Die Bayraktar TB2-Drohne ist am 22. Februar 2021 in Istanbul, Türkei, zu sehen. (AA)
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In türkischen Medien vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über ein neues Waffensystem berichtet wird. In abendlichen Talkshows gehören Militärexperten zu Dauergästen, die den Zuschauern taktischen Nutzen und Einsatzfelder der neuen Systeme erläutern. Das öffentliche Interesse für die heimische Rüstungsindustrie erlebt in der Türkei geradezu Hochkonjunktur. Diese speist sich nicht nur aus den Erfolgsmeldungen, die im Zusammenhang mit den Einsätzen der Bayraktar TB-2 Drohne in lokalen wie auch internationalen Medien für Schlagzeilen sorgten. In seiner Ansprache während eines Zeremoniells der Landstreitkräfteakademie 2017 verkündete der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, die Türkei werde ihre Nabelschnur selbst durchtrennen. Mit diesen Worten brachte er die Erwartungen und Hoffnungen vieler Türken auf den Punkt. Zu diesem Zeitpunkt sah sich die Türkei erneut einem Lieferboykott westlicher Staaten ausgesetzt, die als Reaktion auf die in Nord-Syrien laufende Militäroperation Schutzschild Euphrat die Übergabe wichtiger militärischer Güter verwehrten – Waffen und Munition, die die türkischen Streitkräfte im Kampf gegen die Terrormilizen Daesh und YPG/ PKK benötigten.

Waffenembargos als Katalysator der Rüstungsindustrie

Das Thema Waffenembargo trifft in der türkischen Öffentlichkeit einen empfindlichen Nerv und ruft die schmerzlichen Erfahrungen während der türkischen Militärintervention in Zypern hervor. Anfang der 70er Jahre belegten die Vereinigten Staaten die Türkei mit einem umfassenden Waffenembargo und demütigten ihren NATO-Partner mit diesem Schritt zutiefst. Der vom türkischen Staatspräsidenten geprägte Satz wurde seit 2017 oft zitiert und hat sich inzwischen sogar als oberste Leitlinie in den Köpfen vieler Bürger manifestiert. In Großprojekten der Türkei wird auf die beiden Kriterien milli (national) und yerli (heimisch) großer Wert gelegt, wonach jegliche Verwertungsrechte im türkischen Besitz und die Herstellung in der Türkei organisiert sein sollen. Daher ist es wenig verwunderlich, dass gerade die türkische Rüstungsindustrie als Gradmesser für den beschworenen Abnabelungsprozess herangezogen wird und so zu einem der populärsten Nachrichtenthemen avanciert ist.

Vor dem Hintergrund starker Wachstumszahlen und überdurchschnittlicher Exporterfolge ist der mediale Auftritt von Prof. Dr. Ismail Demir, Leiter der Direktion Wehrindustrie, entsprechend selbstbewusst und zuversichtlich. In der Jahrespressekonferenz seiner Behörde, die direkt dem Präsidialamt untersteht, verkündete Demir die zu erwartenden Auslieferungen an die türkischen Streitkräfte noch im laufenden Jahr. Unter den aktuell ausgeschriebenen 750 Rüstungsvorhaben befinden sich auch zwei Prestigeprojekte der Seestreitkräfte, die den Erwartungen zufolge die taktischen Fähigkeiten der türkischen Armee massiv steigern sollen.

Türkei zeigt Flagge auf hoher See

Das amphibische Angriffsschiff TCG Anadolu (L-400) gilt seit 2017 als das unumstritten größte privatwirtschaftlich organisierte Rüstungsprojekt der Türkei. Die TCG Anadolu ist ein Mehrzweckkriegsschiff und kann in ihrer Eigenschaft als LHD (Landing Helicopter Docks) in einen kleineren Flugzeugträger umfunktioniert und alternativ für amphibische Manöver eingesetzt werden. Das künftige Flaggschiff der türkischen Marine wird in der türkischen Werft SEDEF unter Lizenz hergestellt und basiert auf der Schiffsplattform der spanischen Ausführung Juan Carlos I. Das 231 m lange und 32 m breite Schiff verfügt über eine Verdrängung von 27.400 t und erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von 21 Knoten. Auf ihr finden insgesamt 14 Hubschrauber Platz bzw. ein halbes Geschwader Kampfjets des Typs STOVL (short take-off and vertical landing). Letztere nutzen die an Deck befindliche Sprungschanze (Ski-Jump) für den Abflug. Die logistischen Kapazitäten der TCG Anadolu sind beachtlich: Neben acht Landungsfahrzeugen, 13 Kampfpanzern, 27 gepanzerten Amphibienfahrzeugen, sechs gepanzerten Fahrzeugen, einem gesamten amphibischen Kampfbataillon, soll sie 1.300 Personen befördern und mit OP-Sälen und 30 Betten als schwimmendes Klinikum humanitäre Missionen in Übersee unterstützen.

Diese Kriegsschiffe der WASP-Klasse erfreuen sich aufgrund ihrer vielseitigen Einsetzbarkeit einer gewissen Popularität. Wie flexibel der Einsatz dieser Schiffsgattung sein kann, zeigen die jüngsten Entwicklungen rund um die Verwerfungen mit den Vereinigten Staaten hinsichtlich der Stationierung des russischen Luftabwehrsystems S-400. Nach erfolglosen Bemühungen, das US-amerikanische Luftabwehrsystem Patriot zu erwerben, beschloss Ankara, stattdessen das russische Konkurrenzmodell anzuschaffen und in der Türkei zu stationieren. Washington reagierte verschnupft auf diese Entscheidung und schloss seinen türkischen Konsortialpartner unvermittelt aus dem F-35 Programm aus. Der Stealth Bomber der fünften Generation gehörte im Einsatzkonzept (Concept of Operations, CONOPS) der TCG Anadolu zum festen Inventar und sollte in seiner B-Ausführung als STOVL Kampfbomber zum Einsatz kommen. Die türkische Heeresleitung änderte daraufhin kurzerhand das Concept of Operations der TCG Anadolu und deklarierte sie zum weltweit ersten Drohnenträger. Künftig sollen auf ihr bis zu 50 taktische Kampfdrohnen des Typs Bayraktar TB-3 stationiert werden – eine konzeptionelle Weiterentwicklung der TB-2, die speziell für den Einsatz auf hoher See entworfen wird. Sie soll unter anderem über einklappbare Flügel verfügen und mit einer witterungsbeständigen Beschichtung versehen werden, um so Korrosionsschäden durch die salzhaltige Seeluft entgegenzuwirken.

Maritime Großmacht unter Wasser

U-Boote gelten in der maritimen Kriegsführung als effizienteste Waffe. Die türkische Admiralität legte stets besonders großen Wert auf den Unterhalt und den stetigen Ausbau ihrer unterseeischen Flotte. Seit Mitte der 70er Jahre ersetzte sie ihre U-Boote amerikanischer Bauart sukzessive durch ihre Pendants aus deutscher Produktion, sodass heute ihr gesamter Bestand an 11 U-Booten aus deutschen Werften stammt. Die Türkei verfügt aktuell über eine der modernsten und schlagkräftigsten U-Boot Flotten weltweit, die sie in den nächsten Jahren durch den Erwerb von U-Booten der Reis-Klasse ausbauen will. Diese basieren auf der Plattform U-214 des Herstellers Howaldswerke-Deutsche Werft Ltd. (HDW), welcher der Türkei bereits einige U-Boote ausgeliefert hat.

Gebaut werden die unterseeischen Schwergewichte mit einer Verdrängungskapazität von 2.013 t unter Lizenz in der staatlichen Werft Gölcük. Das aus türkischen Rüstungskonzernen bestehende Konsortium erzielt hierbei einen heimischen Produktionsanteil von 81 % und bestückt entscheidende elektronische Komponenten des 67,6 m langen und im Schnitt 6,3 m breiten Kolosses. Ambitionierte Vorhaben wie die Eigenentwicklung des radarabsorbierenden RAM-Außenanstrichs verzögerten die Auslieferung des neuen U-Bootes um sieben Jahre, sodass erst 2022 das erste von insgesamt sechs Reis U-Booten Einzug in den Bestand der türkischen Flotte halten wird. Geplant ist, dass alle 12 Monate ein neues U-Boot inventarisiert und mit jeder Auslieferung der heimische Anteil kontinuierlich erhöht wird.

Dank ihrer Größe kann die Reis-Klasse bis zu acht Torpedos befördern und erreicht eine geschätzte Tauchtiefe von 650 m, deutlich mehr als das deutsche Vorbild. Ihre außenluftunabhängige Antriebsanlage (AIP) macht die Reis-Klasse zu einem echten Gamechanger unter Wasser: Ohne aufzutauchen, kann sie Manöver von bis zu 17 Tagen abhalten.

Fast zeitgleich zur Auslieferung des ersten U-Boots der Reis-Klasse absolvierte der erste türkische Schwergewichtstorpedo aus heimischer Produktion seinen ersten erfolgreichen Test im März dieses Jahres. Das Konsortium, bestehend aus den Firmen Roketsan, ArMerKom und TÜBITAK, schloss die zwölfjährige Entwicklungsphase des 1,2 t schweren und 7 m langen AKYA Torpedos ab. Erste Auslieferungen werden noch binnen dieses Jahres erwartet.

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