Das Porträt des muslimischen Arztes Ibn Zuhr  (Wikipedia Commons)
Folgen

vonUfuk Necat Taşçı

Ibn Zuhr war im Hochmittelalter der erste Arzt, der Krebsbildungen beim Menschen in Magen, Speiseröhre und Gebärmutter genau identifizieren konnte. Der Mediziner nannte die Krankheit „akila“, was soviel bedeutet wie „es frisst auf“. Abu Marwan Abdulmalik ibn Zuhr, der in der westlichen Welt unter dem Namen Avenzoar bekannt wurde, schrieb therapeutische Rezepte zur Eindämmung der Krankheit.

Wissenschaftshistoriker halten ihn für einen außergewöhnlich scharfsinnigen Arzt. Ibn Zuhr experimentierte an Tieren, bevor er seine neuen Methoden an Menschen durchführte. Zwei Jahrhunderte später wurde die Tracheotomie, ein Luftröhrenschnitt zur Behandlung von lebensbedrohlichen Blockaden der oberen Atemwege, von Ärzten empfohlen und als Behandlungsmethode anerkannt. Dieser medizinische Eingriff war damals eine große wissenschaftliche Leistung, für die kein Minderer als Ibn Zuhr den Grundstein gelegt hatte.


Khawass als ergänzende Heilmethode

Als gefeierter Arzt seiner Zeit galt Ibn Zuhr aber auch als umstritten. Seine Praxis der Khawass-Behandlung wurde mit Zweifel beäugt. Es handelte sich um eine veraltete Methode zur Behandlung von kranken Menschen anhand von Kräutern sowie körperlichen und geistigen Praktiken.

So empfahl er zum Beispiel, Wildeseln in die Augen zu starren, um ein gutes Sehvermögen zu erhalten und die Bildung vom Grauen Star zu verhindern. Auch seine Theorie zum Verzehr von Kaninchenköpfen, um Lähmungen oder Schüttelfrost vorzubeugen, klang für einige seiner Mitmenschen kurios.

Viele seiner Kollegen konnten den Grund für Ibn Zuhrs Khawass-Leidenschaft nicht erklären. Immerhin war er ein technisch versierter Arzt, dessen medizinische Verschreibungen der offiziellen Linie folgten.

Laut dem Wissenschaftshistoriker Henry A. Azar bestand für Ibn Zuhr kein Konflikt zwischen der anerkannten Schulmedizin und der Khawass-Heilmethode. Aus der Perspektive des Mediziners ergänzten sich beide Herangehensweisen, da sie von einem gemeinsamen Faden verbunden würden - dem unerschütterlichen Glauben an Gott.

Als Antwort auf seine Kritiker sagte Ibn Zuhr: „Das Wesen der Wissenschaft besteht darin, dass die Menschheit ihre Grenzen kennt. Wissen ist, was Gott inspiriert, und die Erkenntnis, dass es Dinge gibt, die jenseits des Verstehens liegen.“


Bescheidenheit als persönliche Botschaft

Ibn Zuhr wurde 1091 in der spanischen Stadt Sevilla, im damaligen Andalusien, geboren. Er gehörte einer bewanderten Familie mit zahlreichen Juristen, Ärzten und Gelehrten an. Zunächst studierte er islamisches Recht, Theologie und Literatur; dann motivierte ihn sein Vater Abu Ala zum Medizinstudium. Nach seinem Tod 1162 in Sevilla wurde er dort vor dem „Tor des Sieges“ bestattet.

Die letzte Botschaft, die Ibn Zuhr bei seinem Sterbebett hinterließ, offenbart seine Gottesunterwerfung. Sein letzter Wunsch war es laut historischen Quellen, folgende Zeilen auf sein Grabstein eingravieren zu lassen:

„Wach auf und denk nach! Ich sehe den Ort, zu dem wir alle hingetrieben werden. Die Erde des Grabes bedeckt meine Wange, denn ich bin nie auf seine Oberfläche getreten. Ich habe Menschen behandelt, um sie vor dem Tod zu retten, und nun bin ich hier, selbst dem Tod geweiht.“

Die Bescheidenheit des renommierten Wissenschaftlers darf nicht missgedeutet werden: Seine wissenschaftlichen Werke über die Medizin gehörten in den führenden abendländischen Universitäten über 500 Jahre lang zur Schullektüre.

Wenn im 13. Jahrhundert Ibn Al-Quff und Al-Baghdadi das Tracheotomieverfahren bei ihren Patienten anwenden konnten, hatten sie das den erfolgreichen Experimenten von Ibn Zuhr zu verdanken.

Das Tracheotomieverfahren wurde zu einem Meilenstein in der Geschichte des wissenschaftlichen Experimentierens. Die Inspiration kam vom Universalgelehrten ar-Razi (Rhazes), der im 9. Jahrhundert lebte. Rhazes verabreichte Affen kleine Mengen Quecksilber, um die Toxizität der Chemikalie für den menschlichen Gebrauch zu überprüfen. Ibn Zuhr ging noch einen Schritt weiter: Im Rahmen seiner klinischen Forschung zur Behandlung von geschwürigen Lungenkrankheiten obduzierte er Schafe.

Er war sich der Komplizität solcher chirurgischen Verfahren bewusst und bestand auf strukturierte Schulungsprogramme für angehende Chirurgen - und setzte sich vehement gegen die damals übliche Quacksalberei ein.


Galenist und Autor von „Al-Taysir“

Als bahnbrechender Arzt war Ibn Zuhr überzeugter Galenist. Claudius Galenus zählte zu den berühmtesten Ärzten des Römischen Reiches und hatte das Medizinverständnis revolutioniert. Ibn Zuhr entfernte sich jedoch allmählich von Galens theoretischem Fokus und verbrachte viel Zeit mit medizinischen Praktiken, die experimentell und therapeutisch angelegt waren.

Ibn Zuhrs Werk beinhaltet hippokratische sowie galenische Theorien. Mehrere Anekdoten über seine Frömmigkeit, Großzügigkeit, medizinischen Fähigkeiten und die Originalität seiner Behandlungen sind in seinen Werken und von seinen Biografen dokumentiert.

Eine seiner meistgelesenen medizinischen Enzyklopädien ist „Al-Taysir“. Das Werk wurde von Johannes von Capua unter dem Namen „Alteisir scilicet regiminis et medelae“ ins Lateinische übersetzt. Bis ins 16. Jahrhundert wurde die Enzyklopädie mehr als zehnmal nachgedruckt und war Lehrbuch an medizinischen Universitäten. Das Buch blieb bis ins Mittelalter hinein populär. Es inspirierte und beeinflusste die Entwicklung der westlichen Medizingeschichte.

TRT Deutsch