Die Flaggen der Bundesrepublik Deutschland und Russlands wehen vor dem Bundeskanzleramt in Berlin. (dpa)
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Das Jahr 2021 war eines der schwierigsten Jahre für die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau. Es ist von der Komplexität her mit 2014 vergleichbar. Wie damals hat die Krise in der Ukraine die beiden Länder auf unterschiedliche Seiten der Barrikaden gebracht. Nur dass dieses Mal zu den außenpolitischen Meinungsverschiedenheiten noch Menschenrechtsfragen hinzukamen.

Menschenrechte

Es wäre unfair und irreführend zu behaupten, die Menschenrechte in Russland seien für Deutschland vor der Vergiftung und Verhaftung von Alexej Nawalny kein Thema gewesen. Die deutschen Medien, allen voran die Deutsche Welle und die politischen Stiftungen, erinnerten immer wieder an die Notwendigkeit demokratischer Normen, sei es bei öffentlichkeitswirksamen politischen Attentaten wie den Fällen Litwinenko und Politkowskaja, sei es bei Wahlgängen. Die jüngsten Präsidentschafts-, Parlaments- und Regionalwahlen werfen für deutsche Menschenrechtsaktivisten große Fragen auf, ebenso wie die Änderungen der russischen Verfassung, die es Putin ermöglichen, bis 2036 an der Macht zu bleiben. Nach den Duma-Wahlen im September, welche die regierende Partei „Einiges Russland“ erneut gewann, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Russland sei auf dem Weg zur Diktatur.

Besonders hervorzuheben ist der Fall Nawalny. Die deutsche Regierung glaubt nach wie vor, dass er mit dem Nervenkampfstoff „Nowitschok“ vergiftet wurde, und das Auswärtige Amt beschuldigte indirekt die russischen Behörden, dies getan zu haben. Der Fall Nawalny war Hauptgrund für die weitere Verschlechterung der Beziehungen zwischen Deutschland und Russland in diesem Jahr. Nawalny wurde aus einem Krankenhaus in Omsk in das Berliner Charité-Krankenhaus gebracht. Nach seiner Behandlung flog er nach Moskau, wo er Mitte Januar 2021 verhaftet wurde. Bundeskanzlerin Angela Merkel geriet wegen Nawalny unter enormen Druck. Sogar Mitglieder ihrer eigenen Partei forderten Sanktionen und einen Stopp des laufenden Baus von Nord Stream 2. Der einzige CDU-Kanzlerkandidat, der zur Zurückhaltung aufrief, war Armin Laschet. Dieser wurde später Spitzenkandidat der Union.

„Russische Truppen an der ukrainischen Grenze“

Gegen Mitte des Jahres rückte das Thema Menschenrechte in den Hintergrund. Es wurde von den Ereignissen im Zusammenhang mit der Ukraine überschattet. Die angebliche Zusammenziehung russischer Truppen im Grenzgebiet zur Ukraine und der ukrainischen Armee am Donbass im Frühjahr und Sommer hat die westlichen Staats- und Regierungschefs ernsthaft erschreckt. Putin warnte Zelensky eindringlich, ein Angriff auf den Donbass könne „das Ende der ukrainischen Staatlichkeit“ bedeuten. Ein möglicher Krieg hätte Merkel in eine Sackgasse manövriert, da sie Nord Stream 2 zum Nachteil der deutschen Wirtschaft hätte stoppen müssen. Doch zur Hilfe kam ihr seltsamerweise Russlands Gegner Joseph Biden. Der US-Präsident bewies Rationalität und Pragmatismus und bot Putin ein Treffen an. Am 16. Juni fand in Genf das erste Gipfeltreffen der Präsidenten der Vereinigten Staaten und Russlands statt, auf dem sie einen Atomkrieg für unmöglich erklärten. Es kam zur Einleitung einer Entspannung der Lage.

