Archivbild: Cem Karaca (AA)
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von Emre Bölükbaşı Mit seinem Lied „Es kamen Menschen an“ schilderte er die Probleme der türkischen sogenannten Gastarbeiter in Deutschland, „Mein deutscher Freund“ thematisierte die schon damals mit fragwürdigen Argumenten geführte Integrationsdebatte. Cem Karaca, der als einer der bedeutsamsten Musiker in der Geschichte der Türkei gilt, war in den 1980er Jahren für Menschen mit türkischem Migrationshintergrund ein schillerndes Sprachrohr.

Ein Flug von Istanbul nach München im Jahr 1980 – den er sieben Jahre später eine „Flucht“ nannte – sollte das Leben des populären Künstlers inmitten seines Karriere-Höhenfluges komplett auf den Kopf stellen. In weiterer Folge kreuzten sich seine Wege auch mit jenen der sogenannten Gastarbeiter.

„Flucht“ vor dem Putsch von 1980 und Ausbürgerung

Auslöser für diese „Flucht“ sei die politisch angespannte Stimmung in der Türkei kurz vor dem Putsch im Jahr 1980 gewesen. Daran erinnert sich Karaca in einer Artikelreihe, die er 1987 für die Zeitung „Güneş“ schrieb. Aufgrund seiner politischen Gesinnung von manchen Kreisen in der Türkei diskreditiert und eingeschüchtert, fürchtete der Sänger um sein Leben und flog im Januar 1980 nach München.

Ähnlich wie viele „Gastarbeiter“ zu seiner Zeit dachte er unmittelbar vor seiner Abreise laut eigenen Angaben vor allem über eine Frage nach: „Wann werde ich wohl zurückkehren?“. Im September desselben Jahres kam es in der Türkei zu einem Putsch. Karacas Befürchtungen bewahrheiteten sich – die Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr in seine Heimat hatten sich zerschlagen.

Die Putschisten forderten 1981 die Rückkehr Karacas in die Türkei. Er weigerte sich und wurde deshalb ausgebürgert. Für Karaca begann damit ein neuer, schwieriger Lebensabschnitt. Die Sehnsucht nach seinem Sohn und seiner Heimat sollten ihm während seiner Zeit in Deutschland gewaltig zu schaffen machen – auch hier zeigte sich eine Parallele zu vielen „Gastarbeitern“.

8. Oktober 1971: Cem Karaca vor dem Mausoleum von Mustafa Kemal Atatürk (AA)

Cem Karaca – „heimatloser“ Repräsentant der Türkischstämmigen

Karaca war zu dem Zeitpunkt, als seine Rückkehr angefordert wurde, Inhaber eines Musikgeschäfts in der Münchener Goethestraße. „Meine erste Erfahrung im Handel schloss ich mit einem Verlust ab“, blickte er später auf diese Erfahrung zurück. Der Musiker Karaca war als Ladeninhaber wenig erfolgreich – er erlebte fernab seiner Heimat nach eigenen Worten zudem eine „furchterregende Einsamkeit“.

Dass er zu einem Sprachrohr für die türkischen Einwanderer wurde, hatte der Rockmusiker vor allem der damaligen politischen Konjunktur in Deutschland zu verdanken. Als die Grünen im Jahr 1983 Cem Karaca und seine Band in Deutschland auf eine Tournee einluden, begann der Sänger eigenen Aussagen zufolge zum ersten Mal, sich mit der Situation der „Gastarbeiter“ auseinanderzusetzen. Er erkennt, dass die Grünen mit seinen Konzerten Sympathien bei den Türkischstämmigen für sich wecken wollten. „Ich, ein ‚Heimatloser‘, sollte die Türkei und Türken repräsentieren.“

Deutschsprachige Lieder für die Probleme der „Gastarbeiter“ „Xenophobie war zu der Zeit in Deutschland deutlich verbreitet“, sollte sich Karaca später erinnern. „Unsere Kinder, das Kindergeld, das Kopftuch unserer Frauen“, listete der Rockmusiker die Assoziationen auf, welche die Türkischstämmigen in Deutschland in der Mehrheitsbevölkerung häufig hervorriefen - und die damit verbundenen Probleme und Vorurteile. Auffällig sind hierbei die Parallelen zur heutigen Situation.

