Yasin Erol, Geschäftsführer von Istanbul Technopark Entertech (Foto: Yasin Erol) (Yasin Erol)
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Globalisierung und Wandel der Wirtschaftsstrukturen haben das Wachstum eines Landes mit seiner Innovationsfähigkeit verknüpft. Die Regierungen zahlreicher Staaten, die nicht zu den führenden Technologienationen zählen, setzen deshalb vermehrt auf die Förderung von regionalen Innovationsfähigkeiten, Forschung und Entwicklung sowie die Gründung von Unternehmen. Ein entscheidendes Instrument für dieses Ziel sind sogenannte Technologieparks.

Im Gespräch mit TRT Deutsch berichtet Yasin Erol, Geschäftsführer von Istanbul
Technopark Entertech, von der Funktionsweise von Technologieparks und den
Vorzügen des Istanbuler Parks. Er teilt außerdem seine Gedanken zur „Nationalen Technologieentwicklung“ der Türkei.

1) Herr Erol, können Sie uns zum Einstieg einige Informationen über die Technologieparks geben? Welchen Beitrag leisten solche Einrichtungen im Hinblick auf Gründer- und Innovations-Ökosysteme?

In den 1980er Jahren begann in der Türkei der Aufbau der ersten Technologieparks. Aus dieser Grundsteinlegung resultierte 1990 der Start der ersten Tekmer (Technologiezentren) im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen der Kosgeb (einer Einrichtung zur Unterstützung und Entwicklung von kleinen und mittelständischen Betrieben) und den Universitäten als Vorläufer der heutigen Technologieparks.

Zurzeit hat der Ministerrat 84 Gebiete zur Technologieentwicklung freigegeben, wovon sich 70 bereits in Betrieb befinden. Die meisten sind Technologieparks, die mit den jeweiligen Universitäten kooperieren. Darüber hinaus gibt es Technologieparks in
Industriegebieten und, insbesondere in zentralanatolischen Städten, Gebiete zur
Technologieentwicklung, die mit öffentlichen Einrichtungen, Industriekammern und Universitäten kooperieren und repräsentativ für die gesamte Provinz fungieren.

Die Rechtsverordnung zu den Technologieparks verschafft den Gründer-Ökosystemen große Erleichterungen. Die Gründer werden im Rahmen dieser Verordnung in die Gebiete zur Technologieentwicklung aufgenommen und erfahren weitere Unterstützungen, beispielsweise Steuererleichterungen. Dies geht sogar so weit, dass technologiebasierte Unternehmen in den Technologieparks unbefristet lange Unterstützung bei Steuererleichterungen und Beratungsdiensten bekommen, um finanziell stärker zu werden und sich auf den internationalen Wettbewerb vorbereiten zu können. So werden zwar vordergründig die einzelnen Unternehmen, aber längerfristig das gesamte Gründer-Ökosystem gefördert.

2) Können Sie von der Entwicklung und der Etablierung des Istanbuler Technologieparks (Entertech) berichten? Welche Industriezweige befinden sich in diesem Technologiepark?

Der Technologiepark in Istanbul wurde 2011 als Teil der Universität Istanbul gegründet und nahm seinen Betrieb im Tekmer-Gebäude im Campus Avcılar auf. Mit der Gründung der Abteilung für Technologietransfer 2014 wurde gewährleistet, dass den Firmen qualifizierte Leistungen angeboten werden konnten. Stand 2021 werden Gründer in fünf Gebäuden für Forschung und Entwicklung beherbergt.

Mit der Öffnung der Abteilung für Technologietransfer wurden diverse Gründerprogramme zu Themen wie Präsentationstechniken, Patente und Rechte des geistigen und gewerblichen Eigentums, Inkubationsaktivitäten oder zu Angeboten der öffentlichen Hand für Finanzierungsfonds intensiviert. Darüber hinaus werden Gründer durch diese Abteilung hinsichtlich Personalentwicklung und Exportförderung beraten.

Hinzu kommt, dass wir 2017 das Förderprogramm „Individuelle Jung-Gründer (BIGG)“ ins Leben gerufen haben, bei dem Start-Ups geschult werden, um Anschubfinanzierungen der TÜBITAK in Anspruch nehmen zu können. Seit der Aufteilung der Universität Istanbul 2019 unterstützt der Technologiepark sowohl die Universität Istanbul als auch die neugegründete Istanbul Universität – Cerrahpasa, um einen effizienten Austausch zwischen Universität und Industrie zu gewährleisten.

