Dilan S. im Gerichtsaal. / Photo: DPA (dpa)
Folgen

Die Schülerin kämpfte bei ihrer Aussage mit den Tränen: Mehr als ein Jahr nach einem mutmaßlich rassistischen Angriff in Berlin-Prenzlauer Berg hat die heute 18-Jährige im Prozess gegen sechs Angeklagte als erste Zeugin ausgesagt. Immer wieder sei sie beschimpft, nach dem Aussteigen auch körperlich attackiert worden. „Es ist Rassismus“, sagte die Abiturientin am Montag vor dem Amtsgericht Tiergarten. Die Angeklagten – drei Frauen und drei Männer im Alter von 25 bis 55 Jahren – hatten zuvor die Vorwürfe gänzlich oder weitgehend zurückgewiesen.

Laut Anklage sollen zunächst zwei der Frauen die damals 17 Jahre alte Dilan am Abend des 5. Februar 2022 in einer Straßenbahn rassistisch beschimpft haben. Eine dieser Frauen und eine weitere Angeklagte sollen die Schülerin, der sie nie zuvor begegnet waren, nach dem Aussteigen an einer Haltestelle geschlagen und getreten haben. Die Männer sollen die mutmaßlichen Täterinnen angefeuert haben. Die Anklage lautete auf Beleidigung, Bedrohung sowie gefährliche Körperverletzung und Beihilfe dazu.

In einem Video aus dem Krankenhaus berichtete Dilan später teilweise weinend von der Tat und beschwerte sich bitter darüber, dass ihr niemand von den umstehenden Menschen geholfen habe und dass ihr in ersten Berichten von Polizei und Medien zunächst eine Mitschuld zugeschrieben wurde.

Es sei nicht um eine fehlende Maske gegangen, schilderte die 18-Jährige nun vor Gericht. „Die ganze Zeit wurde ich ausländerfeindlich beschimpft“, so die Schülerin mit türkischen Wurzeln und deutschem Pass. Nach dem Aussteigen sei eine blonde Angeklagte mit erhobener Faust auf sie zugelaufen - „ich konnte ausweichen, stieß gegen einen Zwei-Meter-Mann, der sitzt auch hier“. Dann hätten sechs Leute einen Kreis um sie gebildet. Die 55-jährige Frau habe sie geschlagen, an ihren Haaren gezogen. Bis heute leide sie unter den psychischen Folgen, habe Angst und Alpträume, so Dilan.

Angeklagte bestreiten Vorwürfe

Die Angeklagten widersprachen den Schilderungen der Schülerin. „Die Aggression ging von ihr aus“, erklärte ein 43-Jähriger. Sie habe in der Tram zwei seiner Begleiterinnen laut angesprochen, weil diese keinen Mund-Nasen-Schutz getragen hätten. Die junge Frau sei plötzlich laut geworden. Als er sich zwischen sie und die beiden Frauen aus seiner Gruppe stellte, habe ihn die damals 17-Jährige „gezielt auf den Rücken geschlagen“. Eine 34-Jährige sagte, weil zunächst sie beleidigt worden sei, habe sie die Jugendliche „ein bisschen auf Arabisch beschimpft“.

Eine 55-Jährige erklärte über ihren Verteidiger, sie hätten einen Geburtstag gefeiert und seien erheblich angetrunken gewesen. In der Tram sei es zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen - „aber ich hatte mit dem Geschehen nichts zu tun“. Die 55-Jährige gab zu, die Jugendliche an der Haltestelle Greifswalder Straße an den Haaren gezogen zu haben. „Warum es dazu kam, kann sie aus heutiger Sicht nicht mehr sagen“, so der Anwalt. Seine Mandantin habe die Jugendliche „nicht beleidigt, nicht getreten, nicht geschlagen.“

Die Tat hatte für großes Aufsehen gesorgt - auch weil die Polizei die Ursache des Angriffs zunächst falsch dargestellt und in einer Mitteilung geschrieben hatte, Auslöser des Konflikts sei gewesen, dass die Frau keine Corona-Maske getragen habe. Auch die Deutsche Presse-Agentur hatte diese ursprüngliche Darstellung der Polizei in einer Meldung übernommen und zudem die schon in der Polizei-Mitteilung genannten Hinweise der Frau auf rassistische Beleidigungen nicht erwähnt. Die Verhandlung wird am 17. April fortgesetzt. Für den zweiten Prozesstag ist nach derzeitiger Planung ein Urteil vorgesehen.

dpa