Mammutprozesse gegen Reichsbürger-Netzwerk starten am Montag
Dutzende mutmaßliche Verschwörer des Reichsbürger-Netzwerks stehen vor Gericht. Bei neun Personen geht es um Hochverrat und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Archivbild. 07.12.2022, Hessen, Frankfurt/Main: Bei einer Razzia gegen „Reichsbürger“ führen vermummte Polizisten nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII. Prinz Reuß (2.v.r.) zu einem Polizeifahrzeug. / Photo: DPA (DPA)

Es werden Mammutprozesse: 26 mutmaßliche Verschwörer des sogenannten Reichsbürgernetzwerks um Heinrich XIII. Prinz Reuß sollen sich ab diesem Frühjahr vor drei Oberlandesgerichten verantworten. Am Montag beginnt in Stuttgart der erste Prozess. Dort sind neun Männer angeklagt, die größtenteils dem militärischen Arm der Gruppe angehört haben sollen.

Was wird der Gruppe vorgeworfen?

Sie soll geplant haben, die demokratische Ordnung in Deutschland gewaltsam zu stürzen und durch eine eigene Staatsform zu ersetzen, die sie der Bundesanwaltschaft zufolge bereits in Grundzügen skizzierte.

Überzeugt waren die Reichsbürger demnach von verschiedenen Verschwörungsmythen - beispielsweise davon, dass Deutschland von Angehörigen eines sogenannten Deep State regiert werde und von einer Allianz befreit werden könne. Dabei handle es sich ihrer Meinung nach um einen Geheimbund von Regierungen, Geheimdiensten und Streitkräften verschiedener Staaten. Mit dieser nicht existierenden Allianz habe die Gruppe zusammenarbeiten wollen.

Die Mitglieder hätten erwartet, dass der Geheimbund ihnen ein Zeichen geben werde, dass der sogenannte Tag X gekommen sei, an dem er die obersten Institutionen Deutschlands angreife. Ihre eigene Organisation habe dann Institutionen und Amtsträger auf den Ebenen von Bundesländern, Kreisen und Kommunen beseitigen sollen. Dazu wurde den Ermittlern zufolge bereits mit dem Aufbau von sogenannten Heimatschutzkompanien begonnen. Zudem habe das Netzwerk hunderte Waffen zusammengetragen.

Den Beteiligten sei bewusst gewesen, dass es bei der geplanten Machtübernahme Tote geben würde, erklärte die Bundesanwaltschaft bei Anklageerhebung im Dezember. Sie hätten vorgehabt, bewaffnet in das Reichstagsgebäude in Berlin einzudringen und Bundestagsabgeordnete festzunehmen. Dazu seien bereits Liegenschaften des Bundestags ausgekundschaftet worden.

Nach dem gewaltsamen Umsturz wollte demnach der Kern der Gruppe, namentlich Reuß, der Bundesanwaltschaft zufolge mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs über eine neue staatliche Ordnung verhandeln. Zentraler Ansprechpartner sei ihrer Auffassung nach aber nur Russland gewesen.

Den meisten Angeklagten werden Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vorgeworfen. Rädelsführer sollen Reuß und der frühere Bundeswehroffizier Rüdiger von P. gewesen sein.

Mehrere Angeklagte müssen sich außerdem wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung, wegen Waffendelikten oder Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verantworten und einer wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Der Russin Vitalia B.- der einzigen Nichtdeutschen unter den Angeklagten - werden Unterstützung und Beihilfe vorgeworfen.

Die Bundesanwaltschaft erhob im Dezember Anklage gegen insgesamt 27 Menschen. Einer der Angeklagten, Norbert G., starb vor Prozessbeginn.

Wie sollen die Prozesse ablaufen?

In Stuttgart beginnt der Prozess gegen neun Angeklagte am Montag. Das Oberlandesgericht setzte zahlreiche weitere Verhandlungstage bis Anfang 2025 fest.

Ab dem 21. Mai sollen dann in Frankfurt am Main die mutmaßlichen Köpfe des Netzwerks vor Gericht stehen. Nach dem Tod von G. sind es hier noch neun Angeklagte. Das Frankfurter Oberlandesgericht setzte bislang Verhandlungstage bis Mitte Januar kommenden Jahres an.

In Frankfurt wird unter anderem gegen Reuß und von P. verhandelt. Außerdem steht die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann hier vor Gericht. Sie soll im zentralen Gremium der Gruppe, dem sogenannten Rat, für das Ressort Justiz zuständig gewesen sein.

Auch Maximilian E., ebenfalls ein früherer Bundeswehroffizier, ist in Frankfurt angeklagt. Er soll die Gruppe mitgegründet haben und gab im „Stern“ kürzlich zu, unterirdische Gänge unter dem Reichstag und anderen Parlamentsgebäuden erkundet zu haben. Gewalttaten habe er aber nicht geplant. Die Erkundung habe dem Zweck gedient, „gegebenenfalls Parlamentarier beziehungsweise Regierungsmitglieder zur Rede zu stellen“.

Der dritte Prozess soll am 18. Juni in München beginnen. Vor dem dortigen Oberlandesgericht wird gegen acht Angeklagte verhandelt, es sind zunächst 54 Verhandlungstage bis Januar 2025 angesetzt.

Wer genau steht in Stuttgart vor Gericht?

Neun Männer, nämlich Markus H., Matthias H., Marco van H., Markus L., Andreas M., Alexander Q., Ralf S., Wolfram S. und Steffen W. müssen sich hier verantworten. Die meisten von ihnen sollen dem militärischen Arm angehört haben, mehrere sollen sich am Aufbau der Heimatschutzkompanien beteiligt und versucht haben, weitere Mitglieder anzuwerben.

Markus H. soll ebenso wie M. Mitglied des Führungsstabs gewesen sein. Matthias H. und W. sollen für die militärische Ausbildung verantwortlich gewesen sein. Van H. soll angegeben haben, dass er direkt mit der der Allianz in Kontakt treten könne. Darum sei er Verbindungsoffizier zu diesem nicht existierenden Geheimbund geworden.

Q. soll im Auftrag van H.s Verschwörungsmythen im Internet verbreitet und geplant haben, nach der anvisierten Machtübernahme einen eigenen Fernsehsender für Propagandazwecke zu gründen. S. soll sich mit dem Aufbau der IT-Struktur befasst und Laptops mit einer Verschlüsselungstechnik ausgestattet haben.

L. ist wegen versuchten Mordes angeklagt, weil er bei der Durchsuchung seiner Wohnung im baden-württembergischen Reutlingen im März 2022 aus nächster Nähe auf Polizisten geschossen haben soll. Zwei Beamte wurden verletzt.

AFP