Wenn wir die Industriezweige in unserem Technologiepark klassifizieren sollten, können wir sagen, dass ca. 60% der Gründer in der Softwareentwicklung tätig sind. Daneben gibt es Firmen, die in den Bereichen Biotechnologie, Gesundheitswesen, Elektrotechnik, Erneuerbare Energien und Produktivität in der Landwirtschaft arbeiten. Weltweite Erfolge feiern jedoch vor allem Firmen in den Bereichen Fintech, sichere Systeme im Zahlungsverkehr und Unternehmen, die KI-basierte, digitale Präsentationstools entwickeln.

Istanbul Technopark Entertech (Others)

3) Istanbul ist ein attraktiver Standort für Gründer und Forscher. Wie ist das Interesse seitens internationaler Firmen am Istanbuler Technologiepark (Entertech)?

Tatsächlich befindet sich Istanbul aus geographischer und finanzieller Sicht an einem wichtigen Drehkreuz. Mit diesen Merkmalen birgt die Stadt viele Vorteile für Gründer und Forscher in sich. Allein schon der Blick auf die fast 60 Universitäten in Istanbul genügt, um sich vor Augen zu führen, welch ein großes Potenzial an jungen Menschen mit unternehmerischem Geist hier vorhanden ist. Auch aus logistischer Sicht bietet
die Stadt geographische Standortvorteile. Und als Finanzzentrum führt sie Gründer und sogenannte Unternehmensengel zusammen – ein weiterer Vorteil.

Mehr noch als das Interesse internationaler Unternehmen steht für uns im Fokus, dass die Unternehmen innerhalb des Istanbuler Technologieparks internationaler werden und ihre Exportpotenziale gesteigert werden. Denn wir wissen: Je mehr die Unternehmen ihre Exportpotenziale steigern, desto mehr kommen sie in eine Phase, in der sie selbstständig auf eigenen Beinen stehen können. Mit anderen Worten: Wenn ein Unternehmen seine Exporte steigert, fährt es mehr Gewinne ein und festigt gleichzeitig die Basis für seinen langfristigen Erfolg.

So festigen Firmen, die sich über Jahre erfolgreich etablieren können, ihre Basis für eine starke Markenpräsenz und einen technologischen Mehrwert. Denn erst wenn ein Unternehmen Markenpräsenz entwickelt und seinen technologischen Mehrwert generiert, hat es die Kraft, im internationalen Wettbewerb zu bestehen.

Darüber hinaus gibt es durchaus eine Reihe internationaler Firmen, die Interesse an Unternehmen innerhalb des Technologieparks angemeldet haben. Es wäre unangebracht, an dieser Stelle Namen zu nennen, aber es gibt Firmen aus Ländern wie Deutschland, Indien, Griechenland, Großbritannien, Saudi-Arabien und den Vereinten Arabischen Emiraten, die sich sowohl bei Produktlieferungen als auch bei Anfragen für Investitionspartnerschaften an uns wenden. Selbstverständlich entscheiden unsere Firmen dann selbst, was für ihre Entwicklung am vernünftigsten ist, und verfolgen ihren Weg mit Selbstbewusstsein und Entschlossenheit weiter.

4) Die Türkei hat vor allem in letzter Zeit unter dem Titel „Nationale Technologiebewegung“ ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit intensiviert und feierte insbesondere in der Verteidigungsindustrie große Erfolge. In welche Bereiche sollte die Türkei neben der Verteidigungsindustrie noch investieren? Wie kann die Türkei das innovative Gründertum noch stärker fördern?

Die „Nationale Technologiebewegung“ ist ein Schritt, der in unserem Land etwas verspätet kommt. Diese Strategien hätten eigentlich gleich nach dem Zweiten Weltkrieg landesweit diskutiert werden sollen. Südkorea ist bei diesem Thema ein anschauliches Beispiel. Mit den Schritten, die dieses Land in den letzten 25 bis 30 Jahren gemacht hat, steht es heute an herausragender Stelle. Natürlich gibt es dabei Bereiche, die sensibel sind und bei denen wir achtgeben sein müssen. Zuvorderst sind dies strategische Themen, die möglichst geräuschlos behandelt werden müssen. Zudem müssen wir uns bewusst machen, dass uns die technologische Integration auf der Welt heute voneinander abhängig macht.

Dennoch muss man sich bei den avisierten Bereichen vom Wettbewerb absetzen und nach Möglichkeit unverzichtbar sein. Ohne die Schaffung adäquater Rahmenbedingungen werden die hier entfalteten Aktivitäten unserer Integrität und unserem Bemühen um Exportmärkte eher Schaden zufügen, als dass sie etwas Positives bewirken.

