03.11.2021, Frankreich, Beaune: Die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) winkt, als sie in Begleitung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dessen Ehefrau Brigitte Macron bei ihrem Abschiedsbesuch in Beaune von einer jubelnden Menschenmenge empfangen wird. (dpa)
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„Vive Mutti“ (Es lebe Mutti), riefen viele Schaulustige, die während des Abschiedsbesuchs der Bundeskanzlerin am Mittwochabend in Beaune im Burgund hinter den Absperrgittern warteten. Unter Missachtung des offiziellen Programms zogen der Gastgeber, Präsident Emmanuel Macron, und Angela Merkel ihr Bad in der Menge genüsslich in die Länge. Macron, der längst im Wahlkampfmodus ist, schüttelte eifrig Hände. Merkel beschränkte sich freundlich lächelnd auf zahlreiche Faust-an-Faust-Kontakte mit den Zuschauern. Mit etwas Abstand hintendrein kamen die beiden Ehepartner, Joachim Sauer und Brigitte Macron. Für Merkel ist Macron der vierte französische Präsident, mit dem sie in ihrer Amtszeit zu tun hatte. „Das Schöne, egal mit welchem Präsidenten ich zusammengearbeitet habe, war immer, dass wir vom gleichen Wertegerüst kommen, aber als ersten Gedanken meistens einen unterschiedlichen Gedanken hatten“, sagte die Kanzlerin rückblickend. Für Macron war Merkel anfangs eine große Bremserin - und am Ende die entschlossene Staatsfrau, die mit ihm zusammen den Weg für das 750 Milliarden schwere Corona-Wiederaufbaupaket frei machte. „Du hast während all der Jahre Europa zusammengehalten“, sagte der Präsident. Persönlicher Abschied und ein gemeinsames Abendessen Es sollte ein sehr persönlicher Abschiedsabend werden. Der Elysée-Palast hatte den Weinort Beaune im Burgund ausgesucht, ein Ort, der für französische Lebensart steht. Die Menge, die die beiden empfing, war fröhlich gestimmt. Ein einzelner Protestrufer wurde von Sicherheitsleuten weggebracht. In dem im 15. Jahrhundert gegründeten, ehemaligen Krankenhaus von Beaune mit seinen bunten Dachziegeln sahen sich Merkel und Macron den „Saal der Armen“ an, wo früher die Kranken gepflegt wurden - ein passendes Bild zum Abschluss ihrer Zusammenarbeit, die während der Pandemie noch enger geworden war als zuvor. Am Abend zeichnete der französische Präsident Merkel mit dem Großen Kreuz der Ehrenlegion aus, mit dem auch ihre Vorgänger geehrt worden waren. Im Château du Clos de Vougeot inmitten von Weinbergen sollten die beiden Ehepaare zu viert zu Abend essen, und zwar traditionell-deftige Gerichte aus der Region: Eier in Rotweinsoße und Rind in Rotweinsoße, zubereitet von einem Sternekoch. Dazu natürlich lokale Weine aus besten Lagen und Jahrgängen. Merkel wird sich bei ihrem Abschiedsbesuch vielleicht an ihren Antrittsbesuch nach ihrer Wahl erinnert haben. Damals begrüßte Jacques Chirac sie mit einem für sie sichtlich ungewohnten Handkuss. Sie könnte auch an Nicolas Sarkozy zurückgedacht haben, der sie an den zappeligen Schauspieler Louis de Funès erinnerte, oder an den gediegenen François Hollande, dem sie nach den Pariser Attentaten 2015 eng zur Seite stand. Holpriger Start mit unerfahrenem Macron 2017 bekam Merkel einen politischen Partner, der noch nicht mal 40 Jahre alt und hochmotiviert war. Macron musste seine Ungeduld zügeln, als er in seiner Sorbonne-Rede 2017 ein Feuerwerk an Vorschlägen für eine EU-Reform zündete - und aus Berlin erstmal keine Antwort kam, weil sich die damaligen Koalitionsverhandlungen in die Länge zogen. Später fanden Merkel und Macron gut zusammen. In Meseberg legten sie 2018 die Grundlage für ein Budget der Eurozone, im Vertrag von Aachen schufen sie eine binationale parlamentarische Versammlung. Als Macron vor zwei Jahren den „Hirntod der Nato“ verkündete, soll ihr allerdings der Kragen geplatzt sein. „Wir haben uns aufeinander eingelassen und voneinander gelernt“, sagte Merkel zum Abschied und dankte Macron für die gemeinsame Zeit. Aus französischer Sicht war das Wiederaufbaupaket sicher einer der Höhepunkte der deutsch-französischen Zusammenarbeit während Macrons Amtszeit. Zuvor hatte Frankreich lange vergeblich um die gemeinsame Aufnahme von Schulden in der EU geworben. In Paris blickt man bereits mit Spannung auf Merkels wahrscheinlichen Nachfolger Olaf Scholz, der im September bereits zum Kennenlernen bei Macron im Elysée-Palast war.

AFP