Ankara: Türkiye-Bericht des EU-Parlaments basiert auf „Desinformation“ / Photo: AA (AA)
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In jüngster Zeit hat sich die Haltung des Westens gegenüber Türkiye zu einem institutionalisierten Reflex entwickelt. Dieser Reflex, der zeitglich mit den autonomen außenpolitischen Forderungen Ankaras seit den 2010er Jahren begann, hat sich in fast jedem Kontext bemerkbar gemacht. Der zuletzt im EU-Parlament mit großer Mehrheit angenommene Türkiye-Bericht zeigt, dass sich der langjährige Trend nicht geändert hat.

Wenn man die Details des umstrittenen Berichts analysiert, fällt die vermeintliche Feststellung auf, dass Türkiye unter den derzeitigen Bedingungen nicht in die EU aufgenommen werden könne. Obwohl der Beitrittsprozess keine positive Vergangenheit aufweist, ist das Bestreben von Türkiye, an der Vision einer Mitgliedschaft festzuhalten, für die Aufrechterhaltung der diplomatischen Kanäle von Bedeutung.

Die Behauptung des Berichts, Türkiye könne unter den derzeitigen Bedingungen nicht Mitglied der EU werden, fußt aus Sicht von Türkiye auf keiner vernünftigen und rationalen Begründung. So wird in dem Bericht geurteilt, dass die derzeitige politische Haltung Ankaras die „gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ der EU gefährde. Zudem wird behauptet, dass unter allen Beitrittskandidaten Türkiye die geringste Bindung an die gemeinsame Politik aufweise und somit aus Sicht der EU eine Gefahr darstelle.

Irrationale Aussagen

Wenn man die Titel des von dem Türkiye-Berichterstatter Nacho Sanchez Amor erstellten Berichts genau analysiert, wird sich auch zeigen, wie aussagekräftig die Behauptungen in Bezug auf ihren Ausgangspunkt sind. So wird beispielsweise die „Kurdenfrage“, die in Türkiye lange ein Problem darstellte, als ein möglicher Krisenherd dargestellt. Deshalb müssten alle Parteien zur Lösung des Problems zusammenkommen.

Doch mit dem Öffnungsprozess, der in den 2010er Jahren begann, wurden bereits zahlreiche Schritte zur Förderung der kurdischen Sprache sowie zur Beseitigung rechtlicher Hindernisse unternommen. Es wurde etwa der Sender TRT Kurdi gegründet, zudem wurden kurdische Institute ins Leben gerufen.

Ein weiterer Kritikpunkt des Berichts ist die Haltung Ankaras zur NATO-Mitgliedschaft Schwedens. Die Verfasser ignorieren die Rechtfertigungen Ankaras in dieser Frage sowie den Grundsatz der Gegenseitigkeit der Forderungen. Türkiye hatte während des Verhandlungsprozesses konkrete Forderungen an Schweden gerichtet und im Gegenzug Unterstützung für den Beitrittsprozess zugesichert. Außerdem wurden in der Frage der schwedischen Mitgliedschaft wichtige Schritte unternommen – und der Prozess hat in Türkiye das parlamentarische Stadium erreicht.

Kritik an der Außenpolitik

Ein immer wieder hervorgehobener Punkt in dem Bericht ist die autonome Haltung Ankaras in seiner außenpolitischen Ausrichtung. Die Kritik richtet sich hierbei an die souveräne Politik, die sich auf die eigenen Interessen des Landes konzentriert. Im Fokus steht auch die regionale und globale Rolle von Türkiye.

So geht der Bericht mit der Rolle von Türkiye in Syrien, Libyen und im Irak hart ins Gericht. Es wird zudem betont, dass sich die Außenpolitik von Türkiye von jener der EU grundlegend unterscheide. Die Kritik an den türkischen Militäroperationen zur Etablierung einer Sicherheitszone in Syrien und zur Wahrung der nationalen Sicherheit ignoriert die Tatsache, dass die türkischen Sicherheitsinteressen bedroht werden.

Die Bemühungen von Türkiye in Libyen verhinderten einen weiteren Bürgerkrieg mit einer möglichen Diktatur als Folge. Zudem garantierten die Ende 2020 mit Libyen unterzeichneten Verträge weitere Zugewinne bezüglich der Energiefrage im östlichen Mittelmeer.

Ein weiterer Kritikpunkt des umstrittenen EU-Berichts ist die Zypern-Politik Ankaras. Es wird behauptet, dass eine „Föderation“ mit zwei Völkern die einzige Lösung für Zypern darstelle. Und dieser Lösungsweg wird Türkiye aufgedrängt. Doch die Forderungen der Zyperntürken bei den mehr als 50-jährigen Verhandlungen zur Zypernfrage zu ignorieren, wird mit Sicherheit nicht zu einer Lösung beitragen.

Kritisiert werden in dem Bericht auch die diplomatischen Beziehungen zwischen Türkiye und Russland, die aus einer anderen Perspektive betrachtet zur Konfliktlösung und zum Weltfrieden beitragen. „Türkiye sollte es vermeiden, ein Zufluchtsort für russische Investitionen und russisches Kapital zu werden“, heißt es darin. Ziel ist also die Position von Türkiye als Alternative für Russland zu untergraben. Zudem wird die Zusammenarbeit zur Errichtung von Kernkraftwerken als „besorgniserregend“ bezeichnet und die Russland-Politik Ankaras als Ganzes undifferenziert kritisiert.

Die Vermittlerrolle Ankaras, die mit der Invasion Russlands in die Ukraine begonnen hatte, führte vielleicht nicht zum Ende des Krieges, begünstigte aber die Entstehung des Getreide-Abkommens. Dieses ist in globaler Hinsicht eine Errungenschaft. Dank der Vorreiterrolle von Türkiye konnten im Rahmen dieses Abkommens 33 Millionen Tonnen Getreide exportiert werden. Größere Krisen in Bezug auf Nahrungsmittelknappheit konnten verhindert werden.

Ist eine neue Phase möglich?

Dieser Bericht, den Ankara als Enttäuschung sieht, trägt offensichtlich nicht zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Türkiye und der EU bei. Es ist daher nicht abwegig vorauszusagen, dass diese Haltung gegenüber dem strategischen Partner Türkiye negative Folgen für die bilateralen Beziehungen mit sich bringen wird.

Vor diesem Ausblick ist die Warnung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, dass sich die Wege zwischen Türkiye und der EU trennen könnten, sollte die EU an ihrer negativen Haltung gegenüber Türkiye festhalten, besonders wichtig. Vor allem deswegen ist auch die EU-Mitgliedschaft, auf die Türkiye so sehr pocht, für eine Fortsetzung der bilateralen Beziehungen von Bedeutung. Auch wenn der Bericht eine neue Phase im Beitrittsprozess als unmöglich erachtet, wