WDR in Köln (dpa)
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Dass ein ausgestrahltes Kinderlied die Bundesrepublik derart zweiteilen würde, hätten sich wahrscheinlich viele nicht gedacht. Das Timing und der Inhalt des Liedes machten es aber möglich. Oder waren es doch weitreichendere Faktoren? Man weiß es nicht. Fest steht: Man traf einen innerdeutschen Nerv. Von Klimadebatte über Generationenkonflikt bis hin zu Rede- und Meinungsfreiheit – fast kein wichtiges Thema bleibt unberührt.

Das Lied des WDR-Kinderchors löste im Netz einen enormen Shitstorm aus. Während einige entrüstet reagierten, gab es auch Rückendeckung. Es folgten bis Sonntagvormittag 40 000 Facebook-Kommentare. Im Mittelpunkt der Diskussion stand zunächst das Lied, dann die Stellungnahme vom WDR.

In dem Satirelied wird eine fiktive Oma, die Motorrad fährt und ohne Gewissen Discounterfleisch konsumiert, als „Umweltsau“ besungen. Die Aktion sollte, wie der Sender auf Facebook erklärte, eine Satire zu der „zuweilen hysterischen Klimadiskussion“ sein.

Der Sender hatte dasVideo nach der Empörungswelle schon am Freitagabend von der WDR2-Facebookseite gelöscht und sich „für die missglückte Aktion“ entschuldigt.

Auf der Facebook-Seite des Senders heisst es:

„Liebe Userinnen und User, die von WDR 2 veröffentlichte Satire 'Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad' hat im Netz sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Wir bedauern, dass die Satire die Gefühle eines Teils unseres Publikums verletzt hat. Dies war nicht unsere Absicht. Es ging vielmehr darum, den Generationenkonflikt, der sich durch die Fridays-for-Future-Bewegung darstellt, mit den Mitteln der Satire aufzugreifen.“

WDR-Intendant Tom Buhrow hatte sich am Samstagabend für das Lied entschuldigt. „Das Video mit dem verunglückten Oma-Lied war ein Fehler“, sagte er in einer eigens anberaumten Sondersendung bei WDR2. „Ich entschuldige mich ohne Wenn und Aber dafür.“

In einer Radio-Sondersendung stellte sich zudem WDR2-Programmchef Jochen Rausch den Rückmeldungen von Zuhörern und entschuldigte sich ebenfalls.

Hörer und Internetnutzer hatten den Verantwortlichen mangelnden Respekt vor Älteren und eine ideologische Instrumentalisierung von Kindern vorgeworfen.

Der künstlerische Gesamtleiter des WDR-Kinderchors, Zeljo Davutovic, wies den Vorwurf jedoch zurück. „Ich möchte mich als beteiligter Musiker bei allen entschuldigen, die sich trotz der Einordnung als Satire von uns persönlich angegriffen fühlen“, hieß es am Sonntag in einer Stellungnahme auf der Internetseite des Chores.

Es gehe nicht um die Oma, „sondern um uns alle. Hier schließe ich mich persönlich ein“, schrieb Davutovic. „Wir haben in den vergangenen Jahren immer allergrößten Respekt vor Seniorinnen und Senioren gezeigt. Diesen werden wir uns auch in Zukunft nicht nehmen lassen“, heißt es in der Erklärung.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) äußerte sich über Twitter mit harscher Kritik. Der WDR habe mit dem Lied Grenzen des Stils und des Respekts gegenüber Älteren überschritten, schrieb er. „Jung gegen Alt zu instrumentalisieren ist nicht akzeptabel.“

Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) äußerte sich gegenüber dem „Westfalen-Blatt“ ähnlich: „Der WDR animiert seinen Kinderchor nicht nur zu politischen Botschaften, sondern auch dazu, die eigenen Großeltern als Säue zu bezeichnen? Also jene Menschen, die den Lebensstandard der singenden Kinder erst ermöglicht haben? Mich haben viele Bürger in den vergangenen Tagen angeschrieben. Alle mit dem gleichen Tenor: Sie sind wütend. Ehrlich gesagt: Ich kann sie verstehen“, sagte Linnemann weiter.

Ähnliche Kritik kam auch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Sie begrüßte es, dass der WDR das Video inzwischen von seiner Facebook- und Internetseite gelöscht hat. „Jedoch ist das Thema nicht aus der Welt“, sagte Vorstand Eugen Brysch am Samstag der Katholischen Nachrichten-Agentur.

