Symbolbild (dpa)
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Die Inflationsrate in Deutschland stieg im November 2021 mit 5,2 Prozent auf ein neues Rekordhoch und war so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr, wie das Statistische Bundesamt in einer Mitteilung hervorhob. Seit November 2020 stiegen die Preise für Waren um 7,9 Prozent, und ein Haupttreiber des Preisanstiegs waren die Energieprodukte. Jedoch führte auch die pandemiebedingte temporäre Mehrwertsteuersenkung zu günstigeren Verbraucherpreisen, die mit deren Anhebung wieder ausgeglichen wurden. Die Verbraucher bekommen die Inflation zum Beispiel im Supermarkt oder an der Tankstelle zu spüren. Während die Teuerungsrate den höchsten Wert seit drei Jahrzehnten erreicht, stagniert in Deutschland die Entwicklung der Löhne und Gehälter.

Dieser Trend wird durch Zahlen bestätigt, denn der Nominallohnindex ist zwar im 3. Quartal 2021 um 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal gestiegen, allerdings stiegen gleichzeitig die Verbraucherpreise um 3,9 Prozent. Im Endeffekt hatten die Arbeitnehmer keinen realen Lohnzuwachs, weil die Teuerungsrate den Verdienstzuwachs aufzehrte. Nach Angaben der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sind die durchschnittlichen Bruttolöhne der Beschäftigten von 2000 bis 2012 um 1,8 Prozent gesunken.

Reallöhne stagnieren seit Jahrzehnten

Lohnsteigerungen der Erwerbstätigen bedeuten nicht zwangsläufig, dass die abhängig Beschäftigten mehr Geld in der Tasche bzw. an verfügbarem Einkommen haben. Das zeigt eine Statistik über Reallöhne und Nettoverdienste. Demnach stiegen die Reallöhne von 1991 bis 2019 um 12,3 Prozent, aber die Steigerungsrate der Nominallöhne lag bei 60,7 Prozent. Ursache für diese Differenz ist die Entwicklung bei den Verbraucherpreisen, der Anstieg betrug 48,1 Prozent. Mit anderen Worten hat die Teuerungsrate dazu geführt, dass die Beschäftigten für diesen Zeitraum weniger verfügbares Einkommen hatten.

Das gilt auch für den Niedriglohnsektor, in dem 21,1 Prozent (2018) der Vollzeitbeschäftigten tätig waren. In Ostdeutschland liegt der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten bei 29,1 Prozent, während dieser Wert in den westlichen Bundesländern 20 Prozent beträgt. Insbesondere das Friseurhandwerk hat einen Niedriglohnanteil von 92 Prozent, gefolgt von den Floristen mit 85 Prozent. Der Niedriglohnsektor verzeichnete 1995 fünf Millionen Beschäftigte und wuchs bis 2017 auf 7,9 Millionen Erwerbstätige an.

Fast 4 Millionen Beschäftigte gelten als sogenannte „Aufstocker“

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit galten fast vier Millionen Erwerbstätige 2020 als „Arbeitslosengeld-II“-Empfänger, das früher als Sozialhilfe bezeichnet wurde, und nahmen damit staatliche Leistungen in Anspruch. Apropos gesetzlicher Mindestlohn: Im zweiten Halbjahr 2021 betrug der Stundenlohn 9,60 Euro; er wird sich im ersten Halbjahr 2022 auf 9,82 Euro erhöhen, was einer prozentualen Erhöhung von 2,29 Prozent entspricht. Im zweiten Halbjahr 2022 soll sich der Mindestlohn von den erwähnten 9,82 Euro auf 10,45 Euro erhöhen, was wiederum 6,41 Prozent Lohnsteigerung bedeutet.

