Einbürgerungsurkunde und Reisepass / Photo: DPA (dpa)
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Kürzlich rief mich ein alter Klassenkamerad an, um mir mitzuteilen, dass er sich nach langen Jahren sozialer und gemeinnütziger Einbindung endlich auch politisch engagieren wolle und einen Aufnahmeantrag für eine bekannte Partei in Deutschland ausgefüllt habe. Wenige Tage nach dem Eintrittswunsch bekam er schon einen Antwortbrief, den er gespannt öffnete.

Er fing an zu lesen: „(…) Ich teile Ihnen hiermit mit, dass der Kreisvorstand Ihren Aufnahmeantrag im Ergebnis abgelehnt hat. Von der Mitteilung von Gründen wird unter Verweis auf § 10 Abs. 1 Satz 2 PartG abgesehen“. Frustriert von dieser Erklärung kontaktierte mich mein ehemaliger Mitschüler, um mir seine Enttäuschung zu verdeutlichen und schickte mir auch ein Foto des Antwortschreibens zu.

Ich war verwundert. Denn auf der einen Seite wird in unserem Land anhaltend Integration gefordert. Wenn man sich aber eingliedern möchte, werden einem diese Teilhabemöglichkeit und der Wunsch, sich gesellschaftlich zu engagieren verweigert. Wenn man sich aufgrund dieser Ablehnung anderweitig gesellschaftlich bemühen möchte, wird dies als „Parallelgesellschaft“ abgewertet. Hinterher wundert man sich, dass sogenannte Migrantenparteien entstehen.

Somit stellt sich mir die Frage, ob eine Eingliederung von gesellschaftlich engagierten Menschen mit Migrationsgeschichte überhaupt ernsthaft gewünscht ist. Die Antwort der Partei ist zutiefst beschämend und trägt Züge von einer Partizipationsverweigerung. Nein, sie ist Partizipationsverhinderung par excellence.

Ausgrenzungserfahrungen konservativer Deutschtürken

Nun wurde Anfang dieses Jahres eine politische Vereinigung von mehrheitlich Deutschen mit Einwanderungserfahrung gegründet: die Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch (DAVA). Der Zusammenschluss sammelt derweil fleißig Unterschriften, um als politische Partei anerkannt zu werden und an den diesjährigen Wahlen zum Europaparlament teilzunehmen. Danach will sich DAVA auch bundesweit etablieren und zur Bundestagswahl 2025 antreten.

Zuvor gab es bereits Parteien wie das Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG) und die Allianz Deutscher Demokraten (ADD), die mehrheitlich von türkischstämmigen Deutschen gegründet wurden, aber kaum beachtenswerte Ergebnisse liefern konnten.

Allgemein herrscht unter den Deutschtürken seit Jahren eine rege Diskussion darüber, ob es sinnvoll sei, Politik in den etablierten Parteien zu machen oder eigene Zusammenschlüsse zu gründen. „Die Frage ist nur, ob man als konservativer Deutschtürke überhaupt in eine deutsche Partei hineingelassen wird und wenn ja, ob man nicht bei der ersten Gelegenheit durch eine Schmutzkampagne wieder ausgeschlossen wird“, sagt ein Augsburger Diplom-Kaufmann, der namentlich nicht genannt werden möchte.

„Solche Diffamierungskampagnen gegenüber konservativen Deutschtürken, die einen hervorragenden Zugang zur eigenen Basis haben, gab es in der Vergangenheit zuhauf. Da wird jede Katze zum ‚grauen Wolf‘ hochstilisiert, jedes Bewahren der eigenen Identität wird als Nationalismus oder ‚identitärer Extremismus‘ dämonisiert. Bei diesen Kampagnen handelt es sich um Säuberungsaktionen“, die es nicht nur in der Politik, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft, wie z.B. in den Medien, den Universitäten, der Verwaltung usw. gibt.

Wunsch nach Behandlung auf Augenhöhe

Auch Fatih Zingal, Spitzenkandidat der DAVA für die Europawahlen, brachte das Thema in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zur Sprache. Zingal sagt, dass besonders Menschen mit Zuwanderungsgeschichte „in den etablierten Parteien nicht ernst genommen“ würden.

Die DAVA spreche hingegen Menschen an, „die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und am gesellschaftlichen Leben teilhaben wollen, sich aber nicht als Teil der Gesellschaft fühlen, weil sie – auch innerhalb der etablierten Parteien – immer nur reduziert werden auf ihre Zuwanderungsgeschichte.“ Der Rechtsanwalt aus Solingen spricht in dem Interview einen Punkt an, den viele Migranten im Umgang mit den meisten Parteien vermissen: eine Behandlung auf Augenhöhe.

Dr. Ali İhsan Ünlü, ein weiterer Spitzenkandidat der DAVA für die Europawahlen, betont im Gespräch mit TRT Deutsch, dass seine Vorfahren, die 1963 nach Deutschland gekommen seien, das Land mit aufgebaut und zum heutigen Wohlstand beigetragen hätten. Deutschland sei deshalb mittlerweile zu einer Heimat geworden.

„Dementsprechend möchte ich mich hier einheimisch und wohl fühlen“, so Ünlü. „Wir alle sind Menschen mit Bedürfnissen, Wünschen und möchten als gleichwertige Menschen behandelt werden, unabhängig von unserem ethnischen Hintergrund. Es ist die Aufgabe der Politik, diese Vielfalt als Stärke anzusehen und zu vereinen“, erklärt der Arzt aus Niedersachsen.

Eine erfolgreiche Integrationspolitik müsse darauf abzielen, „dass alle Teile der Gesellschaft auf Augenhöhe zusammenleben und eine gemeinsame Zieldefinition haben, unabhängig von ihren vielfältigen Unterschieden.“ Es gehe um die Partizipation aller in allen Bereichen des Lebens, so der 65-jährige Träger des Bundesverdienstkreuzes.

Mehr leisten müssen als die Deutschen

Suat Bakır aus Berlin lebt seit über 53 Jahren in Deutschland. Bis jetzt hat sich der Politik-, Medien- und Unternehmensberater nach eigenen Anaben noch keine ernsthaften Gedanken darüber gemacht, ob er integriert oder nicht-integriert ist.

Im Gespräch mit TRT-Deutsch erzählt der dreifache Familienvater, dass er mit jenen Menschen zusammen sei, die er gern habe und diejenigen meide, die er nicht gern habe. „Wenn das Integration ist, dann bin ich integriert.“

Wenn es aber darum gehe, inwieweit er seine kulturelle Identität lebe oder darauf achte, inwieweit er sich an der sogenannten Leitkultur orientiere, dann sei er „null integriert, weil ich mein eigenes Leben lebe und nicht das, was mir vorgeschrieben oder als Leitkultur angeboten wird“.

Der in Izmir geborene Bakır fühlt sich nicht gleichberechtigt, „weil ich mir wie fast alle Menschen aus der sogenannten Gastarbeitergeneration alles hart erkämpfen musste und viel mehr leisten musste als die Deutschen“, so der 62-jährige Ökonom.

Politisch und institutionell geförderte Assimilation

Auch der Politikberater Bülent Güven aus Hamburg, der SPD-Mitglied ist, beobachtet nach eigenen Worten eine Ausgrenzung von nicht assimilierten Menschen mit Einwanderungsgeschichte.

Der 52-Jährige erklärt das im Gespräch mit TRT Deutsch wie folgt: „Das intuitive Integrationsmodell Deutschlands gegenüber den ‚neuen‘ Migranten, die in den 1960er Jahren einwanderten, war quasi deren Assimilation in die deutsche Gesellschaft, ähnlich wie bei den mehrheitlich katholischen Osteuropäern im 19. Jahrhundert.“ Doch dies sei soziologisch nicht möglich.

„Politische Parteien und andere gesellschaftliche Institutionen fördern immer noch Menschen mit Migrationshintergrund, die in ihr Integrationsmodell passen, also diejenigen, die sich vollständig assimiliert haben.“ Güven meint, dass dies der falsche Weg sei. „Die Grundlage für eine gelungene Integration sollte das Grundgesetz sein, und Menschen mit Migrationshintergrund sollten die Möglichkeit haben, sich so zu entfalten, wie sie möchten.“

„In Deutschland bedeutet Integration in Wirklichkeit Assimilation“

Die Assimilationspolitik sorgt auch bei Ertürk Yaşar aus dem niedersächsischen Melle für Fragezeichen. Der ehrenamtlich engagierte 47-Jährige glaubt, dass in Deutschland mit Integration in Wirklichkeit Assimilation gemeint sei.

„Im Ausland lebende Deutsche werden vor der Assimilation bewahrt. Insbesondere in den alten russischen Gebieten werden deutsche Einrichtungen, deutsche Schulen usw. zur Wahrung der deutschen Kultur, finanziell und personell unterstützt, und zwar einvernehmlich und parteienübergreifend. Wenn es jedoch um uns hier lebende Deutschtürken geht, sieht man ein ganz anderes Gesicht Deutschlands“, so der gelernte Industriekaufmann im Gespräch mit TRT Deutsch.

„Ich habe mich in Hamburg einmal mit einem Rabbiner unterhalten. Er war der Meinung, dass man es mit der Integration nicht so hoch aufhängen sollte. Schließlich gäbe es wahrscheinlich kein anderes Volk, das besser integriert gewesen sei, als die Juden in Deutschland, sagte er. Und was trotzdem passiert ist, wissen wir alle.“

Identität contra Karriere?

Ein Vorstandsmitglied der 2009 gegründeten lokalen Partei Dein Köln und zugleich Ex-CDU-Mitglied teilt ähnliche Vorstellungen: „Generell kann schon festgestellt werden, dass der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung ein Verständnis von Integration hat, was viele Elemente von Assimilation enthält. In der Politik ist ein ähnliches Phänomen ersichtlich. Und zwar sind in den meisten Parteien zwar türkiyestämmige Politiker vorhanden, zum Teil auch in führenden Rollen, jedoch sind diese ausschließlich in irgendeiner Weise gezwungen, ihre türkische Identität abzulegen.“

Dies führe dazu, dass der überwiegende Teil der türkischen Community im Grunde genommen keine Interessenvertreter in der Politik habe, sagt der 42-jährige Familienvater im Gespräch mit TRT Deutsch. „So gewinnt man die Deutschtürken niemals. So werden auch in Zukunft noch viele Uzuns, Özils, Kenans für die Nationalmannschaft ihrer Vorfahren auflaufen.“

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