Symbolbild. Eine Lehrerin unterrichtet mit ihrem Kopftuch. (dpa)
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Das Berliner Neutralitätsgesetz mit dem Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen sorgt erneut für heftigen Zwist in der rot-rot-grünen Koalition. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) und die Grünen-Fraktion reagierten am Dienstag mit harscher Kritik auf die Äußerung der Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Scheeres hatte angekündigt, nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes gegen das Kopftuchverbot nun das Bundesverfassungsgericht anrufen zu wollen.

„Das ist sinnfreie Prozesshanselei“, sagte Behrendt auf dpa-Anfrage. „Wir sind verwundert, dass neuerdings Verfassungsbeschwerden ohne Senatsbeschluss eingereicht werden.“ Die Bildungsverwaltung sei mit ihrer Rechtsauffassung beim Neutralitätsgesetz durch alle Instanzen unterlegen. „Es ist bedauerlich, dass die Bildungsverwaltung trotz rechtlicher Bedenken an ihrem Vorgehen festhalten möchte. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Novellierung des Neutralitätsgesetzes unnötig verschleppt werden soll.“

Das schon länger umstrittene Neutralitätsgesetz untersagt Pädagogen und Lehrkräften an allgemeinbildenden Berliner Schulen – aber auch Richtern und Staatsanwälten, Polizisten und Justizmitarbeitern – das Tragen religiöser Symbole im Dienst.

Im August 2020 hatte das Bundesarbeitsgericht die Regelung in Frage gestellt. Einer Muslimin, die wegen ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst übernommen worden war, sprach das Gericht eine Entschädigung von rund 5159 Euro zu, weil sie wegen ihrer Religion diskriminiert worden sei. Es bestätigte damit eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom November 2018, wogegen das Land in Revision gegangen war.

Gleichzeitig verwiesen die Erfurter Richter auf die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach ein generelles, präventives Verbot religiöser Symbole oder Kleidungsstücke nicht rechtens ist. Vielmehr müssten konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Schulfriedens vorliegen.

Teile der SPD halten an Kopftuchverbot fest

Während sich seinerzeit Behrendt, die Grünen und auch die Linke in ihrer Ablehnung des Neutralitätsgesetzes bestätigt sahen und eine Abschaffung oder Novellierung forderten, halten Senatorin Scheeres und zumindest Teile der SPD daran fest. Nach monatelanger Prüfung der Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichtes will Scheeres in Karlsruhe nun Verfassungsbeschwerde einlegen, wie am Montagabend zuerst „Bild“ und „B.Z.“ berichteten.

Am Dienstag informierte die SPD-Politikerin darüber den Senat. Dort habe es eine „breitere Debatte“ gegeben, berichtete Umweltsenatorin Regine Günther (Grüne). Es handele sich um ein Vorhaben der Senatsbildungsverwaltung und nicht des gesamten Senats, so Günther. Im Senat sei nicht zuletzt darüber gesprochen worden, inwieweit das Bundesverfassungsgericht überhaupt zuständig ist. „Es wurden da die Meinungen ausgetauscht. Aber die Senatsverwaltung für (Bildung und) Familie hat gesagt, sie wird ihren Weg weitergehen.“

Kritik von den Grünen – Scheeres' Vorgehen „mehr als verwunderlich“

Weder Scheeres selbst noch ihre Senatsverwaltung äußerten sich am Dienstag zu dem ganzen Vorgang. Umso deutlicher wurde die Kritik der Grünen-Fraktion: „Mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts liegt (...) eine eindeutige höchstrichterliche Bewertung des Berliner Neutralitätsgesetzes vor. Dieses hat bekräftigt, dass das aktuelle Gesetz rechts- und verfassungswidrig ist“, erklärte der Grünen-Sprecher für Antidiskriminierung, Sebastian Walter.

Scheeres' Vorgehen sei „mehr als verwunderlich“ und lasse eine „Verschleppungsstrategie“ befürchten. „Was wir stattdessen erwarten, ist ein Bekenntnis zu einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Klarstellung, die rasch auf den Weg gebracht werden muss“, so Walter.

Rechtswissenschaftler sieht für Klage „keinerlei Chance“

Der Rechtswissenschaftler Christian Pestalozza sieht für die Klage „keinerlei Chance“. Das Verfahren werde schon wegen Unzulässigkeit scheitern, weil das Land Berlin selbst gar nicht berechtigt sei, eine Verfassungsbeschwerde einzureichen, betonte der emeritierte Professor bei „rbb Inforadio“.

Die Beschwerde habe zudem schon deshalb keine Aussicht auf Erfolg, da sich das Bundesverfassungsgericht bereits 2015 zur Frage religiöser Symbole im Unterricht geäußert habe. „Dieses strikte Verbot wird reduziert auf die Fälle, in denen konkret der Schulfrieden durch das Tragen des religiösen Symbols gefährdet ist“, sagte Pestalozza.

TRT Deutsch und Agenturen