Seehofer: Grenzschließung zu Polen wäre „rechtlich fragwürdig“ (dpa)
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Trotz der steigenden Zahl der über Belarus einreisenden Flüchtlinge plant die Bundesregierung keine Grenzschließungen zum EU-Nachbarn Polen. Dies werde von niemandem beabsichtigt, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nach einer Kabinettssitzung am Mittwoch. Er sieht den Schlüssel zur Lösung des Problems auch beim Belarus-Verbündeten Russland. Einen Vergleich mit der Lage während der Flüchtlingskrise von 2015 wies der Minister zurück.

Rund 5700 Flüchtlinge an der Grenze erfasst

Die Bundesregierung und die EU werfen dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika gezielt in die EU zu schleusen. Motiv ist demnach Vergeltung für europäische Sanktionen, die sich gegen Menschenrechtsverstöße in Belarus richten. Laut Bundesinnenministerium wurden dieses Jahr bereits rund 5700 Flüchtlinge, die über Belarus kamen, an der deutsch-polnischen Grenze erfasst. Eine Grenzschließung zu Polen wäre auch „rechtlich fragwürdig“, sagte Seehofer am Mittwoch. Denn Polen habe bereits „sehr starke Initiativen“ ergriffen habe, um die Einreise von Flüchtlingen aus Belarus zu verhindern.

Gemeinsame Streifen an der deutsch-polnischen Grenze

Auf Seehofers Vorschlag an seinen polnischen Kollegen vom Dienstag, gemeinsame Streifen an der deutsch-polnischen Grenze vorzunehmen, gibt es dem Minister zufolge noch keine Antwort. Er gehe aber davon aus, dass dieser „positiv aufgenommen wird“, sagte Seehofer. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wolle beim EU-Gipfel diese Woche auch mit ihrem polnischen Kollegen Mateusz Morawiecki über die Flüchtlingsfrage sprechen. Seehofer kündigte weitere Anstrengungen an, um gemeinsam mit der EU Flüge von Fluggesellschaften mit Flüchtlingen nach Belarus zu verhindern. Im Falle des Iraks gebe es bereits eine entsprechende Zusage bis Jahresende, sagte er. Allerdings habe die Regierung in Belarus zuletzt visafreie Einreisen aus weiteren Staaten wie Iran, Pakistan, Südafrika, Ägypten und Jordanien zugelassen.

Schlüssel zur Lösung des Problems liege wohl in Moskau

Er sei der Ansicht, dass „der Schlüssel zur Lösung des Problems wohl in Moskau liegt“, sagte Seehofer. Er könne sich nicht vorstellen, dass das Vorgehen der Regierung in Minsk ohne „Inkaufnahme oder Billigung aus Moskau“ erfolge. Der Minister verwies darauf, dass es derzeit viele Felder gebe, „wo Moskau mehr konflikt- als konsensorientiert ist“. Einen Vergleich der Gesamtsituation mit der Flüchtlingskrise von 2015 und 2016 hält Seehofer für nicht zulässig. „Das waren ganz andere Größenordnungen“, sagte er. Demnach gab es von Januar bis September 2021 rund 80.000 Asylanträge in Deutschland. Dies entspreche im Schnitt den jeweiligen Zahlen der vergangenen 30 Jahre.

Sekundärmigration innerhalb der EU bleibt ein Problem

Als großes Problem sieht Seehofer die sogenannte Sekundärmigration innerhalb der EU. So entfalle mit mehr als 34.000 Asylanträgen der Hauptanteil auf Menschen, die bereits in Griechenland internationalen Schutz erhalten hätten, dann weitergereist seien „und hier nochmal Asyl beantragen“, sagte er. Solche Flüchtlinge müssten nach dem europäischen Asylrecht eigentlich von dem EU-Land zurückgenommen werden, wo sie zuerst Asyl beantragt haben. Seehofer zufolge war dies im laufenden Jahr aber nur bei einem einzigen Flüchtling aus Griechenland möglich. Kritisch äußerte sich Seehofer auch zu Italien, das immer weniger weitergereiste Migranten zurücknehme.

AFP