08.12.2021, Berlin: Gerhard Schröder (SPD), Bundeskanzler a.D., und seine Frau So-yeon Schröder-Kim haben vor der Kanzlerwahl auf der Tribüne Platz genommen. (dpa)
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In einem Interview hat Altkanzler Gerhard Schröder insbesondere die Grünen davor gewarnt, gegenüber anderen Ländern „hochnäsig“ aufzutreten und eine „moralisierende“ Außenpolitik zu betreiben. Das Interview wurde am Dienstag bei der Nachrichtenplattform „t-online“ veröffentlicht. Mit Annalena Baerbock übernahm am Mittwoch eine Grünen-Politikerin den Posten als Außenministerin.
Baerbock kündigte „härtere Gangart“ gegen China an
Baerbock hatte in ihren bisherigen außenpolitischen Stellungnahmen eine „werteorientierte“ deutsche Außenpolitik gefordert, die in einen europäischen Gesamtkontext einzubetten sei. Europa müsse sich, so Baerbock, in der Verteidigungspolitik stärker engagieren und seine „Friedensrolle“ in der Welt ernster nehmen.
Zudem hatte Baerbock mehrfach erklärt, einem von ihr befürchteten stärkeren Einfluss „autoritärer Staaten“ entgegentreten zu wollen, wobei sie etwa China, Russland und die Türkei auf eine Stufe stellte. Jüngst hatte sie angekündigt, eine „härtere Gangart“ gegenüber Peking an den Tag legen zu wollen. Im Gespräch sind unter anderem mögliche Boykottmaßnahmen gegen die bevorstehenden Olympischen Spiele.
Vor allem in der deutschen Autoindustrie hatte Baerbocks Aussage Besorgnis ausgelöst, da diese mittlerweile mehr als ein Drittel ihrer Produkte in China absetzt. Deutsche Autobauer betreiben dort außerdem eine Vielzahl an Fabriken und Partnerschaften.
„Am grünen Wesen soll die Welt genesen“ werde nicht funktionieren
Altkanzler Schröder, der von 1998 bis 2005 in einer rot-grünen Koalition mit Joschka Fischer als Außenminister regiert hatte, warnte nun die künftige Regierung vor einem zu nassforschen Auftreten auf internationaler Ebene.
„Ein bisschen mehr Sensibilität in internationalen Fragen, als die Grünen derzeit an den Tag legen, braucht es schon“, äußert Schröder. „Wenn man mit China Weltklimapolitik machen will, kann man das Land nicht jeden zweiten Tag – aus welchen Gründen auch immer – in den Senkel stellen.“
In anderen Ländern nach dem Motto „Am grünen Wesen soll die Welt genesen“ aufzutreten, werde „definitiv nicht funktionieren“.
Isolationspolitik ohne Erfolgsaussicht?
Es liege im deutschen Interesse, mit Blick auf China „ein gutes Verhältnis zu diesem auch ökonomisch und politisch so wichtigen Land zu pflegen“. Gleiches gelte auch für die Beziehungen zu Russland, der Türkei und Saudi-Arabien. Auch da, so der Altkanzler, werde es „nicht gelingen, unseren Maßstab auch zu ihrem zu machen“.
Niemand erwarte von der deutschen Regierung, eigene Wertvorstellungen preiszugeben oder einen kritiklosen Dialog mit anderen Ländern zu führen. Deutschland dürfe aber insbesondere mit Blick auf Länder wie Russland oder China nicht „hochnäsig dozierend daherkommen und politisch die Isolierung dieser Staaten anstreben“. Dies werde insbesondere deshalb nicht gelingen, weil beide Mitglieder des UN-Sicherheitsrates seien. „Eine moralisierende Außenpolitik wird nichts bewirken“, betonte Schröder.
Hohes Ansehen Schröders in Russland und der Türkei
Der Altkanzler ist seit mehreren Jahren Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Energiekonzerns Rosneft und betätigt sich bei der Nord Stream AG. Baerbock sprach sich zuletzt gegen die Inbetriebnahme der fertiggestellten Ostseepipeline Nord Stream 2 aus, die Gas von Russland nach Deutschland liefern soll. Schröder hatte außerdem einst eine „strategische Partnerschaft“ mit der Russischen Föderation ins Leben gerufen. Mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verbindet ihn eine private Freundschaft.

Auch in der Türkei und unter türkischen Einwanderern genießt Schröder hohes Ansehen. Innenpolitisch hatte er eine Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechts in Gang gebracht, die vor allem in Deutschland geborenen Einwandererkindern den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erleichterte.
Zudem galt Schröder als eine der treibende Kräfte hinter der Aufnahme offizieller Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union, die Anfang Oktober 2005 begonnen haben. Im Oktober 2005 war Schröder als erster Regierungschef eines westlichen Landes zu Gast beim damaligen türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan, um gemeinsam das abendliche Fastenbrechen im Ramadan zu begehen.

TRT Deutsch