EU-Türkei-Deal: Milliarden statt Flüchtlinge (dpa)
Folgen

Hunderttausende Flüchtlinge kamen 2016 in die Europäische Union: Unter massivem Druck handelte die EU den sogenannten Flüchtlingsdeal mit dem wichtigen Transitland Türkei aus. Fünf Jahre später kommen zwar deutlich weniger Migranten. Doch der Deal ist brüchig. Beim Gipfel Ende März dürfte die EU über die künftigen Beziehungen beraten. Hat der Deal mit dem türkischen Partner eine Zukunft? GRENZSCHUTZ

Ankara verspricht in dem Abkommen, „alle erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, um neue See- und Landrouten für illegale Migration von der Türkei in die EU zu verhindern. 2019 waren es der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR zufolge knapp 60.000. Zum Vergleich: 2015 waren es rund 857.000. 2020 haben, auch wegen Corona, 9714 Menschen übergesetzt. UMSIEDLUNG UND RÜCKNAHME

Die Türkei verpflichtet sich, jeden Migranten, der irregulär auf die griechischen Inseln gelangt und kein Asyl erhält, zurückzunehmen. Im Gegenzug will die EU für jeden rückgeführten Syrer einen anderen Syrer aus der Türkei aufnehmen. Das funktioniert jedoch kaum - unter anderem, weil die griechischen Behörden mit dem Bearbeiten der Asylanträge auf den Inseln nicht hinterherkamen und die juristischen Einsprüche der Asylsuchenden bei den ohnehin überlasteten Gerichten hängen blieben. Bis März 2021 schickte die EU rund 2740 Migranten zurück in die Türkei. Die EU-Staaten nahmen 28.621 Menschen auf - deutlich weniger als im Abkommen in Aussicht gestellt. AUSBAU DER ZOLLUNION

Davon würde die Türkei wirtschaftlich stark profitieren. Die Zollunion für weniger Handelshemmnisse zwischen der EU und der Türkei sollte modernisiert werden. Daraus wurde allerdings nichts. Unter anderem liegt das an der ungeklärten Zypern-Frage.

DEAL-UPDATE

Für beide Seiten hat der Deal Vorteile. Die EU kann sich schon seit Jahren nicht auf eine Reform der Asylpolitik einigen - solange scheinen Abkommen mit Drittstaaten eine willkommene Lösung. Die Türkei profitiert von der Unterstützung, mit der auch dauerhafte Strukturen zur Versorgung von Migranten geschaffen werden. Ein Großteil der Syrer will in der Türkei bleiben. Sollte Präsident Erdoğan seinen versöhnlicheren Kurs beibehalten, stehen die Chancen nicht schlecht auf weitere Vereinbarungen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell blieb Montag jedoch vage: Es müsse eine neue Vereinbarung dieser Art geben, sagte er. SYRER UND SYRERINNEN IN DER TÜRKEI

Offiziell liegt die Zahl der syrischen Flüchtlinge in der Türkei bei 3,6 Millionen, tatsächlich dürften noch 1 bis 2 Millionen unregistrierte hinzukommen. Die meisten von ihnen arbeiten illegal, 2019 etwa hatten nur knapp über 30.000 der syrischen Geflüchteten eine Arbeitserlaubnis in der Türkei. Die Corona-Krise traf viele hart. SITUATION AUF DEN GRIECHISCHEN INSELN

Besonders in diesem Punkt wird die Vereinbarung viel kritisiert. Das Aufnahmesystem für Migranten auf den griechischen Inseln sei „weitgehend dysfunktional“, urteilt etwa Karoline Popp, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des Sachverständigenrats für Integration und Migration. Die Lager seien seit Jahren überfüllt, Menschen lebten unter schlechten Bedingungen. Amnesty International nennt das Abkommen einen „erbärmlichen Fehler“.

dpa