Containerhafen Hamburg / Photo: Reuters (Reuters)
Folgen

von Feride Tavus


Die deutsche Wirtschaft steckt im Krisenmodus fest. Rekordinflation, gestörte Lieferketten, Fachkräftemangel und hohe Energiepreise trüben die Aussicht. Viele Unternehmen halten sich mit Investitionen zurück. Nach Einschätzung der Bundesregierung rutscht Deutschland unweigerlich in eine Rezession.

Wirtschaftsminister Robert Habeck prognostizierte in seiner Herbstprojektion ein Wachstum von nur 1,4 Prozent für das laufende Jahr. Im kommenden Jahr dürfte die Wirtschaft dagegen sogar um 0,4 Prozent schrumpfen. Laut einer Umfrage vom November bewerten 52 Prozent der Unternehmen die Zukunft deutlich pessimistischer.

Wie bewerten türkische Wirtschaftsverbände das Geschäftsklima in Deutschland und was sind ihre Forderungen? TRT Deutsch sprach mit „European Business Association“ (EUBA), dem „Verein Unabhängiger Unternehmer und Industrieller“ (MÜSİAD) und dem „Netzwerk europäisch-türkischer Unternehmen“ (NETU).

EUBA: Kaufkraft der Bürger langfristig stärken

Deutschland habe sich mit seinen politischen Entscheidungen festgefahren, meint Halil Kaya, EUBA-Vorsitzender für Ostdeutschland. Die Abhängigkeit von Energie aus dem Ausland müsse verringert werden. Zudem seien Maßnahmen erforderlich, um die Kaufkraft der Bürger langfristig zu stärken. Nur so könne das Überleben der Unternehmen gesichert werden. Viele EUBA-Mitglieder klagten darüber, keine Planungssicherheit zu haben, berichtete Kaya. Wegen den steigenden Energiepreisen seien viele Unternehmer unzufrieden mit den vorläufigen Lösungen.

MÜSIAD: Zahl deutscher Investitionen in Türkiye wird enorm steigen

MÜSIAD-Präsident Fikret Doğan geht von einer Zunahme von Insolvenzen im Jahr 2023 aus. Deutschlands Wirtschaft sei exportorientiert und damit sei die Abhängigkeit von der Weltkonjunktur sehr groß, erklärte Doğan. Auch MÜSIAD-Mitglieder, die nicht für den Export produzierten, seien indirekt von der Entwicklung betroffen. Wenn Exporteure weniger Einnahmen erzielten, sorge das für Umsatzeinbußen bei lokalen Firmen.

Wenn Unternehmen in Deutschland aktuell fünfmal so viel für Strom wie in den USA und dreimal so viel wie in Frankreich zahlen, sei das ein Dilemma. Als Folge der gestiegenen Energiekosten werden laut Doğan große Unternehmen ihre Produktionskapazitäten umverteilen. In dieser Hinsicht sei Türkiye insbesondere für deutsche Unternehmen die erste Wahl. Das Land ist dem Verbandspräsidenten zufolge nicht nur die Brücke für Energie aus Zentralasien und den Mittleren Osten, sondern auch für Güter und Dienstleistungen zwischen Europa, Asien und Afrika. Die Zahl deutscher Investitionen in Türkiye werde daher enorm ansteigen, erklärte Doğan gegenüber TRT Deutsch.

Trotz Rekordinflation in Deutschland seien Unternehmen aus Türkiye verstärkt an Investitionen in Deutschland interessiert. Von Deutschland aus oder mit deutschen Unternehmen könnten sie die Weltmärkte schneller erobern. Was türkische Unternehmen in Deutschland angehe, unterscheide sie selbstverständlich nichts von Handlungsentscheidungen deutscher Unternehmen. So wie deutsche Unternehmen auch hätten sie zurzeit nicht unbedingt euphorische Erwartungen in die Zukunft. Sie seien vorsichtig und würden mit Investitionsentscheidungen vorerst abwarten.

MÜSIAD-Präsident Doğan fordert für einen Ausstieg aus dem Krisenmodus der Wirtschaft eine konzertierte Aktion. Deutschland müsse mit dem Mittelstand gemeinsam handeln. Daher sollten alle Akteure gemeinsam über die „worst-case und best-case“-Szenarien beraten. „Krisen sind Ausnahmesituationen. So sollten alle an einem Strang ziehen und nicht – wie zurzeit jeder versucht – mit try and error die Krise bewältigen“, betonte Doğan.

NETU: Jede Krise bietet auch Chancen

Die enorm gestiegenen Produktionskosten bereiteten auch türkischen Unternehmen große Sorgen, erklärte Bülent Göktekin, Vorsitzender des Verbands NETU. Aber jede Krise biete schließlich auch Chancen. Die Gas- und Energiekrise habe für ein Umdenken von produzierenden Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit gesorgt. Eine enorme Beschleunigung der Transformationsprozesse sei zu beobachten, so Göktekin. Gleichzeitig werde jetzt viel direkter auf Energieeffizienz im Unternehmen geachtet. Bisher habe Deutschland mit zügigen Maßnahmen in den Bereichen Energieeffizienz und Energiesicherheit auf sich warten lassen. Die Energiekrise habe aber allen gezeigt, dass nicht länger gewartet werden darf.

Deutschland durchlebe momentan eine der schwersten ökonomischen Krisen der vergangenen Jahrzehnte. Daher fordert Göktekin von der Politik, die Folgen der Inflation mit sofortigen Maßnahmen abzufedern. Zudem müsse genügend Energie bereitgestellt, notfalls müssten auch vermehrt Kohle- und Kernkraftwerke wieder in den Betriebsmodus gefahren werden.

TRT Deutsch