Symbolbild: Eine Frau mit Kopftuch vor dem Brandenburger Tor in Berlin.  (dpa)
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TRT Deutsch hat mit der Ethnologin Dr. Simone Pfeifer gesprochen. Ihr Fokus liegt auf Visueller Anthropologie und Medienethnologie. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im Interview äußert sie sich über antimuslimischen Rassismus in der Gesellschaft und die Probleme kopftuchtragender Frauen. Hier geht es zum zweiten Teil des Interviews.

Im Rahmen der Forschergruppe „Hashtag Islam“ haben Sie beobachtet, dass Musliminnen wegen ihres Kopftuchs vor allem im Zuge von Terroranschlägen angefeindet werden. Auf welche gesellschaftlichen Dynamiken führen Sie das zurück?

In unserem Teilprojekt und der digitalen Ethnografie in Sozialen Medien und offline in muslimischen Gemeinden konnten wir beobachten, dass antimuslimsicher Rassismus und Ressentiments nicht nur, aber insbesondere nach Anschlägen in Europa, die religiös begründet wurden, zunahmen. Allerdings ist das kein neues Phänomen, sondern neu ist lediglich, dass mittlerweile Stimmen gehört werden und Diskussionen zu antimuslimischem Rassismus in die Öffentlichkeit treten, die zuvor zum Beispiel in den Mainstream-Medien meist ignoriert oder delegitimiert wurden.

Die Anfeindungen betreffen aus unterschiedlichen Gründen insbesondere Frauen mit Kopftuch. Sie werden von vielen Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft aufgrund des Kopftuchs als muslimisch gelesen und damit als „nicht-deutsch“ wahrgenommen – ganz egal ob sie Deutsche sind oder nicht. In dieser Vorstellung stehen Frauen mit Kopftuch also symbolisch für eine Bedrohung „von außen“ für vermeintliche „deutsche“ Werte und Kultur. Hier wird also das Religiöse aus der nationalen Gruppenzugehörigkeit ausgeschlossen und im Zuge dessen werden rassistische Äußerungen im Alltag legitimiert. Politische und juristische Diskussionen um das Verbot von Frauen mit Kopftüchern in bestimmten öffentlichen Bereichen befeuern diese Ängste und Vorbehalte, da hier häufig suggeriert wird, dass diese zurecht bestehen.

Wie hat sich der Alltagsrassismus in den vergangenen Jahren entwickelt?

Vor allem in den letzten Jahren konnten wir eine Zunahme von alltäglichen rassistischen Anfeindungen und auch gewaltvollen Übergriffen feststellen. Allein im Jahr 2020 wurden laut einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Linken 900 Angriffe auf Muslim*innen und Moscheen u.a. registriert. Einige Wissenschaftler*innen begründen dies mit einer größeren Sichtbarkeit und Integration von Muslim*innen in vielen Bereichen der Gesellschaft. Doch unseres Erachtens nach hat es auch damit zu tun, was als legitim, sagbar und machbar in der Gesellschaft akzeptiert wird. Verschiedene gesellschaftliche Dynamiken trugen dazu bei, die zuvor als extrem wahrgenommenen oder wenig öffentlich geäußerten antisemitischen oder islamophoben Einstellungen und Beleidigungen in der Gesellschaft zu legitimieren und zu verstärken. Beispielsweise hat sich in den letzten Jahren in Deutschland durch politische Parteien wie die AfD, deren Unterstützer*innen, auch aus extrem rechten Kreisen, aber auch durch konservative Stimmen aus etablierten Parteien, rassistische und antimuslimische Aussagen in der Öffentlichkeit und politischen Institutionen, viel verändert. Das soll nicht heißen, dass alltägliche rassistische Ressentiments und Übergriffe zuvor nicht aus der Mitte der Gesellschaft kamen, sondern eher wie es dazu kam, dass diese sich nun gezielt auf Muslim*innen und „den Islam“ richten.

