Der libanesische Botschafter in Berlin: Mustapha Adib  (dpa)
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Der libanesische Botschafter in Berlin, Mustapha Adib, hat gute Chancen, neuer Ministerpräsident seines Heimatlandes werden. Der bislang relativ unbekannte Diplomat wurde am Sonntag von den Sunniten als möglicher Nachfolger von Hasan Diab ausgewählt. Diab war nach der Explosionskatatrophe von Beirut mit mehr als 180 Toten zurückgetreten. Im Parlament sollen am Montag die formellen Konsultationen zur Nominierung des neuen Regierungschefs beginnen. Eine Gruppe ehemaliger Ministerpräsidenten habe über die Neubesetzung des Postens beraten und sich für Adib entschieden, erklärten die politischen Spitzenvertreter der Sunniten. Adib ist seit 2013 Botschafter in Deutschland. Der promovierte Politikwissenschaftler gilt als enger Vertrauter des früheren Regierungschefs Nadschib Mikati. Für diesen arbeitete er unter anderem als Kabinettschef. Im politischen System des Libanon sind die Spitzenposten unter den wichtigsten Religionsgruppen aufgeteilt. So ist der Präsident bisher stets ein Christ, der Regierungschef ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit. Präsident Michel Aoun stellte allerdings am Sonntag den Fortbestand dieses konfessionellen Proporzsystems in Frage. Der Libanon solle ein „laizistischer Staat“ werden, forderte er in einer Fernsehansprache.

Aoun:Nur laizistischer Staat kann den Pluralismus schützen

Das bisherige Proporzsystem sei „ein Hindernis für jegliche Reform und den Kampf gegen die Korruption“ geworden, sagte der Staatschef. Politiker und religiöse Führer müssten in den Dialog treten, um eine für alle akzeptable Lösung zu finden. „Ich bin überzeugt, dass nur ein laizistischer Staat den Pluralismus schützen kann“, sagte Aoun. Mit diesen Äußerungen ging der Staatschef erstmals deutlich auf die Forderungen der Protestbewegung ein, die seit vergangenem Oktober gegen die politische Elite des Landes auf die Straße geht. Die Demonstranten machen das religiöse Proporzsystem für die weitverzweigte Korruption und die schwere Wirtschaftskrise im Land mitverantwortlich. Auch die verheerenden Explosionen im Hafen der Hauptstadt Beirut am 4. August sind aus Sicht der Protestbewegung die Folge von Korruption und Inkompetenz in der herrschenden Elite. Die erneute Ernennung eines Ministerpräsidenten auf Grundlage des Proporzsystems lehnen diese Oppositionsgruppen ab. Dutzende dieser Gruppen gaben am Sonntag bekannt, dass sie ein gemeinsames Programm zur Bewältigung der politischen und wirtschaftlichen Krise ausarbeiten wollen. In einem bei einer Kundgebung in Beirut verlesenen Kommuniqué beschrieben sie die Probleme des Landes als Folge der im politischen System herrschenden „Gier“ und forderten tiefgreifende Reformen.

Schritt zur Schaffung einer „strukturierten“ politischen Front

Der Chef der Partei Nationaler Block, Nadschi Abu Chalil, sprach von einem „extrem wichtigen Moment“. Es handle sich um den ersten Schritt zur Schaffung einer „strukturierten“ politischen Front, welche in der Lage sei, die Krise des Landes zu bewältigen. Das Oppositionsbündnis will eine Liste von Persönlichkeiten vorschlagen, die eine unabhängige Übergangregierung bilden sollen. Am Montag wurde der französische Präsident Emmanuel Macron zu seinem bereits zweiten Besuch im Libanon seit der Explosionskatastrophe erwartet. Auch er kritisierte im Vorfeld seiner erneuten Visite die „Zwänge“ des konfessionellen Systems in dem Land, die Reformen fast unmöglich machten. Schon bei seinem Besuch Anfang August hatte Macron tiefgreifende Reformen angemahnt. Macron hatte nach der Katastrophe eine internationale Geberkonferenz für den Libanon organisiert, bei der mehr als 250 Millionen Euro an Hilfsgeldern zusammenkamen. Er knüpfte die Wiederaufbauhilfen jedoch an politische Reformen im Libanon. Die mächtige schiitische Hisbollah-Miliz erklärte am Sonntag, sie sei „offen“ für eine konstruktive Debatte über Macrons Forderung nach einem politischen Wandel. Bedingung sei jedoch, dass alle libanesischen Interessengruppen in dem Prozess berücksichtigt würden, sagte Hisbollah-Chef Hasan Nasrallah.

AFP