Mittlerer Korridor (www.mfa.gov.tr)
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Als das chinesische „Belt and Road“-Projekt zum ersten Mal angekündigt wurde, galt der Nordkorridor als wichtigste Säule der Initiative. Der Nordgürtel sollte durch Zentralasien, Russland und Weißrussland nach Europa verlaufen. Angesichts des Handelsvolumens zwischen Europa und China in Höhe von 600 Milliarden Dollar war klar, dass dieser Korridor den zentralasiatischen Ländern und Russland neue Möglichkeiten bieten würde. Bis März 2022 wurde der Nordkorridor intensiv genutzt.

Doch auch die „Belt and Road“-Initiative wurde von den Sanktionen gegen Russland und Weißrussland negativ beeinflusst. Viele Unternehmen sind nicht mehr bereit, die durch Russland zu transportierenden Container zu versichern. Andererseits versuchen Logistikunternehmen, die auf dieser Route operieren, eine Alternative zum nördlichen Korridor zu finden.

Die beste Alternative zum nördlichen Korridor ist der mittlere Korridor, der auch die Türkei umfasst. Es scheint, dass der nördliche Korridor, Chinas neben dem Meer wichtigste Alternative in der Lieferkette, mittelfristig anderen Routen weichen wird. Es ist offensichtlich, dass dies ein großer Verlust für Russland sein wird.

Geoökonomie des Handels zwischen EU und China nach dem Ukrainekrieg

Die Geoökonomie betrachtet die wechselseitige Beeinflussung von Ökonomie und Geographie. Vielleicht eines der wichtigsten Beispiele dafür ist Chinas „Belt and Road“-Initiative.

Für China war die riesige russische Landmasse der zuverlässigste Landweg zum reichen EU-Markt. Russland, Ukraine, Polen und Weißrussland hatten alle gehofft, Teil der Neuen Eurasischen Landbrücke zu werden, die eine hauptsächlich schienenbasierte Konnektivitätsvision ist. Doch der Ukrainekrieg scheint all diese Pläne zunichte gemacht zu haben. Davon ist auch Kühne + Nagel betroffen. Es ist ein wichtiges Logistikunternehmen, das Waren von China nach Europa transportiert. Das Unternehmen gab letzte Woche bekannt, dass es den Versand von Containern über Russland eingestellt hat.

Diese Situation ist sowohl für China als auch für Russland unerwünscht. China wickelt derzeit 80 % seines Handels auf dem Seeweg ab. Die Nordroute war sehr vorteilhaft in Bezug auf Beschleunigung der Logistikprozesse, Reduzierung der Kosten und Lieferung von Produkten in Länder, die auf dem Seeweg nicht erreichbar sind.

Ein weiterer Grund, warum China nach einer Alternative zur maritimen Logistik sucht, ist das Dichte- und Containerproblem in den Häfen. Mit Schließung des Nordkorridors werden sich durch die Verdichtung der Häfen die bestehenden Probleme in der Produktversorgungskette verschärfen. Dadurch werden die Logistikkosten noch weiter steigen und die Lieferzeiten länger. Gibt es also eine alternative Route für den Nordkorridor?

Nordkorridor raus – Mittelkorridor rein

Die neue Situation nach dem Ukrainekrieg ließ Alternativen außerhalb des Nordkorridors an Bedeutung gewinnen. Die prominenteste Route unter diesen Alternativen ist der Zentralkorridor der chinesischen Gürtel- und Straßeninitiative, auch bekannt als Korridor Zentralasien-Westasien. Die aktuelle Konjunkturlage wird den Mittleren Korridor in den kommenden Monaten und Jahren zu einer der wichtigsten Handelsrouten zwischen der EU und China machen.

Die neue, alternative Route in die Mitte Europas, der mittlere Korridor, verbindet China und Europa über die Türkei. Unternehmen, die keine Fracht durch Russland transportieren möchten, suchen nach Transportlösungen über den Mittleren Korridor und von der Türkei aus weiter nach Europa. Einer der wichtigsten Pfeiler dieses Korridors ist die Türkei. Die Bedeutung des mittleren Korridors im Handel zwischen der EU und China hängt davon ab, wie entwickelt die logistische Infrastruktur der Länder in diesem Korridor ist.

Kann die Türkei eine Logistikdrehscheibe im mittleren Korridor sein?

Die neuen geopolitischen und geoökonomischen Realitäten, die nach dem Ukrainekrieg entstanden sind, bieten der Türkei eine unerwartete Gelegenheit. Die kürzlich getätigten großen Infrastrukturinvestitionen haben auch die Rolle der Türkei als Logistikdrehscheibe und Lieferant gestärkt.

Zu den wichtigsten dieser Infrastrukturprojekte gehören die Marmaray-Unterwasserbahn, der Flughafen Istanbul, der Eurasia-Tunnel und die dritte Istanbul-Brücke, die Europa und Asien durch Istanbul verbindet, der Northern Marmara Highway und die Osmangazi-Brücke. Mit dem Abschluss des Autobahnprojekts Ankara-Niğde ist die Ost-West-Region der Türkei nun vollständig über eine Autobahn verbunden. Die 450 Kilometer lange Eisenbahnlinie Samsun-Sivas auf der Verbindungslinie zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer wurde erneuert. Abgesehen davon sind die Hochgeschwindigkeitsbahnprojekte Edirne-Kars, Ankara-Gaziantep und Ankara-İzmir im Gange. Die Investitionskosten dieser Projekte belaufen sich auf mehrere zehn Milliarden Dollar.

Die Çanakkale-Brücke, die vorletzte Woche eröffnet wurde, verbindet erneut die Kontinente Asien und Europa. Abgesehen davon laufen neue Hafen- oder Hafenerweiterungsprojekte sowohl im Schwarzen Meer, in Istanbul als auch im Mittelmeer. Die 10 im Bau befindlichen Logistikdörfer sind weitere Investitionen, welche die Vision eines Logistikzentrums in der Türkei unterstützen.

Nach all diesen Infrastrukturinvestitionen wurde der Handel zwischen dem Osten und dem Westen der Türkei erleichtert. Die Türkei hat einen wichtigen Vorteil erlangt, um eine Produktionsbasis zu werden. So traf beispielsweise der erste chinesische Güterzug, der den Mittleren Korridor nutzte, im November 2019 in der Türkei ein.

Diese Logistikkorridore werden jedoch nicht nur für Importe genutzt. Der erste Güterzug aus der Türkei auf derselben Route traf im Dezember 2020 in China ein.

Die neuen Realitäten, die mit dem Krieg in der Ukraine entstanden, brachten die Türkei in Bezug auf Logistik und Versorgung an einen sehr wichtigen Punkt unter den Entscheidungsträgern. In Anbetracht des Handels der EU mit Zentralasien und China kann erwartet werden, dass die Türkei in ihrer derzeitigen Position eine vertiefte Zusammenarbeit sowohl mit der EU als auch mit China eingeht. Nicht nur der Handel zwischen der EU und der Türkei, sondern auch der Handel zwischen der EU und Zentralasien und Asien; Land-, See- und Eisenbahnverbindungen werden an Bedeutung gewinnen.

Die Erhöhung der Funktionalität des Mittleren Korridors, dessen wichtigster Partner die Türkei ist, wird nicht so einfach sein. Denn in diesem Korridor müssen große Investitionen in die Logistikinfrastruktur anderer Länder als der Türkei getätigt werden. Dies erfordert umfangreiche Investitionen, die kosten- und zeitintensiv sind.

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