Folgen
Negative Medienberichte und politische Diskurse schränken die Authentizität der Muslim*innen in Österreich ein. Trotz steigender Rassismus-Fälle werden keine Maßnahmen getroffen.

Die Authentizität hat mehrere Bezeichnungen und eine davon lautet „echt sein“. Authentizität ist der Weg zur Freiheit, was in den meisten Fällen der „westlichen“ Gesellschaft zugeordnet wird. Politische und mediale Diskurse konstruieren tendenziell ein gänzlich gegensätzliches Bild der muslimischen Frau. Ihr wird Authentizität und somit die Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft abgesprochen. Diese negativen Darstellungen der muslimischer Frauen prägt die Gesellschaft und beeinflusst die Lebenserfahrung von Muslim* innen.

So lauten die Fragen meistens: „Woher kommst du?“, „Warum trägst du ein Kopftuch?“ oder „Wirst du unterdrückt?“. Warum diese Fragen? Personen, die diese Fragen stellen, bewegen sich in ihrem aus visuellen Wahrnehmungen und medialen sowie politischen Phrasen geprägten Rahmen, der nur mehr bestätigt werden soll. Erwartet wird eine unfreie Frau, die sich einem anderen Land zugehörig fühlt und zum Kopftuchtragen gezwungen wird.

Wenn aber die Antwort auf die gestellten Fragen lauten würde: „Ich komme von hier, ich trage meine Kopfbedeckung aus Überzeugung und ich lasse mich nicht unterdrücken“, würde das eigene Weltbild infrage gestellt werden. Aber ob dadurch die zugeordneten Vorurteile abgebaut werden können, ist fraglich.

Was passiert mit der muslimischen Frau, die diesen Fragen tagtäglich ausgesetzt ist?

Ständig klarstellen zu müssen, dass man von „hier“ ist, nur um andere zufriedenzustellen oder die Neugier zu befriedigen, ist für eine Frau, die hier geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, sehr mühsam und demotivierend.

Bei jeder neuen Schlagzeile zum Thema Muslim*innen, Kopftuch oder Islam kommt es zu einer Kurzatmigkeit und man bekommt Angst. Was kommt nun als nächstes? Welches neue Gesetz wird nun meine Freiheit einschränken? Wann werde ich endlich akzeptiert und als Teil dieser Gesellschaft betrachtet?

Mediale Botschaften bestimmen unseren Alltag und prägen von Kindheit an unser Wissen und Weltbild. Im digitalen Zeitalter ist alles viel schneller, fortgeschrittener, aber auch begrenzter geworden. Wir leben in einer Zeit der vermeintlichen Vielfalt. Doch tragen dominante Diskurse zu einer einseitigen, homogenisierenden und oft abwertenden Darstellung muslimischer Frauen bei. Die Authentizität, also die Freiheit selbstbestimmt zu leben, eigene Gedanken zu fassen und persönlichen Überzeugungen nachzugehen, wird einer muslimischen Frau dadurch indirekt abgesprochen.

Wie viel Raum für Authentizität wird der muslimischen Frau gegeben?

Muslimischen Frauen wird es kaum ermöglicht, sich in den Medien authentisch zu präsentieren. Denn Medien sind auf Spektakuläres konzentriert und nicht auf Hintergründe von spektakulären Meldungen.

Muslimische Frauen werden aufgrund ihres Kopftuches interviewt, sie werden zu mediengemachten Problemen befragt, die für die Protagonist*innen oft keine sind. Sie werden auf Teilaspekte ihres Aussehens reduziert. Gleichzeitig werden diverse Meinungen und Äußerungen von muslimischen Frauen, die den dominanten Diskursen widersprechen, übertönt. Man drängt die Protagonist*innen zu Stellungnahmen und fordert sie auf, sich für Ereignisse zu verantworten, die sie nicht verschuldet haben.

