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Terror lebt nicht nur von einzelnen aktiven Zellen. Terror braucht ein Umfeld. Die PKK/YPG braucht Geld, Nachwuchs und Hardware-Nachschub. Rekrutierung, Geldwäsche und Nachschub-Organisation laufen vom Ausland aus.

Die Türkei trauert um 13 unschuldige Menschen, ermordet von Terroristen. Sechs Jahre in Gefangenschaft und permanent von einem Versteck zu einem anderen gebracht. Die Opfer: ein Mann, der gerade seinen Militärdienst beendet hatte, Mitglieder der Sicherheitskräfte sowie ein Polizeibeamter auf Privatreise. Alle im Jahre 2015 aus unterschiedlichen Orten in der Türkei von der PKK (der Arbeiterpartei Kurdistans – ein irreführender Name, da es sich um eine Terrormiliz und nicht um eine Partei handelt) entführt, also sechs Jahre zuerst ihrer Freiheit und dann eiskalt ihres Lebens beraubt.

Diese Woche Dienstag erläuterte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar vor dem Parlament in Ankara die näheren Umstände und dass die Regierung seit der Entführung alle drei Monate mit den Entführten sowie ihren Familien in Kontakt gestanden hatte. Seit fünf Monaten als Teil der Operation ‚Claw Eagle 2‘ vorbereitet, wurde die Befreiung der entführten Bürger in der nordirakischen Region Gara nun letztes Wochenende versucht, nachdem die türkischen Bürger in einer der dortigen Höhlen vermutet wurden. Es handelt sich um eine gebirgige Region mit sehr vielen Höhlen, und in einer davon waren die 13 Menschen gefangen gehalten worden. Doch die PKK-Killer kamen dem türkischen Militär zuvor, nachdem die Terroristen, die tatsächlich eine der Höhlen als Versteck benutzt hatten, das Feuer erwiderten. Schwere Verluste auf Seiten der Terroristen können das immense Leid der betroffenen türkischen Familien nicht lindern.

Diese Analyse widmet sich hauptsächlich zweier Fragestellungen. Erstens: Was muss noch alles passieren, bis die Verbündeten der Türkei, insbesondere Schweden sowie die Vereinigten Staaten von Amerika, die PKK nicht nur auf dem Papier als Terror-Clan deklarieren, sondern Ankara aktiv im Kampf gegen sie unterstützen? Und zweitens: Wie kommt es, dass die eindeutigen Verknüpfungen zwischen PKK/YPG und HDP (die Demokratische Partei der Völker) nicht deutlicher wahrgenommen werden?

Stockholm zeigt Ankara die kalte Schulter

Führende Politiker geben selten öffentliche Erklärungen ab, ohne deren Wirkung zuvor nicht exakt vorausberechnet zu haben. Im Zeitalter von 24/7-Nachrichten und dem Druck, permanent virtuell oder ‚live‘ sichtbar zu sein, ist dies auch kein Wunder. Somit steht eines fest: Die schwedische Außenministerin Ann Linde wird einen ganz bestimmten Tweet mit Sicherheit nicht zufällig abgesetzt haben: Sie sagt (übersetzt), dass wir (damit meint sie ihre Regierung oder ihr Land) äußerst besorgt sind über Berichte von weiteren Massenverhaftungen in der Türkei, darunter die von Amtsträgern und Parteimitgliedern der HDP. Ihr Tweet suggeriert, die Türkei träfe antidemokratische Maßnahmen gegen unschuldige Bürger. Genauer gesagt beklagt sie die Einvernahme von 718 mutmaßlichen Terrorsympathisanten im Zuge der oben erwähnten Hinrichtung der entführten türkischen Bürger.

Erstens ist leider davon auszugehen, dass nach wie vor rund 5000 PKK-Terroristen von außerhalb der Türkei Angriffe planen. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel zählt, und die Türkei als modernes, demokratisches Land wird allen Beschuldigten eine faire Behandlung zukommen lassen, so wie es zum Beispiel in Schweden auch üblich ist. Es ist logisch, dass die PKK auf türkischem Boden Unterstützer haben muss – Ankara handelt vollkommen richtig, Terror auf eigenem Boden sowie – falls als Bedrohung für die Türkei bewertet – auch über die Grenze hinaus zu bekämpfen.

Zweitens ist Ministerin Linde ist nicht zum ersten Mal in diesem Zusammenhang aufgefallen: Am 10. Juli 2020 berichtete Anadolu Agentur, sie habe per Video-Link mit Vertretern der PYD/YPG/PKK konferiert. Grund: Kritik an Ankaras Vorgehen im nordöstlichen Syrien.

Wen wundert es da noch, dass wenn ein EU-Mitgliedsstaat die Tatsache, dass die PKK von Brüssel als Terrorgruppe klassifiziert wird boykottiert, die Bevölkerung in den Glauben versetzt wird, Terroristen seien Freiheitskämpfer?

Eine Ministerin in Europa gibt, genau wie etwa der vormalige US-Präsident Donald Trump, keine Statements ‚aus Zufall‘ ab, sondern aus Berechnung. Die Frage sei deshalb erlaubt, was genau Ministerin Linde mit ihren Treffen und Statements bewirken will.

Kehrtwende in Washington – doch Fragezeichen bleiben

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan machte keinen Hehl aus seiner Verärgerung beziehungsweise wohl eher seiner Enttäuschung. Die gerade ins Amt erhobene Regierung seines amerikanischen Gegenübers Joe Biden gab nach Bekanntwerden der Ermordung der 13 unschuldigen türkischen Bürger eine, höflich formuliert, als nebulös einzustufende Erklärung ab. Man sprach mit ‚if’s‘ und ‚but’s‘ und dass man erst einmal abwarten wolle, was genau passiert sei. Erdoğan reagierte prompt und warf Washington vor, man vermisse die Aufrichtigkeit im Kampf gegen den Terror; die Wortwahl sei nicht deutlich genug.

