Symbolbild: Das NSU-Trio ermordete im gesamten Bundesgebiet wahllos zehn Menschen. (dpa)
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Zehn Jahre nach Enttarnung der rechtsextremen Terrorgruppe NSU hat der Jenaer Soziologe Matthias Quent ein Zentrum für die Archivierung und Erforschung der NSU-Akten vorgeschlagen.

„Quellen und Dokumente aus parlamentarischen, journalistischen,
aktivistischen, juristischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem NSU-Komplex sollten am besten zentral für die Forschung erschlossen und archiviert werden“, sagte der Direktor des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft dem Evangelischen Pressedienst (epd).

„Große Lücken im Verständnis über das Vorgehen“

Das Jenaer Institut war nach einem Beschluss der ersten rot-rot-grünen Regierung Thüringens 2016 in Trägerschaft der Amadeu Antonio Stiftung eingerichtet worden.

Aus Sicht des 36-Jährigen ist die Aufarbeitung des NSU-Komplexes noch lange nicht abgeschlossen. Es existierten weiter große Lücken im Verständnis über das Vorgehen und über das Unterstützer-Milieu der aus Jena stammenden Terrorzelle. Das liege an der anhaltenden Konspirativität der Szene, aber auch an der Blockade staatlicher
Behörden.

43 Mordversuche und 15 Raubüberfälle

Der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) ermordete zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin. Ihm werden zudem 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle zur Last gelegt. Nach einem missglückten Banküberfall in Eisenach töteten sich am 4. November 2011 die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt selbst. Ihre Mittäterin Beate Zschäpe wurde 2018 zu lebenslanger Haft
verurteilt.

Als Beispiel für offene Fragen nannte Quent den Mord an Halit Yozgat 2006 in Kassel. Am Tatort sei zur Tatzeit ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes anwesend gewesen. Über dessen Rolle herrsche bis heute keine Klarheit. Die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen habe zuletzt die Sperrung von Akten, die im Zusammenhang mit dem Mord stehen, von 120 auf 30 Jahre verkürzt.

Misstrauen in der Zivilgesellschaft

Das Vorgehen der Behörden bei der Aufklärung der Mordserie habe zu großem Misstrauen in der Zivilgesellschaft geführt, sagte Quent weiter. Dieses sei zuletzt eher gewachsen, weil sich das Scheitern behördlicher Ermittlungen gegen rechts wiederhole. Dafür stehe etwa
das Verfahren gegen die rechtsextremen Schläger im sogenannten Ballstädt-Prozess in Thüringen. Der gerade den NSU-Opfern zugesagte Kulturwandel in den Behörden sei „noch längst nicht so weit, wie versprochen“.

Zudem gerate die Aufarbeitung an ihre strafrechtlichen Grenzen, sagte Quent. So ließe sich der weitere Unterstützerkreis des NSU-Trios offenbar juristisch kaum zur Rechenschaft ziehen. Dennoch müsse die Gesellschaft versuchen, die Ursachen und die Strukturen,
die die Taten letztlich erst ermöglichten, zu durchschauen, „um rechte Gewalt und Radikalisierung in der Zukunft verhindern zu können“.

epd