Wenn wir uns noch einmal das Beispiel Südkorea anschauen, wird deutlich, dass man dort einen international anerkannten Qualitätsstandard und wichtige Marken im Stile einer leisen Revolution etabliert hat, obwohl man Nachbarn wie China und Japan und sogar das konfliktbehaftete Nordkorea hat. Wenn wir uns den Zeitraum anschauen, in dem Südkorea diese Entwicklung geschafft hat, sehen wir außerdem, dass die Telekommunikation und der Zugang zu Informationen nicht so weit fortgeschritten waren wie heute. Trotz all dieser Umstände schaffte es Südkorea, diese Phase zu seinem Vorteil zu nutzen, etablierte in vielen Bereichen geräuschlos, aber sicher namhafte Marken und konnte insbesondere das eigene Volk davon überzeugen, die neuen Technologien in seinen Alltag zu integrieren.

In einer vollständig integrierten Welt, in der so viele Kommunikationskanäle aufgekommen sind, bedarf es heute jedoch einer tiefgreifenden Strategie, um geräuschlos und zielstrebig voranzuschreiten.

In puncto „Nationale Technologieentwicklung“ entwickeln wir uns als Land tagtäglich weiter. Die ersten Früchte dieser Bemühungen ernten wir in der Verteidigungsindustrie, im Gesundheitswesen, bei Finanztechnologien und nationalen Zahlungsystemen. Die Verantwortlichen der Technologieparks, der Forschungs- und Entwicklungszentren und der öffentlichen Partner kommen mit den Universitäten zusammen und planen gemeinsame Projekte, betreiben gemeinsam Forschung. Wie gesagt, manche Früchte der Forschungsergebnisse ernten wir bereits jetzt, aber viel wichtiger noch ist, dass bereits jetzt die Grundsteine für die kommenden 50 bis 100 Jahre gelegt werden.

Verstärkt müssen wir im gesamten Land an „Masterplänen“ arbeiten, damit die Bereiche Technologie, Forschung und Entwicklung, Innovation nicht tagespolitischen Partikularinteressen zum Opfer fallen. Diese Themen dürfen nicht von den Stimmungsschwankungen und Launen der jeweiligen Regierungen oder der Bürokratie beeinträchtigt werden. Andernfalls drängt jede neue Regierung ihren eigenen Plan auf, was wiederum zu einem großen Zeit- und Geldverlust führt.

Daneben müssen wir im Kopf behalten, dass Energie- und Nahrungsressourcen auf der ganzen Welt immer knapper werden. Aus diesem Grund müssen wir entschlossenere Investitionen tätigen und den Einsatz nachhaltiger Technologien in Bereichen wie der Solar-und Windenergie fördern, die alternative und saubere Energiequellen sind. Außerdem werden Fragestellungen der alternativen Nahrungsquellen in der Welt von morgen von großer Bedeutung sein. Selbstverständlich müssen wir aber auch in die Erhöhung der Erträge unserer Agrarflächen und in die Entwicklung von Saatgut investieren.

Dringlich sind auch Investitionen in die Halbleitertechnologie und in die Sensorik. Satelliten- und Bildgebungssysteme sowie Cybersicherheit gehören ebenfalls zu den Themen, die wir ernsthaft angehen müssen.

5) Die Covid-19 Pandemie hält seit nunmehr einem Jahr die ganze Welt in Atem. In dieser Zeit haben Sie den Firmen in der Forschungs- und Entwicklungsbranche die Möglichkeit gegeben, im Homeoffice zu arbeiten. Wie hat sich dieser Umstand auf den Technologiepark Istanbul ausgewirkt?

Ja, die ganze Welt macht eine ganz neue Erfahrung. In dieser Phase ist die Gesundheit natürlich unsere oberste Priorität. Andererseits haben die wirtschaftlichen Entwicklungen die ganze Welt hart getroffen. Staaten, die vor der Pandemie noch ignorierten, dass die ganze Welt miteinander vernetzt ist, und die feindselige Positionen einnahmen, haben nun erkannt, dass die Welt kein Ort mit geschlossenen Gesellschaften sein kann. Zudem mussten sie einsehen, dass die Kosten einer gezielten Schädigung konkurrierender Volkswirtschaften zum Zweck der Aufrechterhaltung des Wohlstands im eigenen Lande letztlich von allen Beteiligten getragen werden. Ich hoffe sehr, dass diese Widrigkeiten uns die Gelegenheit geben, vergessene Werte wie Gerechtigkeit, Gleichheit und Armutsbekämpfung wieder in Erinnerung zu rufen.

In der aktuellen Situation haben auch wir das Arbeiten im Homeoffice ermöglicht. So kann das Personal, das sich normalerweise vor Ort um die Forschungs- und Entwicklungsarbeit kümmert, von zuhause aus tätig werden. Wie sich diese Situation auf die Moral der Mitarbeiter auswirkt, ist allgemein schwer zu sagen.

Wir sehen jedoch, dass Firmen, die sich in den Bereichen Markenpräsenz und technologischer Mehrwert bereits etabliert haben, ihre Projektmitarbeiter ohne große Mühe auch aus der Ferne organisieren können. Logischerweise machen Unternehmen, die keine gefestigte Firmenstruktur aufweisen können, momentan eine schwierige Zeit durch. Ich darf an dieser Stelle erwähnen, dass der Großteil der Unternehmen in den Technologieparks Softwareunternehmen sind und dieser Umstand die Möglichkeit von Homeoffice begünstigt.

Für Firmen, die physische Produkte herstellen und in den Bereichen wie Gesundheit, Arzneimittel oder Energiesektor arbeiten, ist die Umstellung nicht so einfach, denn solche Firmen müssen zwangsläufig ihre Teams versammelt unter einem Dach zusammenbringen. Doch insgesamt lässt sich sagen, dass sich die Firmen recht schnell den neuen Gegebenheiten angepasst haben.

Yasin Erol während eines Meetings im Istanbul Technopark Entertech (Yasin Erol)

6) Eine zündende Idee ist manchmal schon die halbe Miete, aber die meisten jungen Forscher und Gründer sind nicht in der Lage, ihre Ideen umzusetzen. Worauf kommt es Ihrer Meinung nach an, damit eine Gründung erfolgreich wird?

Der Begriff des erfolgreichen Gründers ist leider sehr relativ. Grundsätzlich sprechen wir von einem erfolgreichen Gründer, wenn die folgenden drei Kriterien erfüllt sind: 1.Beschäftigung, 2. Ersetzen von Importen und 3. Export. Wir können einen Unternehmer nicht als erfolgreich bezeichnen, wenn er sich diese drei Kriteriennicht auf seine Fahne geschrieben hat. Wir sollten die Statistik im Kopf behalten, die besagt, dass sich 95% aller Gründungen auf der Welt in der Phase, die wir als „Death Valley“ bezeichnen, sehr schwertun oder diese leider nicht überstehen. Einige wenige der Unternehmen, die diese Phase überstehen, werden zu Unicorns – die meisten wachsen aber nicht oder geben ganz auf. Angesichts dieser Tatsache empfehle ich jungen Gründern, bevor sie beginnen ihre Träume zu verwirklichen, durch Nutzung nationaler und internationaler Quellen auszutesten, wie originell ihre Träume und Ideen tatsächlich sind.

Diese Bereitschaft zur Rivalität ist das grundlegendste Element des Gründertums. Außerdem können Forschung und Entwicklung mit einmaligen Produkt- oder Prozessentwicklungen nicht wirklich als erfolgreich bezeichnet werden. Produkt- und Firmenentwicklungsprozesse müssen kontinuierlich fortentwickelt werden.

Gründer im Bereich von Forschung und Entwicklung sollten wissen, dass zumindest die Erträge der ersten zehn Jahre in die eigene Forschungs- und Entwicklungsarbeit gesteckt werden müssen, um eine starke Firmenstruktur aufzubauen, die krisenfest ist.

7) Haben Sie internationale Inkubatoren und Beschleunigungsprogramme?

Als Technologiepark Istanbul war es von Anfang an unser Ziel zu gewährleisten, dass das Internationalisierungspotenzial unserer Gründer gesteigert wird. Denn wir wissen: Wenn ein Unternehmen seine Zielmärkte nicht ausweiten kann, gerät es viel rascher in Schwierigkeiten. Aus diesem Grund sind wir bemüht, dass unsere Gründer in den Genuss der Vorzüge sowohl unserer eigenen als auch internationaler Inkubatoren und Beschleunigungsprogramme kommen. Dies trägt einerseits zur Erschließung neuer Märkte bei, und andererseits können sie durch Investoren ihr Unternehmen stärken.

In diesem Zusammenhang haben wir das International Incubation Institute (ICUBE) ins Leben gerufen und sind zu einem Zentrum gereift, das im Bereich der Internationalisierung hohe Standards setzt. Wir wachsen weiter, indem wir neuerdings Großbritannien zu unseren Standorten aufgenommen haben; dort bieten wir Networking-Möglichkeiten an wie zuvor schon in verschiedenen Bundesstaaten der USA. Wir möchten mit ICUBE unsere Aktivitäten hinsichtlich eigener Inkubatoren in andere Regionen der Welt ausweiten.

TRT Deutsch