Die „Nord Stream 2“-Pipeline wird zum Thema bei Merkel-Besuch in Russland und der Ukraine. (Reuters)
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Beim Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Russland und der Ukraine dürfte es auch um die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 gehen. Erst im Juli hatte es zu dem Projekt eine Einigung mit den USA gegeben, nachdem die Gasleitung für jahrelangen Streit zwischen Berlin und Washington gesorgt hatte. Umstritten ist das deutsch-russische Projekt aber auch innerhalb Europas.

Nord Stream 2 schürt in Kiew Befürchtungen

Die im Juli verkündete Einigung sieht vor, dass die Gasleitung durch die Ostsee ohne US-Sanktionen fertiggestellt werden kann. Im Gegenzug soll der Gastransit durch die Ukraine langfristig vertraglich abgesichert werden - denn Nord Stream 2 schürt in Kiew Befürchtungen, dass die Ukraine an Bedeutung als Transitland für russisches Gas verlieren könnte. Die 1200 Kilometer lange Pipeline soll in weitaus größerem Umfang als bislang russisches Erdgas nach Deutschland bringen. Startpunkt ist die russische Ostseeküste westlich von St. Petersburg, Ziel ist Lubmin unweit von Greifswald. Die gewaltige Pipeline besteht aus zwei Leitungen, die weitgehend parallel zur Route der bereits bestehenden Pipeline Nord Stream verlaufen. Anfang Juni hatte Russlands Präsident Wladimir Putin die Fertigstellung des ersten der beiden Stränge von Nord Stream 2 verkündet.

Washington hält sich zurück

Der Bau der Röhren auf dem Grund der Ostsee verzögerte sich insbesondere wegen Widerstands aus den USA. Ende 2019 verhängte die damalige Regierung von US-Präsident Donald Trump Sanktionen, um die Fertigstellung der Pipeline zu verhindern. Auch Trumps Nachfolger Joe Biden ist der Auffassung, dass sich Deutschland und Europa mit der Pipeline in eine wachsende Abhängigkeit von Russland begeben und dem Gas-Transitland Ukraine schaden. Washington will aber nicht die nach den Trump-Jahren wieder verbesserten Beziehungen zu Deutschland aufs Spiel setzen, deshalb hält es sich zurück.

Transitgebühren sind wichtiger Einnahmefaktor

Kritisch wird die Pipeline auch in Osteuropa gesehen. Der Bau einer zusätzlichen direkten Gasleitung von Russland nach Deutschland schwächt die Position traditioneller Transitländer. Das betrifft neben der Ukraine auch die quer durch Belarus und Polen verlaufende Jamal-Europa-Pipeline. Die Transitgebühren sind für die Länder ein wichtiger Einnahmefaktor. Darüber hinaus macht die Verfügbarkeit alternativer Routen sie entbehrlicher und womöglich zum Ziel politischer Erpressungen. Polen und die Ukraine hatten die Einigung Deutschlands und der USA scharf kritisiert. Sie schaffe eine „zusätzliche politische, militärische und energetische Bedrohung für die Ukraine und Mitteleuropa insgesamt“. Merkels Sprecher Steffen Seibert bekräftigte im Vorfeld der Reise der Kanzlerin, dass die Sorgen der ukrainischen Seite „sehr ernst“ genommen würden. Es bleibe dabei, dass Deutschland dafür eintritt, dass die Ukraine Transitland für russisches Gas bleibt, betonte er.

„Falls Russland Energie als Waffe benutzt, drohen Sanktionen“

Berlin und Washington hatten ihr Vorgehen bereits nach der Einigung im Juli verteidigt: Sollte Russland versuchen, „Energie als Waffe zu benutzen, oder weitere aggressive Handlungen gegen die Ukraine begehen“, seien beide Länder „gemeinsam entschlossen, Russland für Aggressionen und destruktive Aktivitäten zur Rechenschaft zu ziehen“ - auch mit Sanktionen. Deutschland hatte allerdings bereits aus der Sowjetunion seit den 1970er Jahren Energie bezogen, ohne dass es zu politischen Instrumentalisierungen gekommen wäre. Nord Stream 2 soll den Planungen zufolge künftig eine jährliche Kapazität von 55 Milliarden Kubikmetern erreichen. Das ist ebenso viel wie die Kapazität der 2011 eingeweihten ersten Nord-Stream-Pipeline und nach Unternehmensangaben genug, um 26 Millionen Haushalte zu versorgen. Zweifel gibt es daran, ob Nord Stream 2 für die Energieversorgung in Deutschland notwendig und der hohe wirtschaftliche Aufwand für den Betrieb der Pipeline gerechtfertigt ist. Umweltschützer wiederum kritisieren die Pipeline „aus klimapolitischen Gründen“. Erdgas ist ein fossiler Energieträger. Kritiker der Energiewende meinen hingegen, durch den Verzicht auf eigene effiziente Energieträger habe sich Deutschland erst recht von ausländischen Energielieferungen, etwa aus Russland, abhängig gemacht.

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AFP