Symbolbild: Wahlen (AFP)
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Die Wählerinnen und Wähler in Niedersachsen haben einen neuen Landtag gewählt. Der amtierende Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat das Votum klar für sich entschieden. Damit wird Weil nach aller Voraussicht nach 2013 und 2017 zum dritten Mal in Folge Regierungschef in dem flächenmäßig zweitgrößten Bundesland bleiben. Der 63-jährige Landesvater der niedersächsischen SPD konnte in erster Linie von seinem Amtsbonus profitieren. Die Strategie der Sozialdemokraten im Nordwesten ging auf: Sie hatten im Wahlkampf klar auf die Person des amtierenden Ministerpräsidenten gesetzt. 67 Prozent der Bürgerinnen und Bürger waren nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap der Ansicht, dass Stephan Weil „ein guter Ministerpräsident“ sei, 63 Prozent meinten, der Landesvater habe „Niedersachsen in den letzten Jahren vorangebracht“.

Bewährte Politik in schwierigen Zeiten

Gerade in schwierigen Zeiten zogen es die Wählerinnen und Wähler vor, auf Bewährtes und Kontinuität zu setzen. Stephan Weil zeichnete sich aber auch durch seinen ruhigen, sachlichen und besonnenen Politikstil aus, der zum Teil auch als langweilig bezeichnet werden könnte. Sein bodenständiger Charakter und seine ehrliche Art, Fehler einzugestehen, machten ihn nicht nur in seinem Bundesland beliebt. Das alles war ausschlaggebend für seinen Erfolg. Weil polarisierte nicht, provozierte nicht und war alles andere als populistisch. Diese Wahl in Krisenzeiten gab durchaus Gelegenheit dafür, Parteien, ausländische Staaten, Staatschefs oder Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Weil, der schon 1980 im Alter von 21 Jahren der SPD beitrat, ließ sich jedoch nicht dazu hinreißen. Im Gegensatz zur Bundespartei waren die Umfragewerte für den Landesverband der SPD in Niedersachsen relativ stabil. Die SPD hat durchgehend die Umfragen angeführt und stets ein komfortables Polster zur CDU aufgebaut, das letztendlich zum Sieg reichte.

Amtsbonus und Kandidatenfaktor

Der Wahlsieg Weils geht auf die eigene, persönliche Stärke von Weil zurück. Deshalb war dieses Ergebnis ein ganz persönlicher Wahlsieg des Spitzenkandidaten der SPD. Sein konstruktiver Politikansatz hat gefruchtet. Auch im direkten Vergleich mit seinem am Wahlabend zurückgetretenen CDU-Herausforderer Bernd Althusmann überragte Weil seinen Kontrahenten. 53 Prozent der Wählerinnen und Wähler hätten bei einer Direktwahl für Stephan Weil gestimmt. Bernd Althusmann kam dagegen nur auf eine Zustimmung von 27 Prozent.

Weil gewann trotz Schwäche der Bundespartei

Am Wahlabend kam außerdem noch etwas anderes zum Vorschein: Stephan Weil hat das Votum gewonnen, nicht weil, sondern obwohl er für die SPD antrat und mit Olaf Scholz einen SPD-Regierungschef hat, der immer mehr an Popularität einbüßt. Bundesweit sind nur noch 34 Prozent mit der Arbeit des Kanzlers zufrieden. 62 Prozent der Deutschen sind entweder weniger oder gar nicht mehr mit der Leistung des Regierungschefs zufrieden. Umfragen in Niedersachsen bestätigen dieses Bild: 67 Prozent der wahlberechtigten Menschen in Niedersachsen hielten Olaf Scholz für „zu zögerlich und unentschlossen“. Eine Minderheit von 44 Prozent vertrat die Meinung, Scholz sei „seinem Amt als Bundeskanzler gewachsen“. Nur 43 Prozent der Niedersachsen glaubten daran, dass Scholz Deutschland „durch die aktuelle Krise führen“ könne. Nichtsdestotrotz konnte der ehemalige Oberbürgermeister von Hannover ein gutes Ergebnis für seine Genossen in Niedersachsen einfahren. Stephan Weil war dies bewusst. Er hat allerdings diese Umfrageergebnisse nicht wie andere Landespolitikerinnen und Landespolitiker dazu verwendet, sich von der Ampelkoalition abzugrenzen oder gar Stimmung gegen die Regierung in Berlin zu betreiben. Auch mit dieser Politikwahl bewies Weil Verantwortung und Qualität in schwierigen Zeiten.

