Symbolbild: Flüchtlinge (dpa)
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Mehrere kleine Kinder spielen auf dem Boden mit einem Hund, Jugendliche tippen auf ihren Handys. Einige Jungen sitzen schweigend und erschöpft an Tischen voller Müslipackungen, Bananen, Brot und Kuchen. Mehr als zwei Tage Busfahrt, 2000 Kilometer und fünf Landesgrenzen zwischen Odessa in der Südukraine und Berlin liegen hinter den 105 jüdischen Kindern, Jugendlichen und Begleitern. Am Mittwoch sind sie von einem Kinderheim der jüdischen Gemeinde in Odessa losgefahren, um dem drohenden Angriff der russischen Armee zu entkommen. Am Freitagvormittag rollten die beiden großen gelben Busse vor einem Hotel am Berliner Kurfürstendamm vor. Die Polizei hatte die Seitenstraße extra abgesperrt.
Organisiert hatte die Reise die jüdische Bildungs- und Hilfsorganisation Chabad Berlin, die mit der jüdischen Gemeinde in Odessa zusammenarbeitet. Die 18-jährige Shoshana gehört zu der Gemeinde und studiert in Odessa Englisch und Deutsch. Sie trägt schwarzen Kapuzenpulli, schwarzen Rock und schwarze Boots und erzählt: „Das war eine lange Reise. Bei der Abfahrt haben sich die Mädchen und Jungen gefreut, in ein neues Land zu fahren. Aber viele der kleinen Kinder haben gar nicht verstanden, was passiert.“
Nun müssten sich die meisten erstmal ausruhen. „Im Bus war es nicht sehr bequem“, sagt sie und lacht. Sie rechne damit, vielleicht zwei Wochen in Berlin zu bleiben. „Aber ich weiß auch nicht, was passieren wird.“ Mit ihr zusammen seien ihre zwölfjährige Schwester und ihr älterer Bruder geflohen, sagt Shoshana. Sie selbst habe aber jetzt erst einmal Angst. „Meine Mutter und mein Vater sind weiter in Odessa. Und es passiert so viel und ich lese die Nachrichten.“ Sie telefoniere mit ihnen, noch sei alles ok, aber sie mache sich große Sorgen.
Ein Teil der Kinder sind Waisenkinder, andere wurden von ihren Eltern oder anderen Verwandten auf die Reise über Moldau, Rumänien, Ungarn und Tschechien geschickt. Das jüngste Kind ist ein im Januar geborenes Baby. Das Alter der anderen liegt zwischen drei Jahren und Anfang 20.
Während die Kinder und Jugendlichen, manche mit einer jüdischen Kippa auf dem Kopf, im Hotel von Papptellern essen und Nachrichten nach Hause schreiben, tragen Begleiter, Helfer und auch Polizisten Koffer ins Gebäude. Auf Deutsch, Englisch und Hebräisch wird lautstark diskutiert. Es geht um die Zimmerverteilung, die Bezahlung der Busse, den Einsatz der Helfer. Kontakte zu Verwandten in Deutschland, anderen europäischen Ländern und Israel werden herausgesucht.

Sohn des Chefrabbiners der Ukraine reiste mit

Der mitreisende Rabbiner Mendi Wolff, Sohn des Chefrabbiners der Südukraine, unterrichtet eigentlich Kinder, erzählt er. „Nun im Krieg änderte sich unser Job. Wir machen etwas ganz anderes. Wir waren Lehrer, nun retten wir Leben.“ Die Reise sei nicht ganz einfach gewesen, weil viele Kinder nur Geburtsurkunden oder Kopien dabei hatten, berichtet Wolff. Vor der Fahrt habe man Kontakt mit der deutschen Bundespolizei gehabt – an den Grenzen sei viel verhandelt worden. Für die kleinen Kinder sei die Fahrt ein Abenteuer gewesen, die älteren Jugendlichen würden unter den Abschieden von Freunden und Verwandten und den schlechten Nachrichten aus dem Krieg leiden. „Sie gucken immer in ihre Handys: Was passiert? Gibt es Bombardements?“
Israels Botschafter Jeremy Issacharoff begrüßte die Menschen bei einem kurzen Besuch in dem Hotel, sicherte seine Unterstützung zu und betonte: „Es ist schon sehr bewegend, zu sehen, dass die geflohenen Kinder nun Zuflucht in Deutschland gefunden haben und in Berlin sicher sind.“ Das sage auch etwas über das Verhältnis Israels und Deutschlands aus.


dpa