Recep Tayyip Erdoğan / Photo: AA (AA)
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Jetzt steuert Türkiye auf Doppelwahlen am 14. Mai zu, die enorme Auswirkungen auf die Zukunft des Landes haben könnten.

In den letzten zwanzig Jahren wurden die politischen Geschicke des Landes von der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) unter der Führung von Recep Tayyip Erdoğan bestimmt, der seit 2002 an der Spitze des Landes steht.

Recep Tayyip Erdoğan wurde 2018 nach einer maßgebenden Verfassungsreform zum ersten exekutiven Präsidenten von Türkiye ernannt.

In Türkiye gibt es seit Einführung des Mehrparteienwahlsystems 1946 ein parlamentarisches System, und in den letzten zwei Jahrzehnten, also seit 2002, wurde das Land von nur einer Partei regiert. Die AK-Partei unter der Führung von Recep Tayyip Erdoğan ist aus allen Wahlen, bei denen sie antrat, als Sieger hervorgegangen.

In diesen Jahren hat Türkiye durch einen innovativen Ansatz bei der Bewältigung innerer und äußerer Herausforderungen einen beeindruckenden Fortschritt erzielt. Das Land hat sich zu einer transformativen Kraft entwickelt, die in weiten Teilen der Welt Hoffnung geweckt hat, insbesondere in Ländern, die schon immer das Nachsehen gegenüber den Weltmächten hatten.

Mit tadellosem diplomatischen Geschick hat die türkische Regierung eine wichtige Rolle bei dem Ausbau vertrauensbildender Maßnahmen und der Schließung von Friedensabkommen in gefährlichen Konfliktgebieten wie der Ukraine und Libyen gespielt.

Derzeit ist Türkiye mit einem BIP von rund 906 Mrd. USD die neunzehntgrößte Volkswirtschaft der Welt. Das Land ist Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der G20 und eine zunehmend wichtige Geberhand von öffentlicher Entwicklungshilfe.

Zwischen 2006 und 2017 setzte das Land unter Führung von Recep Tayyip Erdoğan ehrgeizige Reformen um und erzielte hohe Wachstumsraten, die ihm halfen, den Status eines Landes mit mittlerem Einkommen zu erreichen und die Armut, also den Anteil der Bevölkerung, der unter der Armutsgrenze von 6,85 US-Dollar pro Tag lebt, bis 2020 um fast die Hälfte auf 9,8 Prozent zu reduzieren.

Türkiye verfügt mit 260 diplomatischen und konsularischen Vertretungen über das fünftgrößte diplomatische Netzwerk der Welt.

Der Wechsel auf das Präsidialsystem in Türkiye im Jahr 2017 führte zu einer Neuordnung der politischen Landschaft des Landes und zur Bildung von zwei bedeutenden politischen Bündnissen. Eines davon, die sogenannte Nationale-Allianz, wird von der AK-Partei angeführt und setzt sich aus der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), der Partei der Großen Union (BBP) und der Neuen Wohlfahrtspartei (Yeniden Refah) zusammen.

Das konkurrierende Bündnis, die so genannte Volksallianz, wird von der wichtigsten Oppositionspartei, der mitte-links gerichteten Republikanischen Volkspartei (CHP), angeführt. Ihr gehören des Weiteren die IYI-Partei, eine Mitte-Rechts- und nationalistische Gruppierung, die Deva, Gelecek sowie die Saadet- und die Demokrat-Partei an, wobei sich letztere eher an eine vergleichsweise kleinere Wählerschaft wenden.

Nunmehr rüsten sich die Bündnisse für die richtungsweisenden türkischen Wahlen 2023. Recep Tayyip Erdoğan strebt als Kandidat der regierenden nationalen Allianz eine zweite Amtszeit an. Sein Hauptwidersacher ist Kemal Kılıçdaroğlu, dessen Partei, die Republikanische Volkspartei (CHP), die Volksallianz für die türkischen Wahlen 2023 anführt.

