Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist  anlässlich des Jahrestages der zyprischen Friedensmission von 1974 in die Türkische Republik Nordzypern gereist. (AA)
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Die historische Entwicklung Zyperns

Um den Wandel der türkischen Zypernpolitik zu verstehen, ist es zunächst notwendig, den Status Zyperns zu kennen und das Zypernproblem in der historischen Entwicklung der Insel zu verorten.

Zypern, dessen Herrschaft 1571 von den Venezianern an das Osmanische Reich überging, wurde 1878 an England übertragen, unter der Bedingung, dass die Verwaltung im Osmanischen Reich verblieb. 1914 annektierte England jedoch als Resultat des Ersten Weltkriegs Zypern, und mit dem Vertrag von Lausanne wurde 1923 Englands Souveränität auf der Insel offiziell anerkannt. Ab 1931 verstärkten die griechischen Zyprioten auf der Insel ihre Bemühungen, ihr Ideal von der Vereinigung mit Griechenland, die als ENOSIS bezeichnet wird, zu verwirklichen. 1954 brachte Griechenland die Frage der zyprischen Selbstbestimmung vor die UN, was jedoch erfolglos blieb. Wohl auch unter dem Eindruck dieser Entscheidung wurde in der Folge auf Zypern die Terrororganisation EOKA gegründet, und aufgrund der Aktivitäten dieser Organisation mussten türkische Zyprioten zwischen 1955 und 1958 33 der Dörfer, in denen sie traditionell mit den Griechen zusammenlebten, verlassen. Als auch die türkischen Zyprioten ihre eigenen Organisationen gründeten, um sich vor den Massakern der EOKA zu schützen, begannen Verhandlungen zwischen der Türkei und Griechenland, und die Republik Zypern wurde 1960 gegründet. Mit der Zeit wollte Griechenland jedoch sein Ideal von der Wiedervereinigung, unter Missachtung der Verfassung der Republik Zypern, verwirklichen. 1963 initiierten griechische Zyprioten mittels der EOKA systematische ethnische Säuberungsversuche gegen Türken. Aufgrund dieser Angriffe auf die Türken in dieser Zeit mussten 30.000 türkische Zyprioten 103 Dörfer verlassen.

Eine internationale Friedenstruppe wurde 1964 vom UN-Sicherheitsrat auf der Insel stationiert. Aber die auf einer gleichberechtigten Teilhabe basierende Republik Zypern verschwand de facto, als Griechenland heimlich seine Streitkräfte auf die Insel entsandte. 1967 griffen Griechenland und griechische Zyprioten weitere Dörfer an, in denen Türken lebten, doch als die Türkei erklärte, sie werde im Rahmen ihrer Rechte aus internationalen Abkommen intervenieren, zog Griechenland seine Truppen von der Insel ab. Die Verhandlungen zur Lösung der Zypernfrage, die nach 1968 in unterschiedlichen Konstellationen fortgesetzt wurden, endeten am 15. Juli 1974, als die von Griechenland unterstützte EOKA einen Putsch gegen Staatspräsident Makarios inszenierte, der wiederum eine Intervention der Türkei auf der Insel fürchtete. Im Angesicht des Putsches der EOKA gegen die Souveränität Zyperns wirkte die Türkei aufgrund ihres Interventionsrechts aus dem Garantievertrag von 1960 auf eine gemeinsame Intervention mit den anderen Garantiestaaten wie England hin, erhielt jedoch eine Absage von den Briten und startete daraufhin am 20. Juli 1974 die Friedensoperation Zypern, um Rechte und Existenz der Türken auf der Insel zu schützen. Wohlwissend um die im geschichtlichen Verlauf ausgeübten ethnischen Säuberungen und systematischen Massaker an den Türken auf dem Balkan, dem Kaukasus und Anatolien, drohte mit den Massakern der griechischen Streitkräfte auf Zypern gegen die Türken der Insel eine neue ethnischen Säuberung, wie sie zuvor schon gegen Türken und Muslime auf Kreta, auf der Peloponnes und dem Balkan umgesetzt worden war. Dieses Wissen machte eine Intervention auf der Insel unumgänglich, um eine weitere Säuberung zu verhindern.

Auch nach dieser Intervention 1974 setzte sich die Türkei für eine Gründung einer gemeinsamen Föderation von beiden Volksgruppen auf der Insel ein. Doch die griechisch-zypriotische Seite verfolgte eine Politik, die darauf abzielte, den Türken ihr Recht auf Autonomie abzusprechen und ihren Herrschaftsanspruch auf die gesamte Insel auszudehnen. Gab es bis 1995 Verhandlungen mit all ihren Höhen und Tiefen, wurde dieser Dialog zwischen der griechisch-zyprischen und türkischen Seite mit der einseitigen Gewährung des Kandidatenstatus der EU an die griechisch-zypriotische Regierung abrupt beendet. Initiativen der Türkischen Republik Nordzypern (TRNZ) und der Türkei, sich mit der griechisch-zyprischen Seite zu treffen und die Verhandlungen über eine Lösung fortzusetzen, waren ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt. 2002 wurde das Dokument mit dem Titel „Basis für eine umfassende Lösung des Zypernproblems“, auch bekannt als Annan-Plan des damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan, veröffentlicht. Dieser in weiteren Gesprächen endverhandelte Annan-Plan wurde am 24. April 2004 der türkischen und der griechisch-zypriotischen Bevölkerung im Rahmen eines Referendums zur Abstimmung vorgelegt. Während 76 % der griechischen Seite den Plan ablehnten, stimmte die türkische Seite dem Plan trotz der abverlangten Opfer mit 65 % zu. Letztlich wurde der von der UN vorgelegte Lösungsvorschlag von den griechischen Zyprioten abgelehnt, die damit für den fortdauernden Stillstand auf der Insel verantwortlich sind. Dennoch wurde am 1. Mai 2004 die griechisch-zypriotische Seite, trotz ihrer Ablehnung des Annan-Plans, zum einzigen legitimen Vertreter der Insel erkoren und in die EU aufgenommen. Diese folgenreiche und falsche Entscheidung der EU hat die Zypernproblematik in vielerlei Hinsicht, insbesondere mit Blick auf die Rechte der türkischen Zyprioten, verschärft und auch die Zukunft der EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei beeinflusst. Auf diese Weise konnten konservative Kreise in der EU mit der Unterstützung der EU-Vollmitgliedschaft der griechisch-zyprischen Seite, den Beitrittsprozess der Türkei sabotieren.

Zypern-Politik der Türkei nach 2017

Die Fünf-Parteien-Konferenz, die 2017 in Genf stattfand, endete ergebnislos, nachdem die griechisch-zyprische Seite es ablehnte, ihren Herrschaftsanspruch aufzugeben und etwa ein von der Türkei favorisiertes föderales Modell umzusetzen. Nach diesen gescheiterten Verhandlungen kehrte auch die Türkei von ihrer Politik zur Unterstützung einer föderalen Struktur in Zypern ab und erarbeitete alternative Strategien zur Lösung der Zypernfrage. Einmal abgesehen davon, dass das von der griechisch-zypriotischen Führung verursachte Scheitern des Verhandlungsprozesses für selbige keinerlei politische Konsequenzen hatte, schwanden die Hoffnungen der Türkei auf die Verwirklichung einer föderalen Struktur auf der Insel, auch wegen der mit der Zypernfrage ins Stocken geratenen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sowie des alleinigen Herrschaftsanspruch der griechisch-zyprischen Führung, etwa durch den Abschluss einseitiger Abkommen mit anderen Mittelmeer-Anrainerstaaten oder der Geltendmachung einseitiger Ansprüche auf die Rohstoffe der Insel. So kehrte die Türkei nach den Gesprächen 2017 von der Idee eines föderalen Modells ab und setzte nunmehr, auch unter Berücksichtigung der veränderten Rahmenbedingungen im östlichen Mittelmeerraum, auf die Anerkennung der Souveränität der TRNZ und die Wahrung der Rechte der türkischen Zyprer auf Basis einer gleichberechtigten Zweistaatenlösung. Insbesondere mit der Wahl von Ersin Tatar zum Präsidenten der TRNZ im Oktober 2020 gewannen die bilateralen Beziehungen an Dynamik, und es wurde in vielen Bereichen eng mit der Türkei zusammengearbeitet. Dieser Prozess wurde immer wieder auch mittels Desinformationsaktivitäten der griechisch-zypriotischen Führung zu Themen wie der Lösung der Probleme des östlichen Mittelmeerraums und der Zypernfrage torpediert.

Die von der Türkei und der TRNZ unternommenen Schritte zur Lösung der seit fast einem Jahrhundert bestehenden Zypern-Frage wurden von Griechenland und der griechisch-zyprischen Führung ausnahmslos blockiert, so dass die Türkei gezwungen war ihre Zypern-Politik zu ändern. Alle Lösungsvorschläge der Türkei werden insbesondere von der EU besonders negativ aufgenommen. Mit der Unterstützung der EU im Rücken sabotiert die griechisch-zypriotische Führung zum einen den EU-Beitrittsprozess der Türkei und blockiert darüber hinaus mit den gestellten Maximalforderungen die Lösung des Zypern-Problems. So kommt die Erklärung der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch der griechisch-zyprischen Führung Anfang Juli, wonach man eine Zweistaatenlösung in Zypern niemals akzeptieren würde, einer bedingungslosen Unterstützung der griechisch-zypriotischen Führung unter Missachtung der Rechte der türkischen Zyprioten gleich. Die daraufhin am 20. Juli während seines Staatsbesuches in der Türkischen Republik Nord-Zypern erfolgte Erklärung von Präsident Erdogan, wonach „neue Verhandlungen nur aufgenommen werden sollen, wenn diese zwischen zwei souveränen, gleichberechtigten Staaten erfolgen sollen“, verdeutlicht, dass die Türkei hinsichtlich ihrer Zypernpolitik rational, fest und beharrlich ist. Betrachtet man die Politik der beteiligten Parteien in den Zypern-Verhandlungen im historischen Kontext, kann man konstatieren, dass die Forderung der Türkei nach völkerrechtlicher Anerkennung der bereits gezogenen Grenzen auf der Insel die wohl lösungsorientierteste und rationalste Politik ist, da sämtliche alternative Bemühungen der Türkei und der TRNZ von der griechisch-zyprischen Führung abgelehnt wurden. In diesem Sinne ist wohl angesichts der fundamentalen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien nicht mit einer kurzfristigen Lösung der Zypernfrage zu rechnen.

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