Flagge von Bosnien und Herzegowina (AA)
Folgen

Die Muslime in Bosnien und Herzegowina waren noch nie für Unruhen verantwortlich

Anfang dieses Monats veranstaltete die Deutsche Atlantische Gesellschaft ein Symposium unter dem Titel „Euro-Atlantische Perspektiven für Bosnien und Herzegowina“ in Neustadt an der Eisch. Einer der Teilnehmer und Redner war Christian Schmidt, der Anfang August zum Hohen Repräsentanten in Bosnien und Herzegowina ernannt worden war.

Schmidt ließ in seiner Rede den Eindruck entstehen, er habe in Bosnien und Herzegowina Partei ergriffen, obwohl er offiziell noch gar nicht im Amt ist. In besagter Rede auf dem Symposium zitierte Schmidt Željko Komšić, kroatisches Mitglied des Präsidiums von Bosnien und Herzegowina, mit den Worten: „Die Kroaten vertrete ich, aber die Bosnier haben mich tatsächlich gewählt“ und fügte hinzu, dass „die Kroaten im Land, bedingt durch die Zuwanderung, immer weniger das Gefühl haben, in den gemischtstaatlichen Strukturen ausreichend vertreten zu sein.“ Aus diesem Grund, so Schmidt, solle „Kroaten die Möglichkeit gegeben werden, sich vertreten zu fühlen“, ansonsten könne bei den Wahlen eine Art Boykott drohen.

Schmidts Worte sorgten für Gegenreaktionen

Diese Aussagen verursachten in Bosnien und Herzegowina große Auswirkungen und riefen Reaktionen sowohl von Komšić als auch von bosniakischen Vertretern hervor. Bekanntermaßen besteht in Bosnien und Herzegowina schon seit vielen Jahren das Problem des „Wahlrechts“. Und das Thema, von dem Schmidt sprach, versuchen die kroatischen Vertreter schon seit Jahren auf die Tagesordnung zu setzen. Bosnien und Herzegowina ist ein Land, in dem man den Bosniern mit dem Krieg Land genommen und einen Völkermord an den Bosniaken verübt hat, aber dennoch können heute sowohl die serbische als auch die kroatische Seite immer noch behaupten, dass „sie nicht genug Rechte im Land haben“. Genau dies machen die kroatischen Vertreter. Dabei haben sie die gleichen Rechte wie alle Bürger. Wenn sich das Wahlrecht jedoch nach ihrem Wunsch ändert, dann nur mit dem Hauptziel, im Land eine dritte Entität zu errichten. Genauso wie es die Region Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina gibt, wollen die Kroaten eine ähnliche Region für sich schaffen.

Zu der Rede von Schmidt äußerte Komšić gegenüber Medien in Bosnien und Herzegowina, Schmidts Einschätzung, wonach die Nichterfüllung dieser ethnischen (kroatischen) Vertretung den Wahlprozess behindern und die territoriale Integrität von Bosnien und Herzegowina gefährden könnte, sei falsch.

„Eine Methode, bei der getrennte Wahlurnen für Bosniaken, getrennte Wahlurnen für Kroaten und getrennte Wahlurnen für Serben und dann getrennte Wahlurnen für alle anderen Bürger geschaffen werden, widerspricht den Prinzipien einer zivilisierten Gesellschaft und kann deshalb nicht Teil der Lösung sein. Denn „für Katholiken, Protestanten und Muslime getrennte Wahlurnen“ gebe es weder in Deutschland noch in einem anderen zivilisierten Land. Erfreulicherweise, so Komsic, habe er sich auch mit Merkel getroffen und könne bestätigen, dass diese Worte Schmidts nicht die offizielle Haltung Deutschlands widerspiegeln.

Wie es in Dayton vereinbart wurde, sollte es auch sein

Laut Dayton-Abkommen setzt sich das Präsidium von Bosnien und Herzegowina aus einem bosnischen, einem serbischen und einem kroatischen Mitglied zusammen. Die bosnischen und kroatischen Mitglieder werden in der Föderation Bosnien und Herzegowina gewählt, und das serbische Mitglied wird in der Region Republika Srpska gewählt. Dies ist eine sehr wichtige Regelung, da Dayton diese eben nicht als „auserwählt von der bosnischen Nation, ausgewählt von der kroatischen und der serbischen Nation“ definiert. Hier wird Dayton sehr deutlich, und so besteht das Präsidium aus einem Bosniaken, einem Kroaten und einem Serben, nicht aus Vertretern von Bosniaken, Kroaten und Serben. Anscheinend ist aber das Gegenteil erwünscht, wenn man die Wahlgesetzänderung, auf die kroatische Vertreter schon seit Jahren drängen und versuchen durchzusetzen, zugrunde legt. Auf diese Weise streben Kroaten ähnlich wie die Republika Srpska an, eine eigene Entität zu gründen.