Preissteigerungen treffen 450-Euro-Jobber besonders hart

Auf den ersten Blick mag der Lohnzuwachs für 2022 von 8,7 Prozent für Minijobber viel erscheinen. Aber für die 7,3 Millionen geringfügig Beschäftigten ist dies ein schwacher Trost, denn die Inflation frisst den Zuschlag wieder auf. Hinzu kommt noch, dass die Minijobber entweder nur dieser geringfügigen Tätigkeit nachgehen oder die Arbeit als Nebenjob verrichten, weil sie in ihrer Hauptbeschäftigung nicht genug verdienen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband berichtet in seinem Armutsbericht 2021 von einem „besorgniserregenden Aufwärtstrend“ der Armutsquote in Deutschland. Nach dieser Erhebung zählen 13,4 Millionen Menschen respektive 16,1 Prozent der Bevölkerung als arm.

Dramatischer Anstieg der Mietpreise führt zu weniger Reallohn

Ein weiterer Faktor, warum die Beschäftigten heutzutage weniger Reallohn zur Verfügung haben, ist die Mietpreisentwicklung der letzten 30 Jahre. 1990 mussten Mieter beim Erstbezug einer Mietwohnung 6,79 Euro pro Quadratmeter bezahlen. 2019, also 29 Jahre später, zahlten Mieter pro Quadratmeter im Durchschnitt 12,21 Euro. Das ist eine Steigerung von 79,8 Prozent. Verschärft wurde diese Entwicklung dadurch, dass in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Bund, Städte und Gemeinden in großem Maße Immobilien an private Unternehmen und Investoren veräußerten.

Bereits damals war Wohnraum knapp, aber die Mietpreise waren nicht so hoch wie heute. Private Investoren wollen mit dem Kauf von Immobilien Renditen erwirtschaften. Da aber in Deutschland die Nachfrage nach „günstigen“ Wohnungen größer war als das Angebot und der Staat den sozialen Wohnungsbau nicht in ausreichendem Maße förderte, stiegen die Preise für Immobilien rasant an. Immer mehr Menschen in Deutschland können sich die aktuellen Mietpreise nicht mehr leisten und sind auf staatliche Unterstützung angewiesen, obwohl sie einer geregelten Arbeit nachgehen. Eine Teillösung könnte der Rückkauf von Wohnungen durch den Staat sein, wie es der Berliner Senat vorgemacht hat.

Erhöhung der Strompreise

Ein weiterer Aspekt, weshalb Beschäftigte weniger in der Geldbörse haben, ist unter anderem die Strompreisentwicklung für Privathaushalte: Der Preis stieg in den letzten 30 Jahren um mehr als 100 Prozent! Lag der Strompreis für eine Kilowattstunde 1990 noch bei 15 Cent /kWh, erhöhte sich der Preis bis 2020 auf 32,18 Cent/kWh. Seit 1998 stiegen die in jeder Kilowattstunde enthaltenen Steuern, Umlagen und Abgaben um etwa 300 Prozent, was auch mit der Energiewende zusammenhängt.

Wie bereits dargelegt, wurden die Lohnsteigerungen der letzten Jahre durch die Inflation aufgezehrt, und auch der statistische Vergleich über die letzten 30 Jahre macht deutlich, dass das verfügbare Einkommen entweder stagniert oder gesunken ist. Insbesondere die Preissteigerungen im Energiesektor haben in den letzten 12 Monaten zu einem deutlichen Anstieg der Inflation geführt. Vor allem große und mittelständische Unternehmen in Deutschland hatten bei Tarifverhandlungen gegenüber den Gewerkschaften immer wieder auf internationale Wettbewerbsfähigkeit und Sicherung von Arbeitsplätzen hingewiesen, um von der Arbeitnehmerseite Lohnzurückhaltung einzufordern.

Mit diesem Argument konnten sich die Firmen lange Zeit größtenteils durchsetzen, aber durch die Verlagerung von Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbe in Billiglohnländer ist diese Begründung hinfällig. Durch Digitalisierung bzw. Einsatz von Robotern könnten verlagerte Arbeitsplätze nach Deutschland zurückkehren, nur in Form von Maschinen. Der Automatisierungswandel könnte jedoch wieder die Niedriglohnländer treffen, wenn statt Menschen Roboter eingesetzt werden.

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