Deal mit Biden

Merkel konnte sich nun in aller Ruhe auf ihren Ruhestand vorbereiten. Im darauf folgenden Monat reiste die Kanzlerin nach Washington und unterzeichnete mit Biden eine wichtige Vereinbarung. Gemäß dem Deal verzichten die USA auf Sanktionen in Bezug auf Nord Stream 2, Deutschland versprach jedoch, Druck auf Moskau auszuüben, wenn Russland Gas als politische Waffe einsetzt und den Transit durch die Ukraine stoppt. Nachdem sie die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten gestärkt hatte, die sich unter Donald Trump deutlich verschlechtert hatten, reiste Merkel am 20. August nach Russland – etwa einen Monat vor der für ihre Partei entscheidenden Bundestagswahl. Aus Moskau kehrte sie jedoch nicht so zufrieden zurück wie aus Washington. Ein Ersuchen um Freilassung von Nawalny und Aufhebung des Verbots von drei deutschen Nichtregierungsorganisationen wurde ignoriert. Der Kreml erinnerte Berlin an das Verständnis der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Auch die Forderungen nach einer Aufrechterhaltung des ukrainischen Transits wurden nicht weiter beachtet, und es wurden keine Fortschritte in Bezug auf den Donbass-Konflikt erzielt.

Dennoch gelang es Merkel und Putin, Freunden und Rivalen gleichermaßen zu beweisen, dass Deutschland und Russland trotz einer Fülle von Meinungsverschiedenheiten Partner bleiben. Außerdem wurde klargemacht, dass der Dialog fortgesetzt werden muss und gemeinsame Projekte wie die Ostseepipeline von gegenseitigem Nutzen sind, weshalb Drittländer keinen Einfluss auf deren Schicksal nehmen sollten.

Antirussische Kräfte im Bundestag

Der nach wie vor fragile Pragmatismus gegenüber Moskau wurde durch die Bundestagswahl weiter untergraben. War Deutschland in den vergangenen acht Jahren von einer „großen Koalition“ aus CDU/CSU und SPD regiert worden, die Russland gegenüber pragmatisch eingestellt war, gibt es diesen Konsens nun nicht mehr. Die Wahlsieger der Sozialdemokraten sind gezwungen, Rücksicht auf ihre Koalitionspartner, die Grünen und die FDP, zu nehmen. Beide stehen dem Kreml kritisch gegenüber. Außenministerin Annalena Baerbock hat bereits erklärt, Nord Stream 2 sei nicht mit europäischem Recht vereinbar. Die neue Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) fordert schärfere Sanktionen gegen Russland wegen des Aufbaus der russischen Militärpräsenz an der Grenze zur Ukraine. Die bilateralen Beziehungen verschlechterten sich zudem aufgrund des Mordes am tschetschenischen Feldkommandanten Selimchan Changoschwili in Berlin 2019. Unter diesem Vorwand wies Deutschland zwei russische Diplomaten aus. Es folgte eine gespiegelte Reaktion aus Moskau. Bundeskanzler Olaf Scholz ist gezwungen, seinen Ton gegenüber Moskau zu verschärfen, auch wenn er sich als "Merkels Erbe" betrachten sollte.

Trotz der Versuche der nun ehemaligen Bundeskanzlerin Merkel, der neuen Regierung pragmatische Beziehungen zu Russland zu überlassen, beginnen sich diese bereits zu verschlechtern. Die Ausweisung der Diplomaten ist das erste Anzeichen für den bevorstehenden Winter in den bilateralen Beziehungen. Auch die Auflösung der ältesten russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“ wird in Deutschland vor allem medial negativ wahrgenommen. Die Anschuldigungen des Westens gegen Ende des Jahres, wonach Putin einen Angriff auf die Ukraine plane, heizen das Feuer nur weiter an. Auch wenn die jüngsten Gespräche zwischen Putin und Biden die Situation etwas entspannten, bleibt die kritische Stimmung in Berlin gegenüber der Haltung des Kremls zur Ukraine bestehen. „Die Welt“ titelte, Moskau solle als „das Paria-Regime“ betrachtet werden, das es sei. Es sollten neue Sanktionen verhängt werden, um sein „aggressives“ Vorgehen zu stoppen.

Angesichts des angehäuften diplomatisch-kooperativen Kapitals kann man sagen, dass Olaf Scholz als Merkels Nachfolger weiter versuchen wird, die deutsch-russischen Beziehungen vor einer größeren Krise zu bewahren. Gleichzeitig wird die Stärke der bilateralen Partnerschaft im neuen Jahr 2022 in hohem Maße von der Außen- und Innenpolitik Russlands und seinen Beziehungen zu den USA, dem Hauptgaranten für die deutsche Sicherheit, abhängen.

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