Es scheint, dass der neue Hohe Repräsentant wohl von Anfang an dem Druck und der „Einflussnahme“ der kroatischen Vertreter so weit ausgesetzt war, dass er in einem solchen Symposium diese doch sensiblen und auch riskanten Aussagen getroffen hat. Was soll das für eine Botschaft für die Zukunft sein, wenn gemäß der „bei Nichterfüllung keine Wahlen und Boykott“-Rhetorik der Kroaten jetzt gehandelt und eine komplett gegen Dayton gerichtete Forderung erfüllt werden soll? Was, wenn dann alle, die ihre Forderungen auf Kosten der Teilung des Landes stellen, sagen „Ansonsten boykottieren wir das Land“ – werden dann trotzdem alle ihre Forderungen erfüllt? Etwas, das dem Land schadet und gegen Dayton gerichtet ist, einschließlich des Wahlgesetzes, wird von den Bosniaken in Bosnien und Herzegowina nicht akzeptiert, weder von der Regierung, noch von der Opposition.

Islamophobie auf dem Symposium

Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble war Referent auf dem Symposium. In seiner Rede bezeichnete Schäuble Bosnien und Herzegowina als „fragile Staatsformation“, die im Falle eines Zerfalls „eine muslimische Insel mit erheblichem Konfliktpotential und ständiger Quelle von Unruhen“, zu werden drohe, "zumal die Türkei sich zum Beschützer erklärt hat„. Es wäre wünschenswert, wenn Schmidt als Beschützer von Bosnien und Herzegowina auf diese Worte reagiert hätte. Zunächst einmal ist Bosnien und Herzegowina keine „fragile Staatsformation“. Manche hätten es sich vielleicht anders gewünscht, aber Bosnien und Herzegowina hat gezeigt, dass es ein „robuster“ Staat ist, der selbst in den schwierigsten Tagen, als die ganze westliche Welt es im Stich ließ, widerstand. Außerdem waren Muslime in Bosnien und Herzegowina nie Auslöser der Konflikte. Im Gegenteil, selbst als ihre eigenen Zivilisten getötet wurden, reagierten sie nicht in der gleichen Weise und massakrierten etwa Zivilisten. Sie brannten nicht die heiligen Stätten ihres Gegenüber nieder und zerstörten nicht die Kirchen, obwohl die Gegenseite während des Kriegs alle ihre Moscheen niederbrannte. Sie haben nie eine Atmosphäre der Unruhe gegen andere Volksgruppen aufkommen lassen. Selbst heute, trotz der zahllosen Märtyrer, können alle Volksgruppen in Bosnien und Herzegowina frei leben, obwohl die Bosnier 51 % der Bevölkerung ausmachen. Alle Menschen können ihren Glauben frei praktizieren. Es ist nicht ersichtlich, wie Schäuble zu seinen Einschätzungen hinsichtlich Bosnien und Herzegowina gekommen ist, aber seine Aussagen sind nicht nur falsch, sondern beinhalten auch islamophobe Aspekte. Er versucht, Muslime als eine Gruppe darzustellen, die ständig Konflikte sucht und Unruhe stiftet.

Darüber hinaus scheinen die Worte selbsternannte Schutzmacht Türkei, die Schäuble in seinen Äußerungen verwendet, darauf hinzudeuten, auch die Türkei wäre an angeblich von Muslimen verursachten Konflikten und Unruhen beteiligt. Bis heute hat die Türkei keinen einzigen Schritt gegen die territoriale Integrität, Stabilität, Frieden und Freiheit aller Volksgruppen in Bosnien und Herzegowina unternommen. Im Gegenteil, obwohl sie den Bosniaken nahesteht, hat sich Bosnien und Herzegowina zu einem Land entwickelt, in dem auch die serbische Seite dem positiven, konstruktiven und friedensorientierten Politikansatz vertraut.

Bei einem Symposium mit dem Titel „Perspektiven für Bosnien und Herzegowina“ wäre zu wünschen,, dass auch die positiven Aspekte dieses schönen Landes Erwähnung finden.

Meinungsbeiträge geben die Ansichten des jeweiligen Autors und nicht die der Redaktion wieder. Für Anfragen wenden Sie sich bitte an: meinung@trtdeutsch.com