Muslimische Frauen kommen meistens in Medienberichten vor, in denen Begriffe wie „zwangsverhüllt“, „zwangsbeschnitten“, „zwangsverheiratet“, „Terrorismus“ oder „Integrationsverweigerer verwendet werden. Sie werden als Kopftuchmädchen verunglimpft, als Leidtragende bedauert und zum Teil als sogenannte Fundamentalistinnen stigmatisiert. Sie werden als Objekte behandelt und vorgeführt. Sie kommen jedoch fast nie in einer Art und Weise zu Wort, die in ihrer Authentizität zur Geltung kommen lässt. Im Gegenteil: Sie werden nicht als individuelle Personen dargestellt, sondern als Vertreterinnen einer bestimmten Gesellschaftsgruppe. Dadurch kann es passieren, dass Klischees bestätigt werden. Vor allem dann, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen immer nur im Zusammenhang mit negativen Themen dargestellt werden.

Wie wirkt sich die mediale Berichterstattung auf das Alltagsleben aus?

Durch diese und viele andere Faktoren ist in den letzten Jahren ein Anstieg an antimuslimischem Rassismus zu beobachten. Der Verein „Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus“ (kurz: Dokustelle Österreich) hat dieses Jahr wieder einen neuen Bericht veröffentlicht, der die Fallzahlen und Analysen für 2019 aufzeigt.

Im Jahr 2019 wurden 1051 Fälle dokumentiert (die Dunkelziffer wird höher geschätzt). Im Vergleich zum Jahr 2018, in dem 540 Fälle dokumentiert wurden, zeigt sich ein Anstieg von 94,63 Prozent. Dokumentierte Handlungen gegen als muslimische Frauen gelesene Personen vollzogen sich größtenteils (85,5%) im Offline-Bereich.

Die Dokustelle verzeichnete – auf Basis von Meldungen sowie aktivem Monitoring – den Höhepunkt an Fallzahlen im April 2019 (143), gefolgt von Oktober 2019 (137), November 2019 (119), März 2019 (117) und Mai 2019 (116). Es lässt sich eine Korrelation erkennen zwischen einem Anstieg der Fallzahlen und Kampagnen politischer Parteien sowie Diskursen über muslimische Bevölkerungsgruppen.

Seit fünf Jahren verzeichnet die Dokustelle, dass als muslimisch wahrgenommene Frauen überproportional von Beleidigung, Diskriminierung sowie Vorurteils- und Hassverbrechen betroffen sind. Die Berichterstattung und der politische Diskurs bedingen den Anstieg von Hassverbrechen - insbesondere gegenüber muslimischen Frauen mit Kopftuch, weil diese oft thematisiert werden. Antimuslimischer Rassismus muss erkannt, benannt, gemeldet und angezeigt werden.

Was passiert bei einer Einschränkung der Authentizität durch Verbote?

Trotz dieser Problematik und der steigenden Rassismus-Fälle werden keine deutlichen Maßnahmen getroffen, die Muslim*innen schützen. Stattdessen wir die Problematik als Folge von vermeintlichen Mängeln bei Integrations- und Emanzipierungsprozessen bewertet. Es werden Kopftuchverbote für Kindergärten und Pflichtschulen beschlossen, die sich nur auf Musliminnen beziehen. Kinder und Jugendliche werden diffamiert und müssen sich für Vorkommnisse rechtfertigen, die im Namen des Islams begangen werden, sie aber nicht betreffen oder für außenpolitische Angelegenheiten. Diese Jugendlichen schotten sich ab, wodurch zugleichParallelgesellschaften gefördert werden. Diese Prozesse führen zu weiteren sozialen Konflikten, Ausgrenzung und Mobbing.

Frauen, egal welcher Religion zugehörig, müssen in ihrem Tun bestärkt werden. Jede von ihnen trägt etwas Positives bei - sei es in der Bildung, Arbeit oder Familie. Die Einschränkung der Authentizität einer Muslimin kann den gesellschaftlichen Zusammenhalt beeinträchtigen.

Meinungsbeiträge geben die Ansichten des jeweiligen Autors und nicht die der Redaktion wieder. Für Anfragen wenden Sie sich bitte an: meinung@trtdeutsch.com