Völkermord in Srebrenica: Österreichs Nationalrat für mehr Engagement (Reuters)
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Nach dem Krieg von 1992-1995 waren viele Bosniaken jahrelang davon überzeugt, die ausgesprochenen Urteile des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und des Internationalen Gerichtshofs (IGH) würden als unumstößliche Wahrheit akzeptiert werden. Man ging davon aus, dass die Urteile zum Völkermord dieser beiden wichtigen internationalen Rechtsinstitutionen allgemein Anerkennung finden würden. Die Annahme war, dass mit dieser Anerkennung der gerichtlich festgestellten Wahrheit durch alle Beteiligten die bosnische Gesellschaft endlich voranschreiten könnte.

Ganz im Gegenteil hat in den letzten zehn Jahren jedoch die Leugnung des Völkermords an den Bosniaken zugenommen. Sie ist zwar schon seit Beginn des Kriegs 1992 präsent, nimmt aber jetzt verschiedene Formen an. Schon jetzt wird deutlich, dass internationale Gerichtsurteile die Fortsetzung der Leugnung des Völkermords in Bosnien und auf dem Balkan nicht verhindern konnten. Neben der Leugnung ist jetzt sogar die Verherrlichung der Täter des Völkermords immer präsenter, was Hariz Halilovich und Hikmet Karcic als eine neue Stufe der Völkermordleugnung einstufen und als „Triumphalismus“ benennen.

Angesichts dieser gefährlichen Entwicklungen stellt sich die Frage, wie diesem Revisionismus Einhalt geboten werden kann. Da sich nunmehr der 27. Jahrestag von Srebrenica nähert, ist es wichtig darüber nachzudenken, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um sicherzustellen, dass die Erinnerung an den Völkermord in Bosnien institutionalisiert wird. Dabei gilt es eine Strategie zur Wahrung der Erinnerung an den Völkermord in Bosnien zu entwickeln und die lokalen und regionalen Leugner an den Rand zu drängen, indem man global handelt. Im Folgenden werden zehn spezifische Maßnahmen vorgeschlagen, die diesbezüglich ergriffen werden sollten.

Erstens sollten die nationalen Parlamente in ganz Europa Resolutionen zum Gedenken an den Völkermord in Bosnien verabschieden und überdies den 11. Juli zum Srebrenica-Gedenktag erklären. Der US-Kongress verabschiedete 2005 eine wegweisende Resolution dieser Art, und auch das Europäische Parlament verabschiedete 2009 eine wenn auch abgeschwächte Resolution zu Srebrenica. Weitere Länder folgten diesem Beispiel. Vertreter der bosnischen Diaspora und die Verantwortlichen in Bosnien sollten darauf hinarbeiten, dass Resolutionen im Stil des amerikanischen Kongresses in ganz Europa verabschiedet werden. Dies würde den Weg für das Gedenken an den Völkermord in immer mehr Ländern ebnen.

Zweitens sollte sich die bosnische Diaspora auch zukünftig dafür einsetzen, dass Kommunen in den Ländern, wo diese agiert, des Völkermords gedenken. Diese Praxis hat sich in den USA bzw. Kanada bewährt und sollte auf immer mehr Städte und Gemeinden ausgeweitet werden. Jährliche Gedenkfeiern am 11. Juli halten dabei die Erinnerung daran wach, was die Bosniaken Ende des 20. Jahrhunderts in Europa durchlebt haben.

