Der Putschversuch in Türkiye  in der Nacht zum 15. Juli (AA)
Folgen

Der misslungene Putschversuch in Türkiye und seine Folgen bieten weiterhin Raum für Diskussionen. Die türkische Bevölkerung vermisst seitens ihrer Verbündeten bis heute eine aufrichtige Anteilnahme und erwartet berechtigterweise, dass jede Art von militärischer Intervention und Staatsstreichversuch nicht nur spürbar verurteilt, sondern auch ganz klar abgelehnt wird. Die Putschisten haben hunderte Menschen ermordet. Kinder, Jugendliche, Frauen und Senioren kamen beim Putschversuch ums Leben. Menschen wurden erschossen, und durch Steuermittel finanzierte Militärgeräte wurden gegen das eigene Volk eingesetzt. Ferner versuchten die Putschisten, den mit Mehrheit des Volkes gewählten Staatspräsidenten zu töten. Große Teile des Parlaments, das die Demokratie und die Volkssouveränität repräsentiert, wurden von Kampfjets zerstört.

Neben den Medien stehen auch Politikerinnen und Politiker sowie Personen der Öffentlichkeit in der Pflicht, ihre Missbilligung dieser kriminellen Aktion unmissverständlich zu äußern. Hier wurden das Selbstbestimmungsrecht der türkischen Nation, die Demokratie, die Freiheit und die Menschenrechte mit Füßen getreten. Bis heute gab es keinen ernsthaften Schulterschluss mit dem NATO-Partner Türkiye. Ganz im Gegenteil: Die Drahtzieher des Putschversuchs genießen nach wie vor Schutz und Privilegien in zahlreichen Bündnisstaaten. Auslieferungsgesuche werden seit Jahren missachtet.

Unterstützung für die terroristische Gülen-Organisation?

Der Wunsch nach einer engeren Sicherheitskooperation wird mit fadenscheinigen Argumenten beiseitegeschoben. Selbst der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, hielt es für ausgeschlossen, dass die Fetullaistische Terrororganisation (FETÖ) für den Putschversuch in Türkiye verantwortlich war. Der nationale Sicherheitsberater und Sprecher des türkischen Präsidenten Erdoğan, İbrahim Kalın, wertete die Aussagen des deutschen Auslandsgeheimdienstchefs als Affront. Kalın bezeichnete Kahls Aussagen als einen Versuch, all jene Informationen zu entwerten, die Türkiye Deutschland über die Fetullaistische Terrororganisation gegeben habe. „Es ist ein Zeichen ihrer Unterstützung für die terroristische Gülen-Organisation.” Deutschland beschütze FETÖ, weil sie für die Bundesrepublik ein nützliches Instrument gegen Türkiye sei. Eine tatsächliche Bündnispartnerschaft sieht anders aus. Eine nicht ganz unberechtigte Frage lautet daher: Woher beziehungsweise von wem bezog der Auslandsgeheimdienst BND seine Nachrichten aus Türkiye? Von Gülenisten etwa? Denn erst unter diesen Umständen ist die Position von Bruno Kahl nachvollziehbar. Nicht umsonst beklagten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher und europäischer Sicherheitsbehörden, dass sie nach dem Putschversuch plötzlich keinen Kontakt mehr zu ihren Kommunikationspartnern und Quellen aus der türkischen Sicherheitsbürokratie aufbauen konnten. Diese Kanäle waren unmittelbar nach dem fehlgeschlagenen Putschversuch versiegt. Diese Leute wurden der Justiz übergeben und unehrenhaft aus dem Staatsdienst entlassen. Aber selbst dies wurde von den internationalen Partnern und Verbündeten von Türkiye unverhältnismäßig scharf kritisiert.

Hochmut kommt vor dem Fall

Sechs Jahre nach dem Putschversuch wird die Entlassung von kriminellen Staatsbediensteten in Türkiye weiterhin kritisiert. Beispielsweise wird nach der Entlassung von Richtern und Staatsanwälten, die der FETÖ angehören, stets die Unabhängigkeit der Justiz in Türkiye in Frage gestellt. Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz und Gewaltenteilung gehören zu den elementaren Verfassungsprinzipien von Türkiye. Die Gerichte müssen andererseits unabhängig sein und ihre Urteile im Namen des Volkes und nicht im Namen einer terroristischen Organisation oder deren Führer fällen. Es ist kein Geheimnis, dass FETÖ seit Jahrzehnten ihre Mitglieder in die juristischen Fakultäten gelotst hat, um Gerichtsbeschlüsse im Interesse dieser Organisation zu beeinflussen. Das war ein Ausdruck der Machtdemonstration der Terrororganisation gegenüber der Bevölkerung. Das war ihre Art, Respekt beim Volk einzufordern. Mit dieser Machtfülle haben sich die einflussreichen Mitglieder stets selbstsicher in der Öffentlichkeit präsentiert. Aber getreu dem deutschen Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall“ hat die Selbstüberschätzung der Gülenisten im Endeffekt ihr Ende besiegelt. Die Missachtung und Unterschätzung des türkischen Staats und noch viel mehr des türkischen Volkes war von Beginn an zum Scheitern verurteilt.

Beamte, die nicht dem Staat, sondern FETÖ dienten

Die Entlassungen von Offizieren, Lehrern, Richtern und anderen Beamten dienten der Rehabilitation der Verfassungsordnung. Denn wie neutral kann beispielsweise eine abhängige Justiz entscheiden? Der türkische Staat war gewissermaßen gezwungen, bei der Frage der Freiheit der judikativen Ordnung die Unabhängigkeit der Gerichte wiederherzustellen. Es ist erwiesen, dass für viele Bürokraten und Beamte die Loyalität gegenüber Fetullah Gülen vor der Loyalität zur türkischen Verfassung kam. Das ist bei vielen Angehörigen dieser Organisation bis heute der Fall. Deshalb ist FETÖ auch eine Sicherheitsgefahr für all jene Staaten, die ihr Unterschlupf gewähren und in denen sie frei agieren kann. Eine solche Situation kann in keinem Land der Welt gutgeheißen werden. Wer Beamte/r ist und dem Staat dient, kann kein Befehlsempfänger von anderen Institutionen oder Personen sein. Im Übrigen durften viele Staatsbedienstete, die in der DDR tätig gewesen waren, nach der Wende im gesamtdeutschen Staat ebenfalls nicht mehr ihrer Tätigkeit nachgehen, weil sie ein Risiko für die Sicherheit des Staates und der Verfassung darstellten.

Pressefreiheit kein Freibrief für Terrorismus

Ähnliches gilt für Debatten und Kritik in Bezug auf die Meinungs- und Pressefreiheit in Türkiye. Wenn die Meinungs- und Pressefreiheit ausdrücklich für terroristische Ziele oder zum Zwecke von sicherheitsgefährdenden Maßnahmen missbraucht wird, muss der wehrhafte Verfassungsstaat handeln. In keiner Demokratie ist es zulässig, im Namen der Pressefreiheit Propaganda für Terrororganisationen zu machen, die öffentliche Sicherheit oder den gesellschaftlichen Frieden zu gefährden oder Falschmeldungen zu publizieren. Außerdem schützt ein Presseausweis den Inhaber nicht davor, dass er sich zu einem Terroristen entwickelt oder delinquent wird. Die Pressefreiheit ist kein Freibrief für Terrorismus.

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