Menschen halten Plakate in der Hand, als sie am 9. September 2018 in Brüssel gegen „Hass und Islamfeindlichkeit“ protestieren. (AFP)
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Vor kurzem wurde die sechste Ausgabe in Folge des Europäischen Islamophobie-Berichts (EIR) veröffentlicht, diesmal für das Jahr 2020. Für diese Ausgabe haben 37 Kolleginnen und Kollegen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft für die Berichterstattung aus 31 europäischen Ländern beigetragen. Wie in den letzten Jahren wurden die Entwicklungen zum Stand der Islamophobie in Schlüsselbereichen wie Arbeitsmarkt, Bildung, Medien einschließlich Internet, Rechtssystem und Politik beleuchtet. Dabei stechen zwei Aspekte besonders hervor – die COVID-19-Pandemie und der Grad einer inzwischen institutionalisierten Islamophobie in einigen Staaten Europas.

Pandemie und Islamophobie in Europa

Das Jahr 2020 war weltweit geprägt von der COVID-19-Pandemie. Diese hatte ganz unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene Bereiche der Islamophobie. Befasst man sich beispielsweise mit der antimuslimischen Hasskriminalität, so ist festzuhalten, dass mit den in vielen Ländern erzwungenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens und dem Rückzug in die eigenen vier Wände zwar die physische antimuslimische Hasskriminalität abgenommen hat, sich islamfeindliche Aktivitäten aber nun vermehrt aus der privaten Sphäre insbesondere über die sozialen Medien verbreitet haben. Im Jahr 2020 wurden deutschlandweit 901 islamfeindliche Straftaten registriert, davon 146 gegen Moscheen und 48 gegen Menschen. Gleichzeitig organisierten antimuslimische soziale Bewegungen trotz Pandemie weiter ihre Kundgebungen. So veranstaltete PEGIDA 2020 neben zahlreichen Protesten lokaler Initiativen mindestens 16 Kundgebungen, noch lange bevor Anti-COVID-Demonstrationen in ganz Westeuropa zur Normalität wurden.

Berichte bestätigen, dass die Pandemie zwischenzeitlich andere öffentliche Debatten, etwa über Vorurteile, soziale Spaltungen und Hasskriminalität, in den Schatten gestellt hat. Ein Punkt, der in diesem Zusammenhang zu denken gibt, ist, wie die Agentur für Grundrechte der Europäischen Union in einer Stellungnahme festgestellt hat, dass nur eine kleine Minderheit von Muslimen (etwa 12 Prozent) überhaupt Fälle von Diskriminierung gemeldet hat. Angesichts der großen Diskrepanz zwischen den öffentlich dokumentierten Zahlen antimuslimischer Hassverbrechen und den tatsächlichen Vorfällen ist ein Vergleich der Daten quasi unmöglich.

Polizeibehörden in Deutschland haben beispielsweise 31.472 Fälle von Hassdelikten dokumentiert, darunter 901 antimuslimische Hassverbrechen, während Frankreich nur insgesamt 1.142 Hassdelikte registriert hat, darunter 235 antimuslimische Hassdelikte. Statt daraus zu schließen, dass es in Deutschland mehr Hassverbrechen gegen Muslime gibt als in Frankreich, ist zu hinterfragen, wie ernsthaft die französischen Behörden Hassverbrechen im Allgemeinen und speziell gegen Muslime dokumentieren oder wie zurückhaltend französische Muslime agieren, um solche Verbrechen überhaupt den Behörden zu melden.

Emmanuel Macron und die institutionalisierte Islamophobie

Europäische Länder wie Österreich und Frankreich haben Teile der muslimischen Zivilgesellschaft kriminalisiert. Aus diesem Grund wurde das Konterfei von Emmanuel Macron zum Titelbild des diesjährigen Berichts gewählt. Gemeinsam mit Innenminister Gérald Darmanin ist er in Frankreich hart gegen die muslimische Zivilgesellschaft bzw. antirassistische Aktivisten und Wissenschaftler vorgegangen, die als „Islamo-Linke“ gebrandmarkt wurden. Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Bestätigung der Werte der Republik (auch bekannt als „Gesetz gegen Separatismus“) institutionalisierte die Macron-Regierung die Islamophobie weiter und offenbarte einen autoritären Stil.

Frankreich wurde Zeuge einer zunehmenden Zahl von Polizeidurchsuchungen, Räumungsandrohungen sowie Moscheen- und Schulschließungen, darunter die Auflösung einer humanitären Vereinigung und einer Menschenrechtsorganisation, die Muslime in Frankreich gegen Rassismus und Diskriminierung verteidigt hatte. Alles in allem bedrohen die Maßnahmen die Grundfreiheiten der Muslime im Besonderen und untermauern eine Verschiebung hin zu Einschränkungen der Rechte und Freiheiten aller Bürger. Frankreich ist zu einem Staat geworden, in dem der französische Innenminister Gérald Darmanin sogar der islamfeindlichen rechtsextremen Parteichefin Marine Le Pen vorwarf, „zu weich gegenüber dem Islam“ zu sein.

Bekämpfung von Islamophobie und politische Handlungsempfehlungen

Die Bekämpfung der Islamophobie auf nationaler Ebene ist wichtig, für sich alleine aber nicht ausreichend. Der Kampf auf europäischer und internationaler Ebene ist gleichermaßen bedeutsam. 2020 veröffentlichten eine Reihe von EU-Einrichtungen und internationale Institutionen Berichte und organisierten Veranstaltungen, die sich direkt oder indirekt mit der zunehmenden Islamophobie in Europa und darüber hinaus beschäftigten. Es müssen aber auch die sicherheitspolitischen Konzepte einschließlich der Rolle der Geheimdienste neu bewertet werden. So muss etwa die von Österreich und Frankreich präferierte Strategie zur Überwachung und Bekämpfung der muslimischen Zivilgesellschaft, die auch antirassistische Wissenschaftler und Institutionen in den Fokus nimmt, auf entschiedenen Widerstand stoßen. Dieser Widerstand muss von der Zivilgesellschaft, nicht-ideologischen Bürokraten und Nationalstaaten getragen werden, die einen Ansatz ablehnen, der die muslimische Gemeinschaft weiter an den Rand der Gesellschaft drängt und darüber hinaus den Boden für die Einführung einer autoritären Politik bereitet.

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