Klarer Regierungsauftrag für Weil

Weil hat nun einen klaren Regierungsauftrag von den Wählerinnen und Wählern bekommen. Sein Wunschkoalitionspartner sind die Grünen, das hat der gebürtige Hamburger, der seit 1965 in Hannover lebt, oftmals betont. Als Alternative steht dem Familienvater die Fortsetzung der Großen Koalition mit der CDU offen, was jedoch als unwahrscheinlich gilt. Damit wäre die einzige noch verbliebene Große Koalition wohl am Ende. Zudem muss sich die CDU in Niedersachsen nach dem Rücktritt von Parteichef Althusmann zunächst neu sortieren und wird eine ganze Weile mit sich selbst beschäftigt sein. Das historisch schlechte Ergebnis der CDU seit 1955 war aber auch eine Quittung für den Populisten Friedrich Merz, der ukrainische Flüchtlinge als „Sozialtouristen“ bezeichnete. Merz, die CDU, aber auch alle anderen demokratischen Parteien sollten wissen: Populistische und insbesondere rechtspopulistische Wählerinnen und Wähler wählen eher das Original als eine Nachahmung. In diesem Falle die AfD.

Grüne mit historischem Ergebnis

Die Grünen können in Niedersachsen mit über 14 Prozent der Stimmen auf ein historisches Ergebnis blicken. Auch ihr Absturz in den letzten Wochen – im Sommer lag die Partei in Umfragen noch bei mehr als 20 Prozent – ändert daran nichts. 2017 schnitten die Grünen mit 8,7 Prozent deutlich schwächer ab und verpassten damit die Chance auf eine Regierungsbeteiligung. Die Politik von Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck wurde für die Grünen zuletzt immer mehr zur Belastung. Das Hin und Her bei der Gasumlage, seine zunehmenden öffentlichen Fehltritte haben der Partei Stimmen gekostet. Aber: Am Wahlabend zeigte sich Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg hoch erfreut über das beste Ergebnis der Grünen in dem Bundesland und sprach davon, „Verantwortung“ zu übernehmen mit dem Ziel, „Politik in Niedersachsen mitzugestalten“. Ob die Grünen ihre Wahlversprechen einhalten können, bleibt abzuwarten. Die Partei warb mit folgenden Slogans: Keine Atomkraftwerke, kein Fracking und keine Gasbohrungen vor der Insel Borkum in der Nordsee. In Zeiten der Energie- und Inflationskrise werden sich solche Versprechungen schwer halten lassen. Zumal sieht die Realität auf der Regierungsbank ganz anders aus als die auf der Oppositionsbank.

Kubicki mitverantwortlich für Scheitern der FDP

Die FDP dagegen wird dem niedersächsischen Landtag nicht mehr angehören. Sie verpasste die Fünf-Prozent-Hürde knapp. Damit steht für die FDP fest, dass ihr die Ampelkoalition im Bund mehr schadet als nutzt. Sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Schleswig-Holstein, wo die FDP an der Landesregierung beteiligt war, erzielte sie sehr schlechte Ergebnisse und wurde von der Regierung abgewählt. Auch eine Zweitstimmenkampagne in Niedersachsen, wo die Partei um CDU-Stimmen warb, fruchtete nicht. Außerdem erwies der FDP-Vize und stellvertretende Bundestagspräsident Wolfgang Kubicki bei einem Wahlkampfauftritt in Hildesheim seiner Partei einen Bärendienst, als er den türkischen Präsidenten beschimpfte. Ein Großteil der türkischstämmigen Wählerinnen und Wählern, die vorher mit der FDP sympathisiert hatten, setzte wegen Kubickis Taktlosigkeit sein Kreuz bei einer anderen Partei. Diese fehlenden Stimmen der Deutschtürken waren ausschlaggebend für den Nichteinzug der FDP in den Landtag.

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