Mittlerweile haben sich die Wogen zwischen den beiden Staaten etwas geglättet. Nachdem der neue US-Außenminister Antony Blinken mit Ankara und seinem Kollegen Mevlüt Çavuşoglu gesprochen hatte, vernahm man aus Washington, nunmehr sei klar, dass die PKK verantwortlich sei.

Es bleibt jedoch ein äußerst bitterer Nachgeschmack. Wenn ein Verbündeter zunächst davon ausgeht, dass eventuell etwas im Narrativ nicht stimmt, und erst nach Einspruch des anderen Verbündeten die Dinge richtigstellt, darf man durchaus das prinzipielle Niveau des Vertrauens seitens Washingtons in Ankaras Wahrheitsgehalt bei öffentlichen Stellungnahmen in Frage stellen.

Terrorumfeld größer als gedacht

Rücken wir die beiden Fallstudien Schweden und USA vorübergehend in den Hintergrund und nehmen ein weiteres Puzzleteil im Kampf gegen den PKK-Terror genauer ins Auge. Es geht um die Demokratische Partei der Völker, die HDP. Es ist wie alles, was für manche unbedarfte Beobachter dem ersten Augenschein nach wie eine Fantasie von Freiheit und Revolution im Namen der Unterdrückten aussehen könnte. Vor einigen Jahren gab es sogar Stimmen, die eigentlich eher dem weiteren Umfeld der sozialdemokratischen Opposition CHP zugeordnet wurden, die aufgrund ihrer ‚Ablehnung per se‘ gegen alles, was die demokratisch gewählte AKP-Regierung (mittlerweile AKP-MHP) in Angriff nimmt, auch die HDP ‚hoffähig‘ machen wollten. Diese zwar niemals offiziell gemachten Äußerungen hörte man aber durchaus bei Gesprächen am Rande von Veranstaltungen, wenn es um die Frage ging, wie man Recep Tayyip Erdoğan aus dem Amt drängen könnte.

Mittlerweile wissen alle, dass Revolutionsromantik eher ein Thema für einen Kinofilm ist, aber nicht mit Realpolitik verwechselt werden darf. Vor allem, wenn die ‚Romantiker‘ nichts anderes als kaltblütige Terroristen sind.

Die HDP, die zurzeit im türkischen Parlament vertreten ist, hat sich ähnlich wie Washington erst spät und niemals in ihrer Gesamtheit auf die Seite der gefallenen Bürger gestellt und nach Aussage des MHP-Vorsitzenden Devlet Bahçeli sogar Ankara für die Ermordung der Entführten verantwortlich gemacht. Bahçeli sagte weiter, dass alle HDP-Abgeordneten, die diese Meinung vertreten, aus dem Parlament verwiesen werden sollten.

Besonders deutlich wird die vermutete Verknüpfung zwischen HDP und PKK durch provokative Kommentare in sozialen Medien seitens mehrerer HDP-Vertreter. So berichtete Daily Sabah diesen Dienstag, dass Hüda Kaya (Istanbul) und Ömer Faruk Gergerlioğlu (Kocaeli) die Meinung vertreten, das türkische Militär habe das Versteck bombardiert.

Ohne es wörtlich auszusprechen, lässt dies den eindeutigen und einzigen Schluss zu, dass führende HDP-Vertreter nicht die PKK für den Tod der Entführten verantwortlich machen, sondern die Regierung in Ankara. Daraus kann man weiter schlussfolgern, dass die PKK womöglich gar nicht für den Tod der 13 Bürger verantwortlich ist, also mit anderen Worten vielleicht die Entführung sogar berechtigt war?

Eigentlich wäre alles so einfach gewesen: Egal, ob Vorsitzender oder einfaches Parteimitglied – seit bekannt ist (durch Augenzeugen und nicht Vermutungen), dass die PKK u.a. mittels der Nutzung von Parteibüros der HDP ihren Terrornachwuchs rekrutiert, hätte die HDP diese kriminellen Elemente sofort ausschließen und der Justiz überstellen müssen. Bis heute gibt es Demonstrationen und Sit-Ins vor den Türen mancher HDP-Büros. Mütter und Väter fragen ‚Wo ist mein Kind?‘ – von der PKK über den ‚Umweg‘ HDP in die Berge von Kandil gelockt.

Terror lebt nicht nur von einzelnen aktiven Zellen. Terror braucht ein Umfeld. Die PKK/YPG braucht Geld, Nachwuchs und Hardware-Nachschub. Ankara handelt richtig, jetzt das Sympathisantenumfeld im eigenen Land auszuheben. Und es wird gelingen. Wäre da nur nicht das kleine Detail der fehlenden Unterstützung seitens der Verbündeten im Ausland zu beklagen. Denn Rekrutierung, Geldwäsche und Nachschub-Organisation laufen auch vom Ausland aus.

Eine Bitte zum Schluss, gerichtet an Verantwortliche und Entscheidungsträger von Stockholm über Washington bis in alle anderen befreundeten Staaten dieser Welt: Terror ist nichts, was fernab eurer Grenzen passiert; ein Terrorist, der heute die Türkei angreift, kann morgen euch selber angreifen, von eurem eigenen Territorium aus. Lasst uns das Terrorumfeld hier und überall gemeinsam bekämpfen.

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