Deutsche Zeitungen. / Photo: Dpa / Photo: DPA (dpa)
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Der am 7. Oktober begonnene Konflikt zwischen Israel und Palästina hat in Europa eine Vielzahl unterschiedlicher Debatten ausgelöst. Eine der bedeutendsten Diskussionen betrifft zweifellos die vermeintliche Heuchelei westlicher Staaten in dieser neuen Krise. Nicht nur Muslime, sondern Menschen weltweit sowie eine Mehrheit verschiedener Staaten und deren Bürgerinnen und Bürger nehmen die vermeintliche Heuchelei der westlichen Staaten wie den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich und Deutschland wahr und kritisieren sie.

Wenn man den Blick auf Deutschland richtet, wird deutlich, dass diese Vorwürfe nicht grundlos sind. Die deutsche Politik und die Medien verhalten sich in einer Weise, die den Anschein erweckt, als hätten sie ihre Freiheit verloren und würden vollständig von Israel kontrolliert.

Viele Fachleute argumentieren, die bedingungslose Unterstützung Israels sei in der deutschen Geschichte, insbesondere im Zusammenhang mit dem Holocaust verwurzelt. Die uneingeschränkte Unterstützung für Israel kann jedoch nicht allein mit dem sogenannten „Schuldkult“ erklärt werden. Es ist höchste Zeit, die Beziehung deutscher Politiker zu Israel unter dem Gesichtspunkt der „Unabhängigkeit“ der Bundesrepublik zu diskutieren.

Zunächst sollte das Verhalten der deutschen Regierung und Politiker gegenüber Israel beleuchtet werden. Dadurch soll die Begrifflichkeit rund um die „Unabhängigkeit“ besser erläutert werden. Seit Beginn des Konflikts konnte eine uneingeschränkte Loyalität deutscher Politiker gegenüber Israel beobachtet werden. Mitglieder der Ampelkoalition und der Opposition haben wiederholt ihre Unterstützung für Israel bekundet. Bundeskanzler Scholz hat Israel in kürzester Zeit besucht – Außenministerin Baerbock sogar zwei Mal innerhalb von zwei Wochen. Deutschland konnte in den Vereinten Nationen nicht einmal eine Resolution für eine Feuerpause befürworten, sondern hat sich enthalten. Obwohl die Regierung eine humanitäre Feuerpause nicht unterstützte, wurde sie scharf von Israel kritisiert. Danach musste das Außenministerium über Twitter eine Erklärung veröffentlichen, in der es erneut den sogenannten „Terrorismus“ der Hamas verurteilt.

Es gibt auch zahlreiche Beispiele dafür, wie die Opposition in Deutschland in einer Art Panik agiert und regelrecht um die Veröffentlichung ihrer bedingungslosen Unterstützung für Israel wetteifert. Die CDU/CSU hat beispielsweise vorgeschlagen, dass die Bekundung der Unterstützung für Israel zu einer Voraussetzung für die Einbürgerung gemacht werden sollte. Eine ähnliche Äußerung kam auch von Bundesjustizminister Marco Buschmann, der darauf hinwies, dass es für diejenigen, die Hass gegenüber jüdischen Menschen schüren, schwer sein sollte, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Überraschenderweise einigten sich nicht nur die Mitglieder der Union, sondern auch Parteien von der Linken bis zur rechtsextremen AfD auf die uneingeschränkte Unterstützung Israels.

Israelischer Botschafter Prosor führt Deutschland vor

Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, gehört ebenfalls zu jenen, die von Anfang der Krise an kontinuierlich ihre volle Unterstützung für Israel bekundeten. Auf Twitter erklärte er schließlich: „Die Sicherheit Israels ist Teil der Staatsräson unseres Landes.“ Ein weiteres Beispiel war der CDU-NRW-Landesparteitag, bei dem der israelische Botschafter Ron Prosor als Ehrengast anwesend war. Hendrik Wüst, der zum NRW-Landesvorsitzenden gewählt wurde und einer der möglichen Vorsitzenden der Union ist, betonte ebenfalls, die Existenz Israels gehöre zur Staatsräson Deutschlands. Im Anschluss kritisierte Ron Prosor „die Besserwisserei“ einiger deutsche Politiker scharf und erntete schließlich minutenlangen Applaus von den Delegierten.

