Pistorius wertet Abhöraffäre als Teil von Putins „Informationskrieg“ / Photo: DPA (dpa)
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Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat die Abhöraffäre bei der Bundeswehr als Teil eines russischen „Informationskrieges“ bezeichnet. Russlands Präsident Wladimir Putin versuche, die deutsche Innenpolitik auseinanderzutreiben, sagte Pistorius am Sonntag in Berlin. „Es handelt sich um einen hybriden Angriff zur Desinformation - es geht um Spaltung, es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben“, sagte der SPD-Politiker. „Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen.“ Deshalb müsse man auf die von Russland veröffentlichte Aufnahme eines Telefonats ranghoher Bundeswehroffiziere besonnen reagieren, „aber nicht weniger entschlossen“.

Das russische Staatsfernsehen hatte am Freitag im Internet den Mitschnitt einer vertraulichen Telefonkonferenz veröffentlicht. Darin ist zu hören, wie Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz mit drei Untergebenen über einen möglichen Einsatz deutscher Taurus-Marschflugkörper in der Ukraine gegen die russischen Angreifer spricht. Damit solle eine Unterrichtung von Pistorius vorbereitet werden, heißt es in der Aufnahme. Parallel zu der Veröffentlichung erhob Russland schwere Vorwürfe gegen Deutschland.

Luft-Boden-Marschflugkörper „Taurus“ (DPA)

Pistorius sagte, Reaktionen aus Moskau, wonach Deutschland einen Krieg gegen Russland vorbereite, seien „völlig absurd“. Einziges Ziel Deutschlands sei, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg zu unterstützen. Personelle Konsequenzen aus der Abhöraffäre lehne er zum jetzigen Zeitpunkt ab. „Das wäre viel zu hoch gegriffen.“ Es müsse aber geklärt werden, ob die Offiziere bei dem abgehörten Telefonat geheime Inhalte besprochen hätten und ob für das Gespräch mit dem Konferenzdienst Webex das richtige Format gewählt worden sei. Nach seiner Auffassung sei der überwiegende Teil der Gesprächsinhalte bereits vorher öffentlich bekannt gewesen. In den nächsten Tagen erwarte Ermittlungserkenntnisse des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Erst dann könne man über Konsequenzen entscheiden, auch in Personalfragen.

Gedanken über Szenarien – Kein grünes Licht

Das Bundesverteidigungsministerium hatte am Samstag erklärt, man gehe davon aus, dass ein Gespräch abgehört worden sei. Man könne allerdings nicht bestätigen, ob die Konversation zu 100 Prozent authentisch sei. Es könnte auch Manipulation vorliegen. Bundeskanzler Olaf Scholz, der eine Taurus-Lieferung an die Ukraine wiederholt abgelehnt hat, hatte von einer „sehr ernsten Angelegenheit“ gesprochen und eine rasche Aufklärung angekündigt.

Scholz ist gegen eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine, weil nach seiner Auffassung dann Bundeswehr-Soldaten mitwirken müssten, was Deutschland dem SPD-Politiker zufolge zu einer Kriegspartei machen würde. In dem Gespräch halten es die Offiziere allerdings auch für möglich, dass die Marschflugkörper des deutschen Herstellers MBDA allein von ukrainischen Streitkräften bedient werden könnten.

Pistorius sagte, er habe die rund 38 Minuten lange Aufzeichnung selbst angehört. Die Offiziere hätten sich Gedanken über verschiedene Szenarien gemacht. „Das ist ihre Aufgabe als Führungskräfte.“ Sie hätten zugleich keinen Zweifel daran gelassen, dass es kein grünes Licht von ihm oder von Scholz zu einem Taurus-Einsatz gegeben habe. Zudem sei ihnen völlig klar gewesen, die Linie nicht zu überschreiten, ab der es eine Kriegsbeteiligung Deutschlands gebe.

Linken-Parteichefin will Taurus nicht an Kiew liefern

Die Linken-Parteichefin Janine Wissler sieht in der Taurus-Abhöraffäre einen weiteren Grund, den Marschflugkörper nicht an die Ukraine zu liefern. „Inhaltlich zeigen die Gespräche noch einmal sehr deutlich, dass die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern brandgefährlich wäre“, sagte Wissler am Sonntag dem „Spiegel“. Mögliche Angriffe „bis nach Moskau“ könnten „eine beispiellose Eskalationsspirale auslösen“, warnte sie.

Wissler forderte zudem die Aufklärung des Vorgangs. „Es ist gefährlich, die Bundeswehr mit dreistelligen Milliardenbeträgen auszustatten, wenn sie nicht einmal in der Lage ist, eine Videokonferenz abhörsicher abzuhalten“, sagte die Linken-Chefin mit Verweis auf das Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro.

Auch der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle kritisierte, dass auch zwei Jahre nach der russischen Invasion der Ukraine „bestimmte staatliche Strukturen in Deutschland nicht hinreichend auf die Sicherheitslage eingestellt zu sein“ scheinen. Es bedürfte einer „Generalrevision der gesamten internen Infrastruktur zur internen Kommunikation sicherheitsrelevanter Stellen in Deutschland“, forderte Kuhle.

Agenturen