16.07.2018, Hessen, Frankfurt/Main: Seda Başay-Yildiz, Rechtsanwältin, steht in ihrem Büro. (dpa)
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Im Prozess um die „NSU 2.0“-Drohschreiben hat am Montag vor dem Landgericht Frankfurt am Main die Hauptzeugin Seda Başay-Yıldız ausgesagt. Erstmals sei am 2. August 2018 in ihrer Kanzlei ein mit „NSU 2.0“ unterschriebenes Fax eingegangen, in dem ihre Adresse und der Name ihrer damals 22 Monate alten Tochter erwähnt worden seien, sagte die Frankfurter Rechtsanwältin: „Die Nennung ihres Namens hat mich tief getroffen. Das war eine Eskalation.“ Noch am nächsten Tag habe sie bei der Polizei Anzeige erstattet.

„Unbekümmertheit war weg“

Seitdem holten nur noch sie, ihr Mann und ihre Eltern die Tochter von der Kita ab – „und zwar im Auto, nicht zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Roller“. Sie selbst habe zunächst das Büro gemieden, von zu Hause aus gearbeitet und Veranstaltungen abgesagt. Ihre Eltern seien „völlig verunsichert“ gewesen, „die Unbekümmertheit war weg“. Als schließlich im Dezember 2018 in einem weiteren Drohfax die Namen und Geburtsdaten ihrer Eltern aufgetaucht seien und wenig später angekündigt worden sei, die Tochter „zu schlachten“, sei das der Anlass gewesen, die Kleine „keine Sekunde mehr allein zu lassen“ und das Haus zu sichern.

Sie habe keine Idee, wie der Verfasser der Drohschreiben an die persönlichen Daten ihrer Eltern kommen konnte, die nicht in sozialen Medien unterwegs seien, sagte Başay-Yıldız, „es sei denn über die in den Schreiben genannten Beamtinnen und Beamten des 1. Polizeireviers in Frankfurt am Main“.

Belastet wurde ihre Familie nach Aussage der Hauptzeugin auch dadurch, dass im September 2020 unbekannte Personen an zwei, drei Tagen ihr Haus fotografiert hätten und in dem Drohschreiben gegen die kleine Tochter und Enkelin auch kinderpornografisches Material enthalten gewesen sei. Zunächst sei keine Hilfe von der Polizei gekommen. Dies habe sich erst nach der Übernahme der Ermittlungen durch das Hessische Landeskriminalamt geändert.

Die Übernahme der Kosten für die Sicherung des Hauses habe der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) zunächst mit der Begründung abgelehnt, dies sei Privatsache. Inzwischen habe das Land aber zugesagt, die notwendigen Kosten in Höhe von 50.000 Euro zu
übernehmen. „Ganz sicher fühle ich mich zu Hause trotzdem nicht“, sagte Başay-Yıldız.

Auch der Bonner Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler wurde am Montag von der Vorsitzenden Richterin Corinna Distler in den Zeugenstand gerufen. Er habe erstmals im Dezember 2018 ein Drohschreiben mit dem Absender „Türkensau“ und der Signatur NSU 2.0 bekommen, sagte Daimagüler. Insgesamt habe er in den vergangenen zehn Jahren mehr als 1500 Beleidigungs- und Drohschreiben erhalten. Angst habe er keine. Er habe weder Frau noch Kinder, die angegriffen werden könnten.

„Das sind oft kleine feige Würstchen“

Allerdings belasteten ihn die Drohschreiben psychisch, und er habe deshalb bereits professionelle Hilfe in Anspruch genommen, erklärte er. Er empfinde auch häufiger Wut, auch Mitleid mit den Schreibern. „Das sind oft kleine feige Würstchen, die bei der Mama im Keller hocken“, sagte Daimagüler. Zudem beunruhige es ihn, dass Polizeidienststellen an der Weitergabe von persönlichen Daten beteiligt gewesen sein könnten.

Angeklagt ist der arbeitslose Berliner Alexander M. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 54-Jährigen vor, zwischen dem 2. August 2018 und dem 21. März 2021 insgesamt 116 Drohschreiben verfasst zu haben. Daneben muss er sich wegen versuchter Nötigung, Bedrohung, Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen,
öffentlicher Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung, Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften, Angriffs auf Polizisten sowie eines Verstoßes gegen das Waffengesetz verantworten. M. bestreitet die Vorwürfe. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.

epd