Symbolbild: Teilnehmerinnen an einer Gedenkfeier zum nationalsozialistischen deutschen Völkermord an den Sinti und Roma in Polen (AP)
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von Till C. Waldauer Am Montag, dem 2. August, wird in Europas Roma-Community und mehreren europäischen Ländern der Gedenktag des „Porajmos“ begangen, des Völkermordes der deutschen Nationalsozialisten und ihrer Verbündeten an den europäischen Sinti und Roma während des Zweiten Weltkrieges. Der Tag wird in Erinnerung an das Jahr 1944 begangen, als in nur einer Nacht, vom 2. auf den 3. August, im sogenannten Zigeunerfamilienlager in Auschwitz fast 3000 Angehörige der Volksgruppe, hauptsächlich Frauen und Kinder, ermordet wurden. Insgesamt wurden in der Zeit des Zweiten Weltkrieges zwischen 220.000 und 500.000 europäische Sinti und Roma getötet. Anerkennung als Volksgruppe vorwiegend auf dem Papier Deutschland gedenkt der ermordeten Roma im Rahmen des Internationalen Holocaust-Gedenktages am 27. Januar, nachdem es bis 1982 gedauert hatte, ehe die Verbrechen der Nationalsozialisten an den Sinti und Roma erstmals als Völkermord anerkannt wurden. Zuvor waren Verbrechen, die im Rahmen des staatlichen Vernichtungsprogramms der Nazis an Angehörigen der Volksgruppe begangen worden waren, in Westdeutschland nur 27 Mal Gegenstand einer strafgerichtlichen Hauptverhandlung, in der DDR nur vier Mal. Seit 1998 gehören die deutschen Roma zu den vier offiziell anerkannten nationalen Minderheiten des Landes – neben Dänen, Friesen und Sorben. Dennoch ist nach Einschätzung von Experten diese rechtliche Anerkennung nicht vollständig ins Bewusstsein der Mehrheitsbevölkerung in Deutschland durchgedrungen. Im Gespräch mit TRT Deutsch erklärt die Erziehungswissenschaftlerin Astrid Messerschmidt, Mitglied der Unabhängigen Expertenkommission Antiziganismus: „Es ist […] im Bewusstsein der Mehrheitsbevölkerung überhaupt nicht so präsent, dass auch diese Gruppe eine nationale Minderheit ist, was ja zeigen müsste, dass sie eben dazugehört zur deutschen Gesellschaft. Darauf zielt ja diese Anerkennung als nationale Minderheit. Und genau diese Zugehörigkeit wird ja gegenüber den Sintize und Romnja immer wieder bestritten, abgestritten und verwehrt.“

„Zigeunerforschung“ auch nach 1945 weiterbetrieben

Aus dem jüngst vorgestellten Bericht der Expertenkommission geht hervor, dass Sinti und Roma nach wie vor zu den am stärksten diskriminierten Gruppen in Deutschland gehören. Den wesentlichen Grund dafür sieht die Expertenkommission in einem historisch gewachsenen Antiziganismus, der nach wie vor tief im Bewusstsein weiter Teile der Bevölkerung verankert sei.

Zudem hätte die späte und unzureichende Aufarbeitung des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma entscheidend dazu beigetragen, dass Angehörige der Volksgruppe auch heute noch in vielen Bereichen schlechter gestellt sind – von Verwaltung und Polizei über Arbeitsmarkt und Bildungswesen bis hin zu den Medien.

Messerschmidt sieht sogar in manchen Bereichen eine Kontinuität von Verfolgungsstrukturen gegenüber Sinti und Roma, die auch nach Ende der NS-Zeit weiterbestanden hätten – unter anderem in Form der sogenannten Landfahrer-Zentralen, die „ja nur dazu da waren, diese bestimmte Gruppe zu stigmatisieren, sie unter Verdacht zu stellen.“

Auch die im Nationalsozialismus als „Zigeunerforschung“ bezeichnete Pseudowissenschaft, die als Grundlage für die Stigmatisierung gedient hatte, sei nach 1945 lange Zeit weiterbetrieben worden.

Genozid an Roma kaum Gegenstand des Schulunterrichts

Die „zweite Verfolgung“, von der die Geschichtsforschung in diesem Zusammenhang spricht, habe, so Messerschmidt, unter anderem auf der Vorstellung aufgebaut, dass „Sinti und Roma nicht auf Grund rassistischer Ideologie verfolgt wurden, sondern aufgrund ihrer Eigenschaften sozusagen als Kriminelle.“

Dazu komme bereits für junge Angehörige der Community die Erfahrung, dass der Völkermord an den eigenen Familienangehörigen und Verwandten lange Zeit kein Thema im Schulunterricht gewesen sei.

Es sei heute noch eine „weitgehend immer noch fehlende Thematisierung des Genozids an den Sinti und Roma in Europa“ an Schulen zu beklagen, erklärt Messerschmidt gegenüber TRT Deutsch. „Das ist auch ein wirklich wichtiger Faktor der Diskriminierung, der in unserem Bericht eine sehr große Rolle spielt. Und der im Bildungsbereich als sehr verletzend erlebt wird.“

Systematischer, struktureller Rassismus und eine „Defizitperspektive“, die beispielsweise nicht sehe, wie bildungsambitioniert viele Familien der Sinti und Roma seien, hätten „sehr starke Folgen für die Biografien der Betroffenen.“ Das heiße, so Messerschmidt, „die Schulen werden von vielen Angehörigen der Sinti und Roma nicht als sichere Orte erlebt, was wirklich ein dramatischer Befund ist.“

„Medien perpetuieren romafeindliche Stereotype.“

Bereits im Februar war der Verein RomnoKher in einer Studie zu dem Ergebnis gelangt, dass das deutsche Schulsystem die strukturelle Diskriminierung von Sinti und Roma eher festige als ihr entgegenzuwirken.

Das Schulsystem ist offenbar jedoch nicht die einzige Baustelle, auf der im Hinblick auf die Bekämpfung des Antiziganismus noch erheblicher Handlungsbedarf besteht. Erst im Juni sah sich der Verein Amaro Foro genötigt, ein auf fünf Jahre anberaumtes Projekt ins Leben zu rufen, das Problembewusstsein für antiromaistische Stereotype in Medien schaffen soll.

Viele Journalisten in Europa, erklärt Pressesprecherin Andrea Wierich, framten innereuropäische Migration von Roma einseitig als armutsbedingt, fokussierten sich auf heruntergekommene Wohnkomplexe, Obdachlosigkeit, Sozialbetrug und Bettelei – und verfestigten damit jahrhundertealte Stereotype über Roma als verarmte und der Kriminalität zugetane Minderheit.

„Journalisten erwähnen die Zugehörigkeit von Menschen zur Roma-Volksgruppe nur dann, wenn dies in ihr vorgefasstes Bild passt“, erklärt Weirich, „etwa wenn es um ein nicht angemeldetes Camp in einem Park geht.“ Mit solchen Geschichten trügen Journalisten dazu bei, ein verfälschtes Bild der Roma zu zeichnen.

Oftmals fehle es schlichtweg am Bewusstsein für die Diskriminierung von Roma und Sinti, erklärte der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, anlässlich der Vorstellung des deutschen Antiziganismus-Berichts. Sein Fazit: „Im Gegensatz zur Bekämpfung des Antisemitismus muss die Arbeit hier geradezu bei null beginnen“,
erklärt auch Rose.

TRT Deutsch