Das Verhalten des israelischen Botschafters Ron Prosor ist einer der Hauptgründe, warum die „Unabhängigkeit“ Deutschlands in dieser Angelegenheit in Frage gestellt werden sollte. Seine Äußerungen in Deutschland gegenüber deutschen Politikern und auch dem deutschen Publikum überschreiten die üblichen Grenzen eines Botschafters.

Bei einer Kundgebung am Brandenburger Tor am 22. Oktober, an der auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilnahm, kritisierte der israelische Botschafter Ron Prosor die deutschen Politiker und das Publikum scharf. Seine Wortwahl und sein Verhalten entsprachen nicht denen eines Diplomaten, sondern er schien sich eher wie ein Gouverneur einer Kolonie zu verhalten. Er äußerte die Meinung: „Wir müssen jetzt im Gazastreifen die gesamte Infrastruktur des Terrors beseitigen – und wenn wir das tun, möchte ich wirklich kein ‚Ja, aber‘ mehr hören.“

Über das vulgäre Verhalten von Ron Prosor konnte man keine einzige Kritik hören. Im Gegenteil: Politiker, Experten und prominente Persönlichkeiten, die sich mit Palästina solidarisierten oder einfach nur die Botschaften vermieden, die Israel hören wollte, wurden scharf kritisiert und sogar angegriffen.

Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass Meinungsfreiheit in Deutschland in diesem Zusammenhang nicht existiert. Eine Politikerin der Grünen, Marjam Samadzade, wurde aus ihrem Amt entlassen, weil sie einen israelkritischen Beitrag in den sozialen Medien „geliked“ und „klare Worte“ verfasst hatte. Darüber hinaus wurde der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, nicht nur von vielen deutschen Politikern scharf kritisiert, nur weil er seine Meinung über eine mögliche Bodenoffensive Israels geäußert hatte, sondern er wurde auch von Ron Prosor beschuldigt. Ron Prosor griff Christoph Heusgen in einem deutschen TV-Programm an und warf ihm „Arroganz“ und „Besserwisserei“ vor. Was geschah daraufhin? Christoph Heusgen entschuldigte sich und äußerte seitdem seine Meinung zu diesem Thema nicht mehr.

Öffentliche Meinung wird stark eingeschränkt

In Deutschland gibt es bestimmte Auffälligkeiten in der Berichterstattung über den Konflikt zwischen Israel und Palästina. Oftmals beginnen die Nachrichten mit den Positionen Israels, und es folgt häufig der Satz „Nach Angaben der islamistischen Terrororganisation Hamas“. Wenn öffentlich-rechtliche Sender wie die Tagesschau oder das ZDF nicht entsprechend agieren, können sie zur Zielscheibe extremer pro-israelischer Zeitungen wie der Boulevardzeitung „Bild“ werden. Die Tagesschau selbst wurde in der Vergangenheit bereits Ziel solcher Angriffe. Als Konsequenz konnte die Tagesschau zeitweise nicht mehr ausführlich über die humanitäre Lage im Gazastreifen berichten. Darüber hinaus gab es einen Vorfall, bei dem die Tagesschau die Aussagen einer von der Hamas freigelassenen Geisel absichtlich veränderte, da die Geisel positive Worte über Hamas äußerte.

Zusammenfassend hat Israels Angriff auf Gaza zwei herausragende Probleme in Deutschland in den öffentlichen Fokus gerückt. Erstens wurde das Problem der Meinungsfreiheit in Deutschland deutlich. Dass Kritik an Israel negative Konsequenzen mit sich bringen, zeigt, dass die deutsche Demokratie noch einen langen Weg vor sich hat. Zweitens: Dank dieses Konflikts wurde offensichtlich, dass die deutsche Unterstützung für Israel nicht allein mit dem sogenannten „Schuldkult“ gerechtfertigt werden kann. In Deutschland sollte nun behutsam über die „Unabhängigkeit“ Deutschlands diskutiert werden. Die Frage muss man mutig beantworten: Wie frei ist Deutschland?

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