Social-Media-Plattformen (Getty Images)
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Das Medienumfeld, das sich mit dem Aufkommen des Internets stetig diversifiziert hat, birgt sowohl ernsthafte Risiken, aber eben auch vielfältige Chancen für die modernen Demokratien in sich. So gehören etwa die Verletzung der Privatsphäre bzw. die unbefugte Nutzung personenbezogener Daten, die Manipulation des Wählerverhaltens bei Wahlen und gar die Bedrohung der nationalen Sicherheit zu den bedeutendsten dieser Risiken. Um die von sozialen Medien und dem Internet ausgehenden Risiken zu minimieren, regulieren staatliche und überstaatliche Einrichtungen (bspw. NATO, EU) diese Bereiche sowohl mittels Institutionen (STRATCOM, Präsidiale Direktion für Kommunikation von Türkiye) als auch mit gesetzlichen Regelungen. Entsprechend arbeitet Türkiye, ebenso wie die europäischen Staaten, schon seit längerem an einer Regulierung der im Land aktiven Social-Media-Plattformen und orientiert sich dabei an internationalen Beispielen. Dieser Prozess, der 2019 damit begann, dass die türkische Medienaufsicht RTÜK im Internet ausstrahlende Plattformen, wie beispielsweise Netflix, rechtsverbindlichen Regelungen unterwarf, soll nun mit der jüngst verabschiedeten gesetzlichen Regelung ausgeweitet werden und eben auch die sozialen Medien umfassen. Dabei war und ist der „Gesetzentwurf zur Änderung des Pressegesetzes und einiger Gesetze“ – in der Öffentlichkeit bekannt geworden als „Gesetz zur Bekämpfung von Desinformation“ – Gegenstand bedeutender gesellschaftlicher Debatten, allen voran im Parlament, und hat damit einen Spitzenplatz auf der gesellschaftspolitischen Tagesordnung von Türkiye eingenommen.

Welchen Zweck verfolgt das Gesetz?

Bei einer näheren inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Gesetz wird deutlich, das dieses etwa darauf abzielt, den Geltungsbereich von Periodika auch auf Internet-Nachrichtenseiten zu erweitern. Damit wird ein Internet-Journalismus ohne Angabe eines Impressums nicht mehr möglich sein, und die für eine Zeitung geltenden Regeln betreffen dann auch Webseiten. So gesehen werden auch diese Nachrichtenseiten für die von ihnen verbreiteten Inhalte rechtlich verantwortlich gemacht. Diese rechtliche Basis sorgt ebenfalls dafür, dass auch Internet-Medien durch die Schaltung von Werbung Einnahmen erzielen können. Auch die personalrechtliche Integration von Mitarbeitern dieser Einrichtungen in das bestehende System für Journalisten bedeutet einen wichtigen Fortschritt für die Beschäftigten dieser Mediensparte.

Neue Verantwortlichkeiten für Social-Media-Unternehmen

Eine weitere wichtige Maßnahme der gesetzlichen Regelung besteht darin, dass den Anbietern sozialer Netzwerke zusätzliche Pflichten und Verantwortlichkeiten auferlegt werden. Mit den bis dahin gültigen Regelungen war es für Unternehmen sozialer Netzwerke mit einer bestimmten Anzahl von Nutzern obligatorisch, Vertreter im Land zu benennen. Aufgrund der Tatsache, dass diese Vertreter aber keine türkischen Staatsbürger sein mussten und ebenso nicht gezwungen waren in Türkiye zu residieren, ergab sich für die staatliche Seite das Problem, keinen rechtlichen Ansprechpartner finden zu können. Daher wurden Überarbeitungen des einschlägigen Gesetzes (Gesetz Nr. 5651) angeordnet, da diese Problematik die gesamten Entscheidungsprozesse blockierte. Aus diesem Grund geht mit dem neuen Gesetz die Verpflichtung für soziale Netzwerke zur Eröffnung eines Büros in Türkiye für soziale Netzwerke einher. Wenn es sich darüber hinaus bei dem Vertreter um eine reale Person handelt, ist die Tatsache, dass diese Person in Türkiye ansässig und türkischer Staatsbürger sein muss, ebenfalls ein wichtiger Schritt zur Lösung der bestehenden Adressaten-Problematik. Türkiye, das mit dem Gesetz vor allem Transparenz priorisiert, kann damit strafgesetzliche Maßnahmen einführen, falls Social-Media-Unternehmen ihre Macht missbrauchen.

Stärkung individual-rechtlicher Mechanismen

Mit der genannten gesetzlichen Regelung ist vorgesehen, dass sich Einzelpersonen gegenüber Social-Media-Unternehmen besser in Stellung bringen können. Wenn sich beispielsweise Personen mit einer Beschwerde wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte an das zuständige Geeicht wenden bzw. die Entfernung des entsprechenden Inhalts beantragen und das Gericht diesem Anliegen stattgibt, können alle anderen Webseiten mit einem Verweis auf diese Entscheidung aufgefordert werden, diese ebenfalls umzusetzen. Insofern wird damit die Verbreitung von Beiträgen und Inhalten, die das Privatleben von Personen verletzen oder deren persönliche Daten missbrauchen, verhindert und die Persönlichkeitsrechte gegenüber diesen Plattformen gestärkt werden.

Öffentliche Verbreitung irreführender Informationen: Die Notwendigkeit neuer Regulierungen

Der in der Öffentlichkeit am meisten diskutierte Aspekt des Gesetzes ist der Artikel 29. Der unter der Überschrift „Öffentliche Verbreitung irreführender Informationen“ formulierte Artikel umfasst diejenigen, die öffentlich falsche Informationen über die innere und äußere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und die allgemeine Gesundheit des Landes in einer Weise verbreiten, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören oder etwa Angst und Panik zu schüren. Dabei ist vorgesehen, dass diese Personen entsprechend zur Rechenschaft gezogen werden, wie es das Gesetz vorschreibt. Die Sorge, dass dieser Artikel, wie derzeit lebhaft diskutiert, gewisse Zweideutigkeiten enthält und bei der Umsetzung in der Praxis verschiedene Schwierigkeiten verursachen könnte, gehört dabei zu den am meisten diskutierten Aspekten des Gesetzes. In diesem Sinne ist es für das jüngste Teilgebiet der Rechtswissenschaft unausweichlich, im Lichte der diskutierten Fragestellungen entsprechende Überarbeitungen vorzunehmen. Tatsächlich erfordern die dynamischen Entwicklungen im Bereich Internet und Informationstechnologien, die von Tag zu Tag an Fahrt zunehmen, immer wieder angepasste Regulierungen für diesen Bereich. Die praktischen Ergebnisse der jetzt lebhaft diskutierten gesetzlichen Regelung bilden damit auch gleichzeitig einen Fahrplan für die Zukunft der digitalen Plattformen in einem dynamischen Umfeld.

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