Archivbild. Ein Kind erhält auf einer onkologischen Tagesklinik in München während seiner sechsstündigen Chemotherapie eine Infusion mit dem Wirkstoff Idarubicin Hexal. (dpa)
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Im und nach dem ersten Lockdown 2020 hat es nach Daten eines großen deutschen Klinikbetreibers weniger Krebsbehandlungen gegeben als in der gleichen Zeit 2019. Der Rückgang der stationären Aufnahmen für Diagnostik und/oder Therapien betrage im Schnitt 10 bis 20 Prozent, heißt es in einer Studie von Autoren um den Mediziner Peter Reichardt vom Helios-Klinikum Berlin-Buch. Besonders betroffen seien Patienten über 75, bei denen im Schnitt ein Fünftel weniger Behandlungen durchgeführt worden seien.

Für die Studie wurden rund 69.000 Fälle von 75 Helios-Kliniken in 13 Bundesländern analysiert. Die Autoren halten die Ergebnisse für repräsentativ für Deutschland. Betrachtet wurden Krankenhausaufnahmen zwischen Mitte März und Ende April sowie der Zeit unmittelbar danach bis Mitte Juni 2020 – im Vergleich zu den entsprechenden Zeiträumen 2019. Helios ist nach eigenen Angaben Europas größter privater Klinikbetreiber.

Besonders bedenklich sei, dass es 2020 nicht deutlich weniger Krebserkrankungen gab, „sondern die Erkrankungen wahrscheinlich erst später festgestellt wurden“, erklärte Studienautor Reichardt. Gerade bei Krebs sei ein früher Therapiestart aber wichtig für die Überlebenschancen. Weitere Untersuchungen sind nach Einschätzung der Helios-Kliniken nötig, um die Gründe für den Rückgang zu klären. Vermutet wurde ein Einfluss von Ängsten von Patienten vor einer Ansteckung im Krankenhaus, aber womöglich auch von geschlossenen oder eingeschränkt geöffneten Arztpraxen im Lockdown.

„Immer mehr onkologische Eingriffe werden verschoben“

Im vergangenen Frühjahr hatten Krankenhäuser sogenannte Freihaltepauschalen bekommen, damit genug Betten für Covid-19-Patienten zur Verfügung stehen. Diese Regelung gibt es nun nicht mehr. Die Fachgesellschaft hatte bereits im Mai vergangenen Jahres betont, dass Vorsichts- und Schutzmaßnahmen getroffen worden seien, damit Patienten etwa Therapien sicher wahrnehmen können – und dass für die allermeisten Patienten der Krebs „eine weitaus größere Gefahr für ihr Leben“ darstelle als Covid-19. Hintergrund war zum Beispiel die Beobachtung, dass Patienten erst in sehr fortgeschrittenen Tumorstadien in die Klinik kamen.

Experten warnten auch noch Ende 2020 vor der Vernachlässigung von Krebskranken. „Immer mehr onkologische Eingriffe werden verschoben, diagnostische Untersuchungen und Nachsorge teilweise stark zurückgefahren“, kritisierte die Corona Task Force von Deutscher Krebshilfe (DKH), Deutschem Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Deutscher Krebsgesellschaft (DKG). Die Gruppe beobachtet die Versorgungssituation von Krebspatienten.

In anderen Ländern, deren Gesundheitssysteme derzeit sehr stark unter Druck stehen, wird die Sorge geteilt. Der britische Thronfolger Prinz Charles etwa warnte kürzlich, wegen der Corona-Pandemie im Kampf gegen die Folgen von Krebserkrankungen nachzulassen. Wegen der hohen Auslastung des Gesundheitswesens blieben schätzungsweise 50.000 Krebserkrankungen nun unerkannt, zitierte der 72 Jahre alte Royal den Verein Macmillan Cancer Support in einem Gastbeitrag im „Telegraph“.

dpa