03.04.2022, Ungarn, Budapest: Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn, dankt jubelnden Anhängern während einer Wahlparty in Budapest. (dpa)
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Ungarn muss sich wegen behaupteter Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien als erstes Land einem Verfahren zur Kürzung von EU-Mitteln stellen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Dienstag im Straßburger Europaparlament an, dass ihre Behörde den ersten Schritt des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus unternehmen werde. Darüber habe die EU-Kommission die ungarischen Behörden am Dienstag informiert. „Bei Ungarn, wir haben uns sehr klar ausgedrückt, ist das Problem Korruption“, sagte von der Leyen. Man sei derzeit nicht in der Lage, einen gemeinsamen Nenner zu finden.
Ungarn kann Abhilfemaßnahmen vorschlagen
Zunächst einmal kann Budapest nun binnen einer Frist von mindestens einem Monat und maximal drei Monaten Stellung zu den Vorwürfen beziehen und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen vorschlagen. Die EU-Kommission berücksichtigt dies dann bei der Entscheidung darüber, ob sie den EU-Staaten tatsächlich vorschlagen wird, Ungarn EU-Mittel zu kürzen. Auch dazu könnte Budapest sich dann noch einmal äußern. Letztlich braucht es dann noch die Zustimmung von mindestens 15 EU-Staaten mit mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung.
Der sogenannte EU-Rechtsstaatsmechanismus ist seit Anfang 2021 in Kraft. Er soll dafür sorgen, dass Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung nicht mehr ungestraft bleiben. Entscheidend dabei ist, dass durch die Verstöße ein Missbrauch von EU-Geldern droht.
Polen und Ungarn sehen sich in besonderem Maße im Fokus des Instruments und haben deshalb dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. Dieser wies die Klagen im Februar jedoch ab. Beide Staaten bekommen jährlich Milliarden aus dem Gemeinschaftsbudget.
Von der Leyen: Polnische Justiz nicht unabhängig
Mit Blick auf Polen betonte von der Leyen am Dienstag, dass die polnische Justiz nicht ausreichend unabhängig sei. Sie bekräftige ihre bekannten Forderungen an Warschau, wonach die Disziplinarkammer aufgelöst werden müsse, das Disziplinarregime reformiert und unrechtmäßig entlassene Richter wiedereingesetzt werden müssten. Ein entsprechendes Gesetz müsse die Regierung durch das Parlament bringen. „Wir sind nah dran, aber wir sind noch nicht am Ziel“, sagte von der Leyen. Erst wenn all die Bedingungen erfüllt seien, werde die EU-Kommission die milliardenschweren Corona-Hilfen an Polen auszahlen. Auch an Ungarn ist das Geld bislang nicht ausbezahlt worden. Das Zurückhalten der Corona-Hilfen ist neben dem Rechtsstaatsmechanismus ein weiteres Druckmittel der EU-Kommission.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban dürfte sich in seinem Kurs allerdings bestärkt fühlen. Seine konservative Fidesz-Partei gewann am Sonntag deutlich die Parlamentswahl. Sie kam auf 53 Prozent der Stimmen und sicherte sich damit das vierte Mal in Folge eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Parlament.
Das Europaparlament macht schon seit langem Druck auf die EU-Kommission, den Rechtsstaatsmechanismus auszulösen. Die Behörde betonte jedoch stets, auf das EuGH-Urteil warten zu wollen. Dadurch sei kein Fall verloren gegangen, sagte von der Leyen auch am Dienstag. Das Parlament verklagte die EU-Kommission wegen ihrer Zögerlichkeit sogar vor dem EuGH - das Verfahren läuft noch. In den betroffenen Staaten argwöhnt man hingegen, die sogenannten Rechtsstaatlichkeitsbedenken seien für die Kommission in Brüssel nur ein Vorwand, um sich in interne Angelegenheiten von Mitgliedstaaten einzumischen, deren Regierungspolitik ideologischen Vorstellungen Brüsseler Politiker nicht genügt.

dpa