Obdachlosigkeit in der Corona-Krise (dpa)
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von Feride Tavus

Wie viele europäische Länder hat auch Deutschland zur Eindämmung des Coronavirus eine Ausgangsbeschränkung erlassen. Menschen sollen zuhause bleiben und damit die Ausbreitung von Covid-19 weitgehend verhindern. Was ist aber mit Menschen, die kein Zuhause haben und auf der Straße leben?

Zwar gibt es in Deutschland keine genaue aktuelle Statistik, aber Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) zufolge hatten allein 2018 insgesamt 678.000 Menschen keine Wohnung, darunter rund 441.000 anerkannte Flüchtlinge. Sie leben in staatlichen Notquartieren oder übernachten in Hilfsunterkünften. Den Angaben nach sind rund 41.000 Menschen obdachlos – leben also auf der Straße, ohne Dach über dem Kopf. Damit sind sie nicht nur der Kälte, sondern auch dem Coronavirus ausgeliefert.

Bereits vor dem Ausbruch des Coronavirus konnten nicht alle Obdachlosen in sozialen Unterkünften untergebracht werden. Auch für Paare gebe es zu wenig Unterkunftsmöglichkeiten, erklärt die Geschäftsführerin der BAGW, Werena Rosenke, und fügt hinzu: „Probleme gibt es für wohnungslose Bürger aus anderen EU-Staaten, denn viele Kommunen verweigern ihnen die Unterbringung.“

Obdachlose müssen tagsüber Einrichtung verlassen

In Zeiten der Corona-Krise verschärft sich die Lage bei der Unterbringung in Mehrbettzimmern erheblich. Abstand zu halten ist in solchen Räumlichkeiten nicht möglich. Der Zugang zu Sanitäranlagen, um zu duschen oder Hände zu waschen, erweist sich als fast ausgeschlossen. Die Einrichtungen sind kaum mit Schutzutensilien wie Masken, Desinfektionsmitteln oder Hygienemitteln ausgestattet. Ohnehin sind die Unterkünfte nur für die Nacht gedacht. Tagsüber müssen die Menschen die Einrichtung verlassen.

Obdachlose stehen vor einer Suppenküche Schlange (DPA)

Eine warme Mahlzeit bleibt den Obdachlosen in Deutschland mittlerweile auch verwehrt – das Angebot der Tafeln oder ähnlichen Einrichtungen gibt es aufgrund des Kontaktverbots nicht mehr. „Verschärfend kommt hinzu: Viele Wohnungslose sind aufs Pfandflaschensammeln angewiesen, auf den Verkauf von Straßenzeitungen, aufs Betteln. In Corona-Zeiten bricht das zusammen“, so Rosenke. In einer menschenleeren Stadt sind auch diese Zugänge zu Hilfsmitteln erschwert.

Aus Furcht vor einer Coronavirus-Infektion ziehen sich viele Helfer zurück. Besonders schlimm sei auch die medizinische Versorgung, erklärt Rosenke. „Projekte werden weitgehend eingestellt, weil sie oft mit ehrenamtlichen Kräften arbeiten – häufig mit Ärzten und Pflegekräften im Ruhestand, die ja nun selbst zur Risikogruppe gehören.“

Desinfektionsmittel sind Mangelware

Schutzkleidung und sogar Desinfektionsmittel fehlen. Sie können auch nicht mehr beschafft werden. Andere Berufsgruppen wie das medizinische Personal oder die Pflegebranche haben Vorrang.

Ohne Personal bricht das System Wohnungslosenhilfe zusammen.
Daher fordert die BAGW eindringlich: „Die Unterbringungssituation muss schnell verbessert werden, damit die Menschen Abstand halten können. Viele Hotels und Pensionen stehen leer. Diese müssen dringend angemietet werden, um Wohnungslose dort einzuquartieren.“

Mobile Versorgung bleibt eine Option

Für Obdachlose wie für Hilfsorganisationen sei die Situation eine Herausforderung, sagt die Pressesprecherin von „Hoffnungsorte Hamburg“, Eva Lindemann. „Wir müssen das richtige Maß finden zur Aufrechterhaltung der Versorgung der uns anvertrauten Menschen, die eine besonders vulnerable Gruppe ist“, so Lindemann. Eine Lösung könnte zwar die mobile Versorgung mit „Lunchpaketen“ sein, doch diese würden auch nicht alle erreichen.

Weltweit sind rund 1,8 Milliarden Menschen obdachlos. Da sie ohnehin gesundheitliche Probleme haben und über keinen Schutz verfügen, sind sie der Ansteckungsgefahr stärker ausgesetzt als Menschen mit Obdach.


TRT Deutsch