„Von diesen Problemen musste ich den Deutschen erzählen – und zwar auf Deutsch.“ Um diese Erkenntnis sollte Karacas künstlerische Tätigkeit in Deutschland später kreisen. Der stets gesellschaftskritische Sänger wurde auf einen konkreten Missstand in Deutschland aufmerksam und widmete seine Kunst von diesem Zeitpunkt an vollends den Problemen der türkischstämmigen Arbeiter. Die extravagante Persönlichkeit Karacas spiegelte sich auch in der ironischen Namensgebung seiner Band wieder. „Wie nennen uns diejenigen, die ‚Türken raus‘ auf die Wände schmieren? ‚Kanaken‘. So fand ich den Namen unserer Band.“

„Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an“ „Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an“ – mit einer Anspielung auf die berühmte Feststellung von Max Frisch begann Karaca, die Geschichte der türkischstämmigen Arbeiter in Deutschland zu erzählen. Mit seiner Band „Die Kanaken“ veröffentlichte er das gleichnamige deutschsprachige Debütalbum im Jahr 1984. Die Sorgen der „Gastarbeiter“ rückten dabei in den Fokus der Veröffentlichung. Die Lieder waren von Henry Böseke und Martin Burkert verfasst worden.

Der Gesellschaftskritiker Karaca ging nicht nur mit der Sichtweise der deutschen Gesellschaft auf die Ankunft der „Gastarbeiter“ hart ins Gericht. „Wir Menschen waren nicht interessant, darum blieben wir euch unbekannt“, sang der Musiker und machte damit auf die lang anhaltende Ignoranz gegenüber der Kultur der Türkischstämmigen aufmerksam.

Dass die heute noch nicht gänzlich abgeflachte Integrationsdebatte schon in den 1980er Jahren die Türkischstämmigen erschöpfte, lässt sich bereits auf ironisch-künstlerische Weise verpackt in Karacas Werken erkennen. „Komm, Türke, trinke deutsches Bier – dann bist du auch willkommen hier“, singt der Künstler in seinem Album „Die Kanaken“ als eine fiktive Person, die vermeintliche Integrationskriterien überspitzt formuliert. Die unterschiedlichen religiösen Ansichten, die in der Multi-Kulti-Gesellschaft für viele noch heute als eine vermeintliche Integrationsbarriere gesehen werden, thematisierte das Album ebenfalls: „Mit Prost wird Allah abserviert – und du ein Stückchen integriert.“

28. Oktober 2000: Cem Karaca in Izmir (AA)

Ende der Sehnsucht nach der Heimat Karaca zeichnete in seinem Album das Bild eines türkischen „Gastarbeiters“, dem nur als Arbeitskraft Beachtung geschenkt wurde. Seine Beiträge zum Wirtschaftswachstum seien nicht berücksichtigt worden – ebenso wenig wie seine Wünsche auf Akzeptanz in einer für ihn neuen Welt. Die „Gastarbeiter“ konnten aufgrund zahlreicher Hindernisse nicht selbst auf ihre Probleme aufmerksam machen. Doch mit Cem Karaca hatten sie ein Sprachrohr gefunden.

Als sich der extrovertierte Künstler vor seiner „Flucht“ aus der Türkei fragte, wann er wohl wieder zurückkehren könne, konnte er die Antwort noch nicht im Geringsten erahnen. Nach dem Ende der Ära der Putschisten kontaktierte er Ministerpräsident Turgut Özal in München und teilte ihm seinen Wunsch mit, in die Türkei einreisen zu wollen. Die dafür erforderlichen juristischen Prozesse wurden eingeleitet, am Ende waren die erforderlichen Weichen für Karacas Rückkehr gestellt. Am 29. Juni 1987 konnte er seine Sehnsucht nach der Heimat stillen – die Frage, wann er wieder zurückkehren könne, hatte sieben Jahre später ihre Antwort gefunden.

TRT Deutsch