzung des Ukrainekonflikts sind Forderungen nach neuen Sanktionsdrohungen gegen Russland lautgeworden. (dpa)
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Die Außenminister der EU-Staaten beraten an diesem Montag über die jüngste Zuspitzung des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland. Zu der Videokonferenz soll auch der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba zugeschaltet werden. Sein Land fordert von der EU mehr Unterstützung, etwa durch neue Sanktionen gegen Russland. Bislang ist die EU dem aber nicht nachgekommen, um die Spannungen nicht anzuheizen.
Angesichts eines starken russischen Truppenaufmarsches entlang der Grenze zur Ukraine gibt es derzeit große Sorgen, dass der Konflikt in der Ostukraine erneut eskaliert. Nach Schätzungen der USA hat Russland zuletzt 15.000 bis 25.000 Soldaten auf die annektierte Halbinsel Krim und in Richtung der ukrainischen Grenze bewegt. Der Truppenaufmarsch gilt als der größte seit der Annexion der Krim 2014.
Ende der vergangenen Woche hatten zudem Berichte für Aufregung gesorgt, nach denen Russland im Schwarzen Meer ein Manöver abhalten und dafür bis zum 31. Oktober bestimmte Seegebiete absperren will. Ein ranghoher EU-Beamter sprach am Freitag von einer „äußerst besorgniserregenden Entwicklung“. Seinen Worten zufolge ist davon auszugehen, dass die im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen verankerten Durchfahrtsrechte eingeschränkt und die internationale Schifffahrt behindert würde.
Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), forderte die EU-Außenminister auf, eine „unmissverständliche Botschaft“ an die russische Führung zu senden. Mit Blick auf die umstrittene Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 sagte Weber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Montag): „Sollte die Lage in der Ostukraine eskalieren, wäre Nord Stream 2 nicht mehr zu halten.“ Weber sagte, Präsident Wladimir Putin versuche, eine Bedrohung aufzubauen. „Verbunden mit anderen Aktivitäten wie Cyberattacken, Desinformationskampagnen oder Mordanschlägen ist dies eine reale Bedrohung für die EU und den Westen.“
Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff sagte der „Passauer Neuen Presse“, Putin schaffe Bedingungen für einen Militäreinsatz. Europa müsse nun dem Kreml das Signal geben, dass im Falle eines Angriffs die „bisher sehr bescheidenen Nadelstich-Sanktionen“ drastisch ausgeweitet würden. „Dann müsste auch das Projekt der Gaspipeline Nord Stream 2 sofort abgebrochen werden, das liegt auf der Hand.“
Die Pipeline, die zu 95 Prozent fertig ist, soll 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr von Russland nach Deutschland befördern. Die USA befürchten eine starke Abhängigkeit Europas von russischem Gas und wollen das Projekt mit Sanktionen stoppen. Auch osteuropäische Staaten wie Polen und die baltischen Länder lehnen die Pipeline ab. Auch Myanmar und Nawalny unter den Gesprächsthemen
Weitere Themen bei der Videokonferenz der Außenminister werden die Bemühungen um die Rettung des Atomabkommens mit dem Iran sowie die jüngsten Entwicklungen in den Ländern Georgien, Indien, Myanmar, Mosambik und Äthiopien sein. Zudem wird es nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell auch um den Gesundheitszustand des Kremlgegners Alexej Nawalny gehen, der sich seit mehr als zwei Wochen in einem Hungerstreik befindet.
Der Ukraine-Konflikt dauert seit mittlerweile rund sieben Jahren an. Er hat dazu geführt, dass seit 2014 die ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk entlang der russischen Grenze von moskautreuen Separatisten kontrolliert werden. Russland hatte sich zuvor zudem die zur Ukraine gehörende Schwarzmeerhalbinsel Krim mit ihren mehr als zwei Millionen Einwohnern einverleibt.
Die Frage, warum die Spannungen zuletzt trotz einer vereinbarten Waffenruhe wieder deutlich zugenommen haben, wird unterdessen kontrovers diskutiert. Bei der Nato wird unter anderem die These vertreten, dass Kremlchef Wladimir Putin testen will, wie weit die Unterstützung der neuen US-Regierung für die Ukraine geht. Als Schreckenszenario gilt, dass Russland mit den Aufständischen in der Ostukraine eine Großoffensive planen könnte, um sich den Zugriff auf den Nord-Krim-Wasserkanal bis zum Fluss Dnipro (Dnjepr) zu sichern.
In Moskau wird hingegen die These vertreten, dass Putin nur auf Provokationen aus Kiew reagiere. Die Regierung weist die Vorwürfe zu dem Truppenaufmarsch zurück. Verteidigungsminister Sergej Schoigu bezeichnete die Verlegung Tausender Soldaten in dieser Woche als Übung.

dpa