Im Lager Al-Hol soll die Terrormiliz YPG Angehörige der Terrormiliz Daesh, deren Familien, aber auch Zivilisten beaufsichtigen, die den Kämpfen in Deir ez-Zor entkommen waren. (Reuters)
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von Ömer Özkızılcık

Mit rund 70.000 Insassen ist das Lager im syrischen Al-Hol der Ort mit der weltweit größten Konzentration an mutmaßlichen Unterstützern der Terrororganisation Daesh und Familien aus deren ehemaligem Herrschaftsgebiet. Die meisten dort Inhaftierten wurden im Zusammenhang mit der Schlacht von Baghuz bei Deir ez-Zor gefangen genommen, wo die Gruppierung ihren letzten Rückzugsort gefunden hatte.

Aber nicht nur die Insassen des Camps sind Terroristen – sondern auch die Betreiber. Die „Leitung“ über die Einrichtung hat die YPG inne, der syrische Ableger der PKK, die seit den 1980er Jahren für mehr als 40.000 Tote in der Türkei verantwortlich ist. Und diese Verwaltungsform hat sich, gelinde gesagt, als nicht sehr effizient erwiesen: Es ist Daesh gelungen, nach dem Verlust der 2014 eroberten Territorien im Irak und in Syrien zumindest auf dem Gelände der Einrichtung in Al-Hol einen „Mini-Staat“ zu errichten.

YPG will kein Verschwinden von Daesh

Die jüngste, groß angekündigte „Anti-Terror-Operation“ im Camp sollte Ordnung schaffen, hat sich jedoch längst wieder als Verschwendung von Ressourcen entpuppt. Auch bei den internationalen Unterstützern der YPG schwindet die Hoffnung, dass diese in der Lage wäre, Daesh und die Familien ihrer Angehörigen zu kontrollieren, und dass sich die Investitionen in die linksradikale Terrortruppe lohnen würden.

Die Entscheidung, das Camp in Al-Hol zu schaffen und die Verantwortung der YPG zu übertragen, war inmitten der Kriegswirren getroffen worden. Heute zeigt sich, dass sie eine Überlebensgarantie für Daesh war. Man hätte bei realistischerem Blick die Fehler von Beginn an vermeiden können.

Während der Westen davon ausging, dass die YPG ein Partner im Kampf gegen Daesh wäre, will der PKK-Klon gar nicht, dass Daesh untergeht. Im Gegenteil, die YPG braucht Daesh, weil deren Existenz der Grund ist, warum der Westen die Gruppierung und ihr „Rojava“-Projekt politisch, finanziell und mit Waffen unterstützt, und erst der Kampf gegen Daesh hat dies für die YPG möglich gemacht. Die YPG ist zwar dazu bereit, Daesh zu bekämpfen, aber nicht, die Terrormiliz zu zerstören.

Seit der Deterritorialisierung von Daesh hat die YPG sogar Vorkehrungen dafür getroffen, dass Daesh auf seine Agenda fokussiert bleibt, damit die westliche Unterstützung für das eigene Projekt nicht abreißt.

Zivilisten nicht von Terroristen getrennt

Der erste Schritt dazu war, die Familien der Daesh-Kämpfer mit Zivilisten zusammenzufassen, die den Kampfhandlungen entkommen waren. Damit hat die YPG sichergestellt, dass die Zivilbevölkerung von Deir ez-Zor weiterhin unter dem Einfluss der Extremisten stand. Dass die Daesh-Mitglieder an einem Ort konzentriert wurden, half ihnen auch, ihr Netzwerk aufrechtzuerhalten. Während die Bildung kleinerer Lager wahrscheinlich viel effektiver gewesen wäre, um die Kontinuität der Truppe zu durchbrechen, hat die YPG mit der aktuellen Lösung Daesh am Ende ein Geschenk gemacht.

Anschließend kam es dazu, dass die YPG systematisch Daesh-Familien, aber auch Gefangene mit Kampferfahrung freigelassen hat. Begründet wurde dies mit angeblichen Zusagen, dass Clans und Stämme sich bereiterklärt hätten, sich um die Betreffenden zu kümmern. Tatsächlich blieben Daesh-Zellen auf diese Weise intakt.

Es gibt eine starke Korrelation zwischen der Neuformation von Daesh, Angriffen gegen das Assad-Regime in der Wüste und der Freilassung von Daesh-Kämpfern und Familien aus Al-Hol.

Daesh tötete im Lager mehr als 40 Kritiker

Längerfristig ist aber die Möglichkeit zur Indoktrination, die Daesh in Al-Hol vorfindet, der gefährlichste Aspekt des Spiels der YPG mit dem Feuer. Die YPG hat so gut wie keine Kontrolle über das Lager. Sicherheitsstrukturen, Verwaltung, Schulen – das alles liegt innerhalb des Lagers de facto in den Händen von Daesh. Deren Strukturen bestimmen innerhalb der Befestigungen des Camps die Abläufe, die YPG bewacht die Ausgänge und sieht zu.

Im eigenen neuen „Mini-Staat“ hat Daesh nun die goldene Gelegenheit, eine neue Generation zu prägen. Die Organisation schreibt die Lehrpläne für die Kinder und diese lernen nichts kennen, was sich außerhalb dieses Mikrokosmos befindet.

Auch die Gerichtsbarkeit liegt längst wieder in den Händen von Daesh: Die YPG musste einräumen, dass mehr als 40 Dissidenten im Lager von Daesh getötet und viele weitere angegriffen worden waren. Erst nach diesem Eingeständnis gab es eine von CENTCOM gebilligte Razzia mit der Verhaftung mutmaßlicher Drahtzieher, Separation bekannter Zellen und Konfiszierung von Waffen.

Allerdings wird sich, wie bereits mehrere Erfahrungen ähnlicher Art zeigen, dieser Schlag gegen Daesh im Lager nicht als nachhaltig erweisen. Für eine kurze Zeit wird die Miliz geschwächt, aber schon in absehbarer Zeit wird sie sich regeneriert haben. Solange sich nicht jeder einzelne Insasse gegen Daesh stellt, werden dessen Strukturen die Oberhand behalten.

Kein zweites Camp Bucca

Die Welt ist derzeit zu sehr mit anderen Problemen beschäftigt, als dass sie dieser Entwicklung große Aufmerksamkeit schenken würde. Dabei wiederholt sich dort gerade die Erfahrung des Camp-Bucca-Gefängnisses im Irak. Dort hatte Daesh frühere Baath-Mitglieder rekrutiert und so die Grundlage für den späteren Terror im Irak und in Syrien gelegt.

Die internationale Gemeinschaft muss die Gefahr ernstnehmen, die von den Daesh-Gefangenen und dem Versagen der YPG in Al-Hol ausgeht. Die Lösung kann nur darin bestehen, die YPG zu entmachten und durch eine neue Exekutivstruktur zu ersetzen, die auf die Rückendeckung der lokalen arabisch-sunnitischen Bevölkerung zählen kann. Diese kennt Daesh, weiß, wie man diese Gefahr eliminieren kann, und sie hat auch den Willen dazu.

Im Irak war die Absetzung von Nouri al-Maliki die Bedingung für eine erfolgreiche Bekämpfung von Daesh. In Syrien wird es von ebenso zentraler Bedeutung sein, die YPG zu ersetzen.

TRT Deutsch