Doch nicht alle begrüßten die Löschung des Videos: Die frühere Piraten- und heutige Grünen-Politikerin Marina Weisband erklärte: „Ich habe heute gelernt: Wenn man in der Weihnachtsbäckerei die Hände nicht gewaschen hat, darf man 'du Schwein' genannt werden.“ Wenn eine fiktive Oma dabei helfe, „unseren Planeten unbewohnbar zu machen und dafür Sau genannt wird, müssen Intendanten entlassen werden“.

Die Co-Parteivorsitzende der SPD, Saskia Esken, drückte ihre Beunruhigung aus:

Der Sprecher des Deutschen Kinderhilfswerks, Uwe Kamp, nahm ebenfalls auf die Reaktion des Senders Bezug. Gegenüber Watson sagte er: „Für die Kinder ist das eine ziemlich blöde Situation. Mit der Löschung des Videos wird den Kindern praktisch gesagt, ihr habt etwas falsch gemacht. Das ist eine völlig überzogene Reaktion ausgelöst durch einen Shitstorm im Netz.“

Sven Strasen, ein Literaturwissenschaftler an der RWTH Aachen, stufte „den Grad an Textauslegung- Inkompetenz“, der hier zu Tage trete, als „bodenlos“ ein. Er wirft dem NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet von der CDU vor, „etwas billigen Applaus von den Wutbürgern abzugreifen.“ Dabei handle es sich um ein harmloses Spottlied.

Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, hat sich hinter den Sender gestellt. Er sagte der Passauer Neuen Presse: „Es gibt mal gute und mal schlechte Witze und Satire. Ich würde einfach davor warnen, solche Aktionen überzuinterpretieren. Das ist blöd gelaufen.“ Derzeit werde versucht, die Kinder und Jugendlichen von „Fridays for Future“ zu diskreditieren. Dieser Versuch werde aber scheitern. „Die Kids haben mit ihrer Forderung nach einem Ende des Laberns und sofort wirksamen Maßnahmen einfach Recht“, so Resch.

Auch der ZDF-Moderator Jan Böhmermann meldete sich zu Wort und positionierte sich zur Löschung des Kinderliedes: „Ich sitze hier gerade im Krankenhaus am Sterbebett der Selbstachtung und Integrität einer 69-jährigen Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands und soll dem WDR ausrichten, dass er - Zitat – 'wohl den Arsch offen' hat“, twitterte Böhmermann.

Die heiße Diskussion um das Kinderlied fand nicht nur digital statt, sondern übertrug sich auch auf die Straße. Dutzende Menschen protestierten vor dem Gebäude des Senders in Köln. Einige Demonstranten hätten augenscheinlich zur rechten Szene gehört, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag. Ein Privatmann habe die Aktion unter dem Motto „Unsere Oma ist keine Umweltsau“ angemeldet. Außerdem kam es zu einer spontanen Gegendemonstration aus der linken Szene, wie der Sprecher weiter sagte. Nach bisherigem Stand habe es verbale Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern gegeben, aber es sei zu keinerlei Straftaten gekommen. Zur genauen Zahl der Teilnehmer machte die Polizei zunächst keine Angaben.

Mit der Debatte um das Satirelied erhitzte sich auch der Diskurs um die Frage, inwiefern ein öffentlich-rechtlicher Sender im Zuständigkeitsbereich der Parteien liegt und wie groß der gesellschaftspolitische Freiraum bei solch einem Sender in puncto Satire sein darf.

Dabei ist sich die Bundesrepublik dem Anschein nach vor allem uneins darüber, ob die Kritiker ohne rechts zu sein bei solch einem Lied zu Recht empört sein können.

Danny Hollek’s Tweet „Eure Oma war keine Umweltsau. Stimmt. Sondern eine Nazisau.“ überspitzte den Streit und heimste eigens Kritik ein. Hollek, der Mitarbeiter beim WDR ist, löschte seinen Tweet nicht, entschuldigte sich aber bei „berechtigten Kritikern“.

Die Frage nach der Grenze von Satire bleibt aber weiterhin unbeantwortet. Jan Böhmermann, der mit seinem kontroversen Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten die deutsch-türkische Diplomatie lange Zeit beschäftigt hatte, nahm bei Twitter darauf Bezug und zeigte sich „verwirrt“.

TRT Deutsch und Agenturen