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Vertragstreue oder Klimaschutz: Siemens steht nach seinem Festhalten an der Lieferung einer Zugsignalanlage für ein riesiges Kohlebergwerk in Australien in der Kritik. Klimaschützerin Luisa Neubauer spricht von einem „unentschuldbaren Fehler“. Konzernchef Joe Kaeser sagt dagegen, es habe keinen vertretbaren Weg gegeben, den Vertrag wieder aufzulösen - und der indische Industriekonzern Adani bekräftigt seine Pläne für das Riesen-Bergwerk. Sowohl der Bau als auch die Proteste gehen weiter. Das Kohlebergwerk Adani will in Australien eines der größten Kohlebergwerke der Welt errichten und hält ungeachtet der seit langem anhaltenden Proteste daran fest. Der Bau sei voll im Gange, sagte eine Sprecherin. „Wir lassen uns nicht einschüchtern oder davon abhalten, unsere Versprechen einzulösen - für die Menschen in Queensland, die Australier und die Menschen in Entwicklungsländern, die dringend bezahlbare Energie brauchen, um ihnen zu helfen, der Armut zu entkommen.“ Man freue sich, mit Siemens zusammenzuarbeiten. Siemens' Beitrag Der Konzern soll Zugsignaltechnik für eine Eisenbahnstrecke vom Bergwerk zum Hafen Abbots Point liefern. Diese steuert und überwacht die Strecke inklusive Weichen und Signale. Umstritten ist, welche Folgen eine Absage der Lieferung gehabt hätte: Während Klimaschützer davon ausgehen, dass sie das Projekt zumindest verzögert hätten, betonte Siemens-Chef Kaeser, dass andere Lieferanten bereit gestanden hätten. Das Projekt gehe weiter, ob Siemens liefere oder nicht. Die Kritik der Klimaschützer Ihnen geht es vor allem um die Fördermenge von bis zu 60 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr. Bei deren Verbrennung werden große Mengen klimaschädliches CO2 freigesetzt. Klimaaktivistin Neubauer forderte, Konzerne müssten anfangen, bestehende Verträge zur Förderung von Kohle, Öl und Gas aufzulösen, sonst seien die Ziele des Pariser Klimaabkommens nicht einzuhalten. „Auf diesen Vertrag zu pochen, während Australien brennt und alle Konsequenzen für Mensch und Umwelt bekannt sind, ist Wahnsinn“, sagte sie in Richtung Siemens. Kaesers Beweggründe Kaeser schrieb in einer Stellungnahme, ihm sei bewusst, dass die Mehrheit sich eine andere Entscheidung erhofft habe. Er betonte aber, dass es seine Pflicht als Konzernchef sei, verschiedene Interessen abzuwägen. Es sei die „höchste Priorität“ von Siemens, seine Versprechen zu halten. Und es gebe praktisch keinen rechtlich und wirtschaftlich verantwortbaren Weg, den Vertrag aufzulösen. Das Thema Verlässlichkeit dürfte wichtiger sein als das Auftragsvolumen: Das ist mit 18 Millionen Euro für Siemens-Verhältnisse eher klein. Zu möglichen Vertragsstrafen wollte sich Siemens nicht äußern. Eine Rolle dürfte auch Druck von Seiten der australischen Regierung gespielt haben. Kaeser zufolge schrieb ihm der australische Minister Matthew Canavan, dass es „eine Beleidigung für die arbeitenden Menschen von Australien und die wachsenden Bedürfnisse Indiens wäre, dem Druck der Anti-Adani-Protestierenden nachzugeben“. Konsequenzen für Siemens

Siemens will nun ein Nachhaltigkeits-Komitee mit externen Mitgliedern etablieren. Es soll das Recht haben, kritische Projekte anzuhalten. In diesem Zusammenhang erneuerte Siemens seine Einladung an Neubauer, einen Sitz in diesem Gremium einzunehmen. Weitere Kritikpunkte Neben Klimaschutz geht es Kritikern um den Verbrauch von Wasser, die Zerstörung von Lebensraum und den Transport der Kohle über das Great Barrier Reef - das größte Korallenriff der Welt, das schon stark zerstört ist. Zudem geht es um das Land der Ureinwohner, der Wangan und Jagalingou. Kaeser hatte in seinem Statement vom Sonntagabend betont, dass diese dem Projekt zustimmten. Dem widerspricht der Gründer der australischen Grünen, Bob Brown. Ebenso die Gesellschaft für bedrohte Völker: „Eine Zustimmung, die der UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker genügt, liegt unseres Wissens nicht vor.“ Australische Reaktionen

Australische Umweltaktivisten reagierten empört auf die Entscheidung aus Deutschland. Der „schändliche“ Beschluss ruiniere das Image von Siemens, kritisierte die Australian Conservation Foundation. Klimastreik-Organisatorin Varsha Yajman aus Sydney sagte in Richtung Siemens: „Das ist einfach nicht richtig. Sie werden international an Unterstützung verlieren, besonders bei jungen Leuten.“ Die Rolle der Buschfeuer Die monatelangen Buschbrände haben die Klimawandel-Debatte in Australien buchstäblich angeheizt. Auch dort gibt es Proteste von Umwelt- und Klimaaktivisten. Australien ist aber immer noch der viertgrößte Kohleproduzent weltweit, Kohle ist wichtigstes Exportgut. Der konservative Premierminister Scott Morrison ist ein Förderer der Industrie. In der Klimawandel-Debatte und als Krisenmanager bei den Feuern ist er allerdings unter Druck: Seine Zustimmungswerte sind so schlecht wie nie in seiner anderthalbjährigen Amtszeit. Per Interview deutete er jüngst eine Änderung der Politik an, um Emissionen zu reduzieren. In Sachen Adani war von ihm nichts zu hören.

dpa