10.06.2021, Berlin: Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, besichtigen vor der Bundesdelegiertenkonferenz ihrer Partei die Halle in der Station. (dpa)
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Die Grünen ziehen mit der Forderung nach einem höheren Mindestlohn, mehr Hartz-IV und einer besseren Absicherung von Familien in den Wahlkampf. In dem am Samstag verabschiedeten sozialpolitischen Kapitel des Wahlprogramms werden ein Mindestlohn von zwölf Euro, die Ausweitung des Elterngeldes sowie als Sofortmaßnahme 50 Euro mehr bei Hartz IV verlangt. Am Nachmittag haben die Delegierten des Online-Parteitags Parteichefin Annalena Baerbock offiziell zur Kanzlerkandidatin gekürt. Sie erhielt 98,5 Prozent der Stimmen. Mit dem Beschluss wurden zugleich Baerbock und der Ko-Parteivorsitzende Robert Habeck zum Spitzenduo der Partei für die Bundestagswahl gewählt. Baerbock soll zudem gemeinsam mit Ko-Parteichef Robert Habeck das Spitzenduo für den Wahlkampf bilden. In der Debatte um den Mindestlohn stimmte der Parteitag gegen die weitergehende Forderung, den Mindestlohn auf 13 Euro zu erhöhen. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner argumentierte, die Grünen befänden sich mit ihrer Forderung nach zwölf Euro in einem „sehr breiten Bündnis“ mit den Gewerkschaften. „Der Kampf ist hart genug, zwölf Euro durchzusetzen“, sagte Kellner. Bei weiteren Erhöhungen des Mindestlohn soll dem Programm zufolge gelten, dass sie mindestens der Entwicklung der Tariflöhne entsprechen muss, heißt es in dem Beschluss. Leiharbeiter sollten vom ersten Tag an den gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekommen wie Stammbeschäftigte. Zudem wollen die Grünen die Tarifbindung erhöhen. Der Hartz-IV-Satz soll als Sofortmaßnahme in einem ersten Schritt um 50 Euro erhöht werden. Eine weitergehende Forderung der Grünen Jugend nach einer Anhebung um 200 Euro lehnten die Delegierten hingegen ab.

Mietpreisbremse soll entfristet werden

Die Grünen plädieren in ihrem Wahlprogramm zudem dafür, Mietobergrenzen im Bestand mit einem Bundesgesetz zu ermöglichen sowie die Mietpreisbremse zu entfristen und nachzuschärfen. Einen Antrag der Grünen Jugend, in dem die Vergesellschaftung der Bestände von Wohnungsbaugesellschaften befürwortet wird, lehnten die Delegierten aber ab. Als Lehre aus der Corona-Krise wollen die Grünen den öffentlichen Gesundheitssektor stärken. Um Pandemien zukünftig effektiv und nachvollziehbar zu bekämpfen, sollen Stufen zur Eindämmung von Pandemien im Infektionsschutzgesetz definiert und Pandemieschutzpläne aktualisiert, wie es im Wahlprogramm heißt. Das Elterngeld wollen die Grünen auf 24 Monate ausweiten: pro Elternteil je acht Monate, weitere acht Monate können flexibel untereinander aufgeteilt werden. Die Forderung, das umstrittene Ehegattensplitting auch für bestehende Ehen abzuschaffen, fand keine Mehrheit. Das Rentenniveau wollen die Grünen langfristig auf mindestens 48 Prozent festschreiben. Bei der kapitalgedeckten Zusatzvorsorge plädiert die Partei dafür, die Riester-Rente durch einen öffentlich verwalteten Bürgerfonds zu ersetzen.

Umbau der Wirtschaft eine „zutiefst soziale Frage“

Das gesamte Programm zur Bundestagswahl soll am Sonntag beschlossen werden. Am Freitag hatten die Delegierten beim Klimaschutz die Linie der Parteiführung gestützt und schärfere Forderungen beim CO2-Preis oder dem Tempolimit abgelehnt. Mit Spannung wurde am Samstag die Rede von Baerbock erwartet, die zuletzt wegen Fehler in ihrem Lebenslauf, aber auch Äußerungen zur Anhebung des Benzinpreises in die Kritik geraten war. Sie hatte ebenso wie die Grünen als Partei in den jüngsten Umfragen Federn gelassen und liegen jetzt auf Platz zwei hinter der Union. DGB-Chef Reiner Hoffmann bezeichnete in seinem Grußwort zum Parteitag den klimagerechten Umbau der Wirtschaft als „zutiefst soziale Frage“. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Grünen seien sich einig, dass der Weg zu einer CO2-neutralen Wirtschaft „auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und eine Frage für die Zukunft der Demokratie“ sei, sagte Hoffmann.

AFP