Weiterhin treten neben diesen Kandidaten mit Sinan Oğan, einem Akademiker mit aserbaidschanisch-türkischen Wurzeln, der ebenfalls als Präsidentschaftskandidat der ATA-Allianz bei den anstehenden Wahlen aufgestellt wurde, und dem Vorsitzenden der Memleket-Partei, Muharrem Ince, insgesamt vier Kandidaten bei den türkischen Präsidentschaftswahlen 2023 an.

Da die AK-Partei seit nunmehr mehr als zwei Jahrzehnten an der Macht ist und unter ihrer Führung Türkiye durch Erfolge in verschiedensten Politikfeldern eine bedeutende Position auf der Weltbühne eingenommen hat, sind die türkischen Wahlen 2023 für die regierende Partei von entscheidender Bedeutung, um ihre Vision für das Land weiter umzusetzen.

Hier ein kurzer Überblick über die beeindruckenden Fortschritte von Türkiye in den letzten zwei Jahrzehnten sowie über die anstehenden neuen Quantensprünge, die im Vorfeld der bevorstehenden Wahlen publik gemacht wurden.

Spitzentechnologien in der Verteidigungsindustrie

Als Erdoğan 2003 als Ministerpräsident die Zügel des Landes in die Hand nahm, begann er rasch mit der Umstrukturierung der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes und der verarbeitenden Industrie, wobei er sich dort verstärkt auf die Verteidigungsindustrie konzentrierte, sowie weiterer Schlüsselindustrien, die sich letztlich als besonders wirksam erwiesen, um das wirtschaftliche Wachstum von Türkiye anzukurbeln.

Seitdem verfolgt Türkiye eine solide Produktionspolitik und verringert seine Abhängigkeit von Importen, indem man sich auf die Produktion im eigenen Land konzentriert, insbesondere in den Bereichen Verteidigung bzw. Kraft- und Nutzfahrzeuge.

Innerhalb von zwei Jahrzehnten hat der türkische Verteidigungssektor seine Auslandsabhängigkeit von 80 auf 20 Prozent reduziert.

Da immer mehr Akteure in den besagten Industriezweigen investieren, ist beispielsweise die Verteidigungsbranche vielfältiger geworden und zählt heute mehr als 1.500 lokale Unternehmen – zum Vergleich waren es im Jahr 2002 nur 62 – , die an über 750 Projekten arbeiten.

Belief sich im Jahr 2002 das Gesamtbudget von Türkiye für Verteidigungsprojekte noch auf 5,5 Mrd. USD, hat es inzwischen ein Projektvolumen von 75 Mrd. USD erreicht, einschließlich der Projekte, die sich im Ausschreibungsverfahren befinden, wie Präsident Recep Tayyip Erdoğan kürzlich in einer Erklärung bekannt gab.

2022 erreichten die Rüstungsexporte von Türkiye erstmals ein Rekordvolumen in Höhe von über 3 Mrd. USD und könnten bis Ende des Jahres auf 4 Mrd. USD anwachsen, womit dieses Exportvolumen des Landes mit den gesamten Verteidigungshaushalten einiger europäischer Staaten gleichziehen würde.

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace sagte im Oktober, die türkischen unbemannten Luftfahrzeuge (UAV) seien in modernen Kriegen zu einem "Gamechanger" geworden.

Eines der führenden privaten türkischen Rüstungsunternehmen dieser Branche, Baykar, hat vor kurzem seinen unbemannten Kampfjet Bayraktar Kızılelma (Roter Apfel) vorgestellt und damit Lob und Bewunderung in aller Welt geerntet.

Kızılelma, der im Dezember letzten Jahres seinen Jungfernflug absolvierte, steht für eine bedeutende Erweiterung der Möglichkeiten von langsam fliegenden Aufklärungs- und Kampfdrohnen.

Das unbemannte Kampfflugzeug ist für eine große Bandbreite von militärischen Einsatzgebieten vorgesehen, wie z.B. für strategische Offensiven, Luftnahunterstützung, Raketenoffensiven, Störung bzw. Zerstörung der gegnerischen Luftverteidigung.

