Die unheimlich nette Madame Le Pen – Sinneswandel oder politisches Kalkül? (Archivbild) (Reuters)
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Sie liebt Katzen, hat ein Herz für Kinder und neuerdings sogar für Muslime: Viele Franzosen reiben sich derzeit verwundert die Augen über die Wandlung der Rechtspopulistin Marine Le Pen. In Online-Netzwerken und Interviews wird die als Scharfmacherin bekannte 52-Jährige nicht müde, ihre „feminine“ Seite zu betonen. Plötzlicher Sinneswandel oder politisches Kalkül? Denn nie war die Chance für Le Pen so groß, erste Präsidentin Frankreichs zu werden. Rund ein Jahr vor der Wahl sehen fast alle Meinungsforscher die Chefin des Rassemblement National (RN, Nationale Sammlungsbewegung) im Aufwind. Während Le Pen im Mai 2017 in der Stichwahl Emmanuel Macron noch deutlich unterlag, muss der Amtsinhaber diesmal ein Kopf-an-Kopf-Rennen fürchten. Nach „Gelbwesten“-Protesten und einem Zickzackkurs bei der Pandemiebekämpfung halten rund 60 Prozent der Franzosen Macron für einen „schlechten Präsidenten“. Auch die linksgerichtete Jean-Jaurès-Stiftung sieht laut einer gerade veröffentlichten Studie eine „nicht unerhebliche Möglichkeit“, dass Le Pen im kommenden Jahr einen Triumph feiern kann. Denn viele Wähler scheinen nicht mehr bereit zu sein, Macron zu wählen, nur um die Rechtpopulistin zu verhindern. Lieber enthalten sie sich - was im Zweifelsfall der Rechtsaußen-Frau nützt. Oder sie halten Le Pen angesichts der Grabenkämpfe bei den Konservativen sogar für eine echte Alternative.

Le Pen wirbt mit dem Schlachtruf „Franzosen, erwachet!“

Die „republikanische Front“ gegen sie sei „überholt“, sagte Le Pen diese Woche. Diese Front hatte immerhin seit fast 20 Jahren Bestand: Sie bildete sich 2002, als es ihr Vater Jean-Marie Le Pen erstmals überraschend in die Stichwahl zum Präsidenten schaffte. Um den Rechtsextremen zu stoppen, gaben auch weite Teile der Linken eine Wahlempfehlung für Amtsinhaber Jacques Chirac ab. Chirac triumphierte schließlich mit gut 80 Prozent der Stimmen.

Die unheimlich nette Madame Le Pen – Sinneswandel oder politisches Kalkül? (Others)

Aus der krachenden Niederlage ihres Vaters hat Marine Le Pen gelernt. Sie hat sich der „Entteufelung“ der ehemaligen Front National verschrieben, sie in „Sammlungsbewegung“ umbenannt und ihren Vater aus der Partei geworfen. Nun hofft sie nicht nur auf die Stimmen enttäuschter Konservativer und Linker, sondern auch auf desillusionierte Macron-Anhänger. Dafür will Le Pen nach eigenen Worten die „Rüstung ablegen“, die sie sich in den zehn Jahren an der Parteispitze zugelegt hat. Lehnte sie früher Fragen zu ihrem Privatleben ab, veröffentlicht sie nun Fotos mit ihren Katzen im Internet und plaudert in einem Video-Interview mit der rechtsgerichteten Zeitschrift „Valeurs Actuelles“ über Kindererziehung und Werte. Das ist eine völlig andere Marine Le Pen als jene, die sich auf Parteitreffen von Glatzköpfigen in Springerstiefeln bejubeln lässt. Denn nicht nur „besorgte Bürger“ umwirbt die Rechtspopulistin, sondern auch die rechtsextreme Klientel. Unter dem Schlachtruf „Franzosen, erwachet!“ wirbt Le Pen für einen Einwanderungsstopp, ein Kopftuchverbot im öffentlichen Raum und eine „patriotische“ Wirtschaftspolitik.

„Regierung der nationalen Einheit“

Im Fall eines Wahlsiegs will sie eine straff von oben organisierte „Regierung der nationalen Einheit“ bilden. Eine in ihren Augen chaotische „Koalition wie in Deutschland“ lehnt sie ab. Zudem will sie die Präsidenten-Amtszeit wieder von fünf auf sieben Jahre verlängern. In einigen Punkten hat sich Le Pen allerdings gemäßigt: Ihre unpopuläre Forderung nach einem Abschied vom Euro hat sie aufgegeben. Zudem wirbt sie offensiv um Stimmen der fünf Millionen französischen Muslime, von denen nach ihren Worten „viele bereits assimiliert sind“. Einen Stimmungstest gibt es bei den Regionalwahlen im Juni. Und wenn es bei der Präsidentenwahl 2022 dennoch nicht reicht? Kein Problem, antwortet Le Pen in einem Interview lachend. Sie liebe es zu gärtnern und zu malen - und außerdem habe sie ja ihre Katzen.

AFP