Verstärkt im Zuge der Anschläge vom 11. September und des so genannten „Krieges gegen den Terror“ werden auch in Europa und Deutschland „der Islam“ und die „Muslim*innen“ mit Gewalt und Terror assoziiert und durch diese Gleichsetzung immer wieder Muslim*innen als Feindbild und Gefahr für die Sicherheit in demokratischen Gesellschaften konstruiert. Dies trug dazu bei, antimuslimisch-rassistische Äußerungen und Beleidigungen zu rechtfertigen. Die Berichterstattung in herkömmlichen Massenmedien, aber auch die zunehmende Bedeutung von wenig reglementierten Sozialen Medien, können als weitere unterstützende Dynamik betrachtet werden. Hier können ungefiltert rassistische Äußerungen verbreitet werden und sich in den zahllosen Wiederholungsschleifen bestärken und zu Übergriffen führen.

Welche Rolle spielt das Kopftuch als vermeintliches politisches Symbol, wenn es zu solchen Anfeindungen kommt?

Das Kopftuch bzw. die unterschiedlichen Formen der Bedeckungen wie Hidschab, Schaila, Chimar, Abaya, Niqab oder Burqa werden von außen häufig miteinander gleichgesetzt und pauschalisierend als muslimische Markierung gelesen. Die sehr emotional geführten gesellschaftlichen Debatten laden diesen Stoff als politisches Symbol in vielfältiger Weise auf: Ein Kopftuch wird als Symbol patriarchaler Strukturen, der Unterdrückung der Frau oder als religiöses Symbol, das in der Öffentlichkeit nichts zu suchen hat, betrachtet. Immer noch zu wenig kommen dabei die Frauen zu Wort, die selbst die unterschiedlichen Formen der Kopfbedeckung tragen – oder diese Stimmen werden nicht im gleichen Maße gehört und ernst genommen. Die Definitionsmacht, wie dieses Symbol zu lesen ist, liegt dabei nicht bei den Frauen, die das Kopftuch tragen. Männlich dominierte Autoritäten und Institutionen verwehren Frauen mit Kopftuch den Zugang zu verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, um sie vom vermeintlichen patriarchalen Zwang zu „befreien“. Und dies, auch wenn die Frauen sich selbst für den Hidschab entschieden haben oder dies als emanzipatorischen Akt betrachten.

Mit welchen Formen der Anfeindung werden kopftuchtragende Musliminnen im Alltag am häufigsten konfrontiert?

Da wir eine ethnografische und keine repräsentative Studie durchgeführt haben, ist es natürlich schwierig hier genaue Aussagen zu treffen. Am häufigsten wurden uns gegenüber in den Gesprächen direkte Beschimpfungen und so genannte Mikroaggressionen thematisiert. Mikroaggressionen sind übergriffige Äußerungen und Beleidigungen in der alltäglichen Kommunikation, die abwertende Beurteilungen und Botschaften beinhalten, die sich auf konstruierte Gruppenzugehörigkeit beziehen.

Im Kontrast zur Außenbetrachtung: Welche Bedeutung messen die Frauen ihrem Kopftuch bei?

Die Motivationen zum Tragen eins Kopftuches sind sehr vielfältig und standen für uns nicht im Zentrum unserer Untersuchung. In einigen Gesprächen betonten die Frauen, die mit uns zusammengearbeitet haben, vor allem religiöse und spirituelle Gründe, aber auch die eigene Identität durch das Symbol nach außen zu tragen. Einige Frauen sprachen uns gegenüber auch von Freiheit, die sie mit dem Tragen des Kopftuchs verbinden. Freiheit bezog sich dabei auf sehr unterschiedliche Dimensionen: die Freiheit, sich Schönheitsidealen der Gesellschaft zu entziehen, die Freiheit, selbst entscheiden zu können, wie man aussehen möchte, die Freiheit, dass es in der Gesellschaft möglich ist, seine religiöse Identität nach außen zu tragen.

Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch