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Die spannendste Wahl in Österreich in diesem Jahr ist die Wien-Wahl. Die Metropole mit ihren knapp zwei Millionen Einwohnern ist ein eigenes Bundesland und wählt Gemeinderat sowie Bürgermeister, also de facto den Landtag und Landeshauptmann.

Die Wahl ist in mehrfacher Hinsicht bedeutend für die österreichische Politik. Sie ist zum einen die erste große Wahl inmitten der Corona-Epidemie und zum anderen ein politischer Stimmungstest. Die Pandemie wird hierbei auch zunehmend zu einem Zankapfel zwischen der Bundesregierung und Wiener Landesregierung – insbesondere zwischen der konservativen Kanzlerpartei und der roten Stadtregierung, die sich gegenseitig Versäumnisse und Fehler vorwerfen.

Des Weiteren ist Wien eines der wenigen Bundesländer, in denen sich die Sozialdemokraten Erfolge erhoffen können und wo sie aus einer Position der Stärke agieren. Die Bundes-SPÖ hängt in hohem Maße von ihrer Stärke in Wien ab und auch jetzt wird im Allgemeinen ein Wahlsieg der Sozialdemokraten erwartet. Die Umfragen zeigen, dass der amtierende Bürgermeister Michael Ludwig etwa 40% der Stimmen bekommen könnte, dennoch ist er im Wahlkampf noch unerprobt und folgt einem populären Amtsvorgänger nach.

Die Wahlen finden erstmals seit längerem in einem Kontext statt, in der der wichtigste Gegner der SPÖ, die rechtspopulistischen Freiheitlichen, die 2015 noch 30% erreichten, einen Totalabsturz erlitten haben und laut Umfragen nur noch mit etwa 10% rechnen können. Von Skandalen erschüttert, gespalten, auch auf Bundesebene in einer Schwächephase und mit dem wenig zugkräftigen Parteichef Dominik Nepp an der Spitze kämpft die FPÖ derzeit auf relativ verlorenem Posten. Nepp übernahm die Partei, nachdem infolge des Ibiza-Skandals die beiden dominanten Wiener FPÖ-Persönlichkeiten Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus zurücktreten mussten.

Die Situation der Freiheitlichen wird zusätzlich dadurch erschwert, dass nach einer kurzen politischen Auszeit, Strache mit einer neuen Liste wieder in die Politik zurückkehrte und nun mit der Gruppierung „Team HC Strache“ seiner ehemaligen Partei Konkurrenz macht. Strache ist bei der FPÖ-Basis immer noch beliebt und liegt laut Umfragen bei etwa 5%, womit er in den Gemeinderat einziehen würde. Ob diese Liste, die ihrerseits Teil der von abtrünnigen Wiener FPÖ-Gemeinderäten gegründeten „Allianz für Österreich“ (DAÖ) ist, auf Dauer bestand hat, ist mehr als fraglich. Trotz laufender Untersuchungen gegen Strache wegen Unterschlagung, des Vorwurfs private Ausgaben seiner ehemaligen Partei verrechnet zu haben und einer Kontroverse, ob Straches wirklicher Wohnsitz tatsächlich in Wien sei, ist der Ex-FPÖ Chef ein politisch relevanter Faktor. Denn die FPÖ-Wien hat derzeit niemanden, der an Medien- und Wahlkampferfahrung an Strache herankommt.

Die Türkisen, wie sich die christlich-konservative Volkpartei unter der Obmannschaft von Kanzler Sebastian Kurz nun bezeichnet, hofft von der Schwäche der FPÖ zu profitieren und ihre historische Niederlage beim letzten Mal ausmerzen zu können. Vor fünf Jahren erreichten sie weniger als 10%, können aber laut Umfragen nun mit knapp über 20% rechnen. Der Statthalter von Sebastian Kurz in Wien, Finanzminister Gernot Blümel, zählt zu den engsten Vertrauten des Kanzlers. Da sich die ÖVP bundesweit mit über 40% in einer Hochphase befindet und von konservativer Regierungsseite immer wieder Spitzen gegen Wien vorgebracht wurden, wird das Abschneiden der Türkisen sehr genau beobachtet.

Somit treten in Wien drei Rechtsparteien gegeneinander an, die thematisch die Bereiche Zuwanderung sowie öffentliche Sicherheit und Ordnung thematisieren. Interessanterweise sind es vor allem ÖVP und FPÖ, die auf das Thema Ausländer und Integration setzten, während Strache eher die populistische Karte spielt und direkte Demokratie sowie Kontrolle der Mächtigen einfordert.

Auf der Linken mühen sich die Sozialdemokraten mit einem Grünen Koalitionspartner in Wien ab. Dieser fungiert als der notwendige Mehrheitsbeschaffer, befindet sich jedoch auf Bundesebene seinerseits in einer Koalition mit den Türkisen. Hierbei sitzen die Grünen gerade bei den Auseinandersetzungen zwischen Bund und Stadt über Covid-19 zwischen den Stühlen. Die grüne Obfrau Birgit Hebein stammt aus Kärnten und musste die Partei in einer Phase innerer Spannungen übernehmen. Ihr fällt der Wahlkampf sichtbar schwer und sie hat Mühe, sich neben den übermächtigen Sozialdemokraten in Wien zu behaupten. Auch auf Bundesebene gelingt es den Grünen nicht wirklich, der dominanten Kanzlerpartei politisch Paroli zu bieten. Dennoch zählt die kosmopolitische Großstadt Wien zum Kernland der Grünen. Einige der bunten Innenstadtbezirke mit ihrer hochgebildeten und politisch progressiv-alternativen Wählerschaft mit gutem Einkommen sind Grüne Hochburgen und werden gemeinhin als Bobostan bezeichnet: in Anspielung auf die gerne als „bourgeois“ und „bohémien“ (BoBos) bezeichnete Bevölkerung. Auch können die Grünen auf das stets dominante Thema Umwelt setzten, das von ihnen beinahe konkurrenzlos bedient wird.

Wien ist auch ein gutes Pflaster für die Liberalen, welche von der Partei NEOS vertreten werden. Der Spitzenkandidat und Parteichef der auch als Pinken bekannten Partei, Christoph Wiederkehr, folgte der jetzigen Bundes-Obfrau Beate Meinl-Reisinger als Wiener Parteichefin nach und ist trotz mehrjähriger Politikerfahrung ein für viele Wiener noch unbeschriebenes Blatt. Zwar können die NEOS mit leichten Zugewinnen rechnen, doch ist Wiederkehr auf kräftige Unterstützung der Bundespartei angewiesen, wie auf den Plakaten ersichtlich.

Mit den Grünen teilen sich die Pinken vor allem die liberalen Positionen zu Europa und in Sachen Migration. Zwar sind die NEOS aus der Volkspartei hervorgegangen, doch ist gerade bei NEOS die Kritik an der soziokulturellen Ausrichtung der Kurz-ÖVP besonders heftig. Ein letzter und relativ betrüblicher Umstand begleitet die Wienwahlen: Beinahe eine halbe Million der in Wien ansässigen knapp zwei Millionen sind aufgrund der restriktiven Handhabung der Staatsbürgerschaft in Österreich nicht wahlberechtigt. So besteht der kuriose Umstand, dass die Donaumetropole zwar das größte Bundesland nach Einwohnern ist, jedoch nur das zweitgrößte nach Wahlberechtigten. Wenn das Ergebnis ausfällt, wie es die Umfragen versprechen, werden wohl alle außer den Freiheitlichen für sich Siege reklamieren – jedenfalls bleibt es spannend.

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