Drittens sollten Spielfilme zu verschiedenen Aspekten des Völkermords produziert werden. Sowohl über die Zeit davor als auch über die Zeit des Genozids müssen mehr Filme insbesondere über Srebrenica gedreht werden. So beispielsweise über den Todesmarsch, bei dem bosnische Muslime im Juli 1995 aus Srebrenica flohen und versuchten, das von der bosnischen Regierung kontrollierte Gebiet zu erreichen. Die Geschichten der Überlebenden dieses Marsches sind tief ergreifend und verdienen es, erzählt zu werden. Außerdem sollten Filme über die serbisch geführten Konzentrationslager im Nordwesten Bosniens Anfang der 1990er Jahre produziert werden. Ebenso bedarf es einer großen Produktion für ein globales Publikum hinsichtlich des Lebens im damals belagerten Sarajevo. Bosnische Institutionen und ihre internationalen Partner sollten gemeinsam an diesen Projekten arbeiten, um den Völkermord auf der Leinwand zu erzählen.

Viertens sollten Wissenschaftler und Akademiker aus Bosnien mit ihren amerikanischen und europäischen Kollegen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Lehrpläne an Schulen und Universitäten in den USA und Europa den Völkermord an Bosnien als Teil der europäischen und internationalen Geschichte aufnehmen. Denn der Völkermord sollte nicht einfach als bosnische Geschichte bzw. Geschichte des Balkans, sondern als integraler Bestandteil der europäischen und internationalen Geschichte der 1990er Jahre gelehrt werden.

Fünftens publiziert in den letzten Jahren eine neue Generation bosnischer Autoren auf Englisch über den Völkermord. Dies sollte mit Gastkommentaren und der Veröffentlichung wissenschaftlicher Bücher fortgesetzt werden. Während der Beitrag internationaler Wissenschaftler zum Völkermord in Bosnien immens wichtig war und auch entsprechend fortgesetzt werden sollte, ist es nunmehr an der Zeit, dass ebenso authentische bosnische Stimmen ihre Geschichten erzählen und diese in englischer Sprache von renommierten internationalen Verlagen aufgelegt werden.

Sechstens sollten bosnische Diaspora und politisch Verantwortliche in Bosnien darauf hinarbeiten, dass in den USA und in ganz Europa Gedenkstätten bzw. Denkmäler für den Völkermord an den Bosniern errichtet werden, etwa in Washington DC, New York City, London, Berlin und Brüssel.

Siebtens sollten bosnische Geschäftsleute und Unternehmen in Bosnien und ebenso in der Diaspora „Lehrstühle für Genozidstudien“ an renommierten Universitäten in Nordamerika stiften. Dies würde eine langfristige und institutionalisierte Erforschung des Völkermords ermöglichen.

Achtens können bosnische Universitäten daran arbeiten, ausländischen Studierenden Genozidstudien in Form von Sommerschulen in englischer Sprache anzubieten. Diese Kurse können ebenso ausländischen Austauschstudenten angeboten werden, die in Bosnien studieren, aber auch als spezifische kurzfristige Sommerkurse angelegt werden.

Neuntens muss im Zentrum von Sarajevo ein zentrales Mahnmal für den Völkermord an Bosnien errichtet werden. Es gibt eine Reihe von Mahnmalen in der Hauptstadt, aber ein zentrales Mahnmal würde den gesamten Völkermord in den Mittelpunkt stellen. So müssten dann ausländische Delegationen, die Sarajevo besuchen, im Rahmen des offiziellen Protokolls an diesem Ort den Opfern ihre Aufwartung machen.

Zehntens war das Gedenkzentrum in Srebrenica in den letzten Jahren eine sehr aktive Institution bei der Bewahrung der Erinnerung an den Völkermord. Die Gedenkstätte sollte ihre internationalen Sensibilisierungs-Programme fortsetzen und insbesondere weiter an der Entwicklung von Lehrplänen, der Betreuung von Studenten und der Organisation internationaler Konferenzen arbeiten. Indem sie gemeinsam global agieren, können bosnische Schriftsteller, Verleger, Filmemacher, Geschäftsleute, politische Führer zusammen mit der Diaspora das Gedenken an den Völkermord international wachhalten. Dadurch würde ebenfalls sichergestellt, dass die Erinnerung an den Völkermord in Bosnien auch für die kommenden Jahre erhalten bleibt.

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