Einen weiteren Fortschritt stellt der Kampfpanzer Altay dar, ein militärisches Hochleistungsgerät zur Modernisierung und Verstärkung der Streitkräfte des Landes.

Der Panzer verfügt über eine 120-mm-Rheinmetall-Hauptkanone, ein schweres Maschinengewehr und ein mittleres Maschinengewehr mit dem Kaliber 7,62 mm.

Er soll Panzern und anderen gepanzerten Fahrzeugen zusätzlichen Schutz gegen eine Vielzahl von Bedrohungen wie Panzerabwehrlenkwaffen, Panzerfäusten und anderen Arten von Hohlladungssprengköpfen bieten.

Ergänzt werden diese Errungenschaften der türkischen Verteidigungsindustrie durch das jüngste Mitglied der türkischen Marine, der TCG-Anadolu, dem weltweit ersten Träger für unbemannte Kampfflugzeuge (UCAV) und mithin das größte Waffensystem, das Türkiye je produziert hat.

Die TCG-Anadolu ist in vielerlei Hinsicht einzigartig und wird eine wichtige Stütze für die Kampfkraft der türkischen Armee sein. Sie wird in der Lage sein, Operationen mit anderen nationalen Militärfahrzeugen wie etwa Bayraktar TB-3, Akıncı und Kızılelma-Drohnen sowie mit dem leichten Kampfflugzeug Hürjet durchzuführen.

Der 60-jährige Traum der Türken

Togg ist die erste Elektroautomarke des Landes und ein Symbol für den Hightech-Fortschritt des Landes.

Die Turkish Automobile Joint Venture Group (TOGG) stellte im Dezember 2019 den ersten Elektrofahrzeug-Prototyp des Landes vor. Ziel ist es, bis 2030 eine Million Fahrzeuge in fünf verschiedenen Modellen zu produzieren.

TOGG ist die erste türkische Marke, die 2021 mit ihrem C-SUV-Modell einen iF Design Award erhielt, einen der renommiertesten Designpreise der Welt.

Globale Unternehmen zeigen großes Interesse an Türkiye, wenn es um Investitionen in puncto Elektromobilität geht, verkündete Präsident Recep Tayyip Erdoğan während der Eröffnungszeremonie von TOGG und fügte hinzu, dass das Land mit Unterstützung des Ministeriums für Industrie und Technologie ein Projekt zur Installation von über 1.500 Schnellladestationen in allen 81 Provinzen des Landes vorantreibt.

Großer Gasfund im Schwarzen Meer

Türkiye hat das erste im eigenen Land geförderte Schwarzmeer-Erdgas in sein nationales Netz gepumpt, welches nachhaltig seine Energieunabhängigkeit erhöhen wird.

Im Vorfeld der Wahlen vom 14. Mai kündigte Präsident Recep Tayyip Erdoğan während einer Zeremonie zur Inbetriebnahme des Gaspumpwerks in der Stadt Zonguldak an, dass alle Haushalte zur Feier dieses Tages einen Monat lang kostenlos Gas verbrauchen können, wodurch jeder Haushalt rund 625 Lira (32,2 $) einsparen wird.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat Türkiye auch im Energiesektor bedeutende Entwicklungen erlebt.

Die staatliche Öl- und Gasgesellschaft Turkish Petroleum (TPAO) hat die Fertigstellung der Pipeline bekannt gegeben, die Erdgas vom Schwarzen Meer an die Küste transportieren wird.

Wenn die volle Kapazität erreicht ist, wird Türkiye etwa 30 Prozent seines jährlichen Erdgasbedarfs aus den Reserven am Schwarzen Meer decken und die Abhängigkeit von ausländischem Erdgas damit deutlich verringern.

Fast 25 Kubikmeter Gas pro Monat werden ein Jahr lang den Gasrechnungen aller türkischen Haushalte gutschrieben, und der Erdgasverbrauch in Wohngebieten wird einen Monat lang kostenlos sein, um so Bürger vor steigenden Energiekosten zu schützen.

Erleichterung für Millionen

Eine weitere wichtige Initiative der von Erdoğan geführten Regierungen in den letzten zwei Jahrzehnten ist die Flexibilisierung des Renteneintrittsalters.

Die neue Regelung kommt denjenigen zugute, die vor September 1999, als das Gesetz zur Regelung der Rentenansprüche geändert wurde, ins Berufsleben eingetreten sind und 20 bis 25 Jahre lang sozialversicherungspflichtige Berufe ausgeübt haben.

Nach dem neuen Gesetz wird das Mindestalter für den Eintritt in den Ruhestand – 58 Jahre für Frauen und 60 Jahre für Männer – gelockert, so dass mehr als 2 Millionen Arbeitnehmer sofort in Rente gehen können.

Hauptkonkurrenten und Wahlprogramme

Während Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung ihre beachtlichen Errungenschaften der letzten 20 Jahre hervorheben, werben die Oppositionsparteien mit ihren Versprechungen – wie z. B. die Ermöglichung des visafreien Reisens für türkische Bürger in europäische Länder –, um die Unterstützung und das Interesse der türkischen Bevölkerung auf sich zu lenken.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat das Wahlprogramm der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung im Vorfeld der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2023 bekannt gegeben.

Das 23-Punkte-Manifest konzentriert sich auf die Behebung der Schäden der Erdbeben vom Februar, den Wiederaufbau der Städte in 11 Provinzen und die Schaffung von 6 Millionen neuen Arbeitsplätzen in fünf Jahren, um die Arbeitslosenquote auf 7 Prozent zu senken.

Recep Tayyip Erdoğan verspricht darüber hinaus Investitionen, um die Förderung des Tourismus zu beschleunigen, mit dem Ziel, 90 Millionen Touristen im Land zu beherbergen und 100 Milliarden Dollar an Tourismuseinnahmen zu erreichen. Das Wahlmanifest umfasst ebenso die Bereiche Wirtschaft und Umwelt.

Recep Tayyip Erdoğan verspricht zudem, die Geltung von Türkiye in den Bereichen Energie, Landwirtschaft, Bildung und Verkehr zu stärken und eine "Achse von Türkiye" mit einer Außenpolitik des Friedens und der Stabilität auszubauen.

Wie in Türkiye gewählt wird

Am 14. Mai werden die türkischen Wähler an die Urnen gehen, um ihren nächsten Präsidenten und die Mitglieder des Parlaments zu wählen. Viele betrachten diese Wahl als eine der bedeutendsten in der jüngeren Geschichte.

Der türkische Präsident wird in einem zweistufigen Wahlverfahren gewählt, bei dem ein Kandidat die absolute Mehrheit bzw. mehr als 50 Prozent der landesweiten Stimmen erhalten muss.

Präsidentschaftswahlen

Vier Personen haben die erforderlichen 100.000 Unterschriften gesammelt, um sich als Präsidentschaftskandidaten für die türkischen Wahlen 2023 zu qualifizieren.

Erhält kein Kandidat im ersten Wahlgang eine Mehrheit, findet am 28. Mai der zweite Wahlgang der türkischen Wahlen 2023 statt. Die nationalen Ergebnisse werden vom Obersten Wahlrat (YSK) nach Auszählung aller Stimmen bekannt gegeben.

Die größte türkische Diaspora-Gemeinschaft lebt in Westeuropa, wo sich türkische Arbeiter ab den 1960er Jahren im Rahmen von Anwerbeabkommen nach dem Zweiten Weltkrieg niederließen. Sie stellen mithin die zahlenmäßig größte Gruppierung unter den muslimischen Migranten in Westeuropa dar.

Die Wahlen in der Diaspora werden vom 27. April bis zum 9. Mai abgehalten, wohingegen in Türkiye nur am 14. Mai gewählt wird.