Bundespräsident Steinmeier in der Ukraine nicht erwünscht. (AFP)
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Ein Karussell illustrer Gäste dreht sich in der vom Kriege erschütterten Ukraine. Seit der Krim-Annexion und dem Kriegsbeginn im Osten des Landes 2014 bot das ukrainische Außenministerium den Besuchern als Routineprogramm einen Besuch der Frontlinie mit kugelsicherer Weste und Helm an. Diese Termine waren bei vielen Politikern sehr beliebt, denn sie boten zum einen „tolle Fotos“, zum anderen sollten diese inszenierten Frontbesuche vermitteln, dass „man sich ein Bild von der Lage machen wollte“. Die PR-Dimension dominierte meist die Inhalte. Ich schlug als Außenministerin einst eine solche Einladung aus, zumal ich Kriege und deren Schrecken aus dem Nahen Osten kenne und von solchem Kriegstourismus wenig halte.

Der Terminreigen im Krieg

Seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar finden sich Regierungschefs aus aller Welt in Kiew im Präsidentenpalast ein, wo Gastgeber Wolodymyr Selenskyj sie im Pullover und Militärdress empfängt. Die Gäste kommen entweder auch im Pulli, wohl zum Zweck der protokollarischen Symmetrie, oder sie verfügen über genug Eigenmarke wie der britische Premier Boris Johnson, der es sich leisten kann, im Anzug mit Krawatte durch Kiew zu spazieren und sympathisch mit den Passanten zu plaudern. Diese Solidaritätsbesuche sind indes zu Pflichtterminen in vielen Staatskanzleien geworden.

Letzte Woche war geplant, dass das deutsche Staatsoberhaupt Steinmeier mit dem Zug aus Warschau gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Polen und anderen Staaten anreist. Doch kurz vor Abfahrt wurde er öffentlich ausgeladen. Präsident Selenskyi hatte ihn zur „persona non grata“, also zur nicht willkommenen Person in Kiew erklärt. Auch wenn einer der vielen Gründe für den Niedergang der Diplomatie banal auf dem allgemeinen Verfall guten Benehmens fußt, so war diese Ausladung doch eine Kategorie des besonderen Affronts gegenüber Berlin. Deutschland, bzw. die SPD unter Kanzler Scholz, will zwar keine schweren Waffen liefern und auch nicht auf russische Energie verzichten, aber die Deutschen stellen der Ukraine seit Jahr und Tag Milliarden Euro zur Verfügung. Kanzler Scholz solle doch statt dem Bundespräsidenten kommen und auch konkrete Sanktionen, etwa ein Gasembargo, oder eben Panzer mitbringen – dieser Vorschlag wurde salopp aus dem Kiewer Präsidentenpalast nachgereicht. Deutschland sei vorgeführt worden, so der Grundtenor der Berichterstattung.

Deutschland sitzt zwischen allen Stühlen

Während die Sache in der Ukraine aus wohl verständlichen Gründen anderer Prioritäten rasch wieder vergessen war, diskutiert die deutsche Presse seither das Thema rauf und runter. Einen Anteil daran hat wohl auch der streitbare Botschafter der Ukraine, der nicht müde wird, der deutschen Regierung medial zu bestellen, was sie zu tun habe. Viele bringen Verständnis für ihn auf, da das Leid in der Ukraine groß ist. Aber ich erinnere mich nicht, dass die diplomatischen Vertreter von Staaten, deren Bevölkerung Jahre im Bombenhagel leben musste, ein derartiges Amtsverständnis an den Tag legten. Es ist völkerrechtliche Praxis, sich nicht in die inneren Dinge des Gastlandes einzumischen. Auch diese Regel wird im Jahre 2022 noch umfassender gebrochen, als dies ohnehin immer schon über Spionage, aggressive Public Diplomacy und Geldtransfers zu allen Zeiten der Fall war.

Der langjährige Bundesaußenminister und erfahrene Diplomat Steinmeier hatte erst einige Tage zuvor seine wohlformulierte Entschuldigung geliefert, nämlich zu Fehleinschätzungen und verfehlter Russland Politik, sowie überhaupt die Pipeline Nord Stream 2 gefördert zu haben. Öffentlich Abbitte zu leisten, ist das neue Reinigungsritual, das von Politikern, Künstlern, Intellektuellen etc. verlangt wird, damit sie im Amt verbleiben dürfen bzw. weiter öffentlich auftreten können.

Die totale Gewissensbefragung

Fatalerweise zeigte sich wie bereits bei der Sängerin Anna Netrebko auch im Fall Steinmeier, dass die Entschuldigung nicht reichte, um dann doch als willkommen akzeptiert zu werden. Steinmeier ist bei aller Symbolik seines Amtes an der Staatsspitze auch nur ein Teil einer gewachsenen deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik, die in den 1970er Jahren mit Willy Brandt und der sogenannten Ostpolitik ihren Anfang nahm. Zur Erinnerung: Die Ära Brandt wurde vom Guillaume Skandal erschüttert, hatte doch ein DDR-Spion als Vertrauter im Kanzlerbüro gearbeitet. In meiner Erinnerung hatte jenes Ereignis eine Sprengkraft, die lange für Misstrauen sorgte. Doch so, wie Michail Gorbatschow bis heute der beliebteste Politiker Deutschlands ist, wuchsen spätestens mit der Neuordnung der Verhältnisse in den 1990er Jahren neue Verbindungen zwischen Deutschen und Russen. Hierbei gab es anständige und sehr zwielichtige Geschäftsleute auf allen Seiten. Die Spreu vom Weizen zu trennen, gelang der Politik auch nicht immer. Dafür bedarf es Menschenkenntnis und Muße.

Fehler eingestehen ist eines, aber Jahre des eigenen Schaffens dann in Bausch und Bogen völlig zu hinterfragen und abzulehnen, ist wieder etwas anderes. Dann doch lieber zu den Entscheidungen stehen, wie dies die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel tut, die ihr Nein zu einem NATO-Beitritt der Ukraine aus dem Jahre 2008 weiterhin für richtig hält.

Der Krieg hat eben erst begonnen, und wann immer er zu Ende sein mag, es wird ein Danach geben. Sich durch die Verhältnisse wie ein Aal zu mäandern, ist angesichts des kurzen Gedächtnisses der Menschen möglich. Doch andererseits zeigt es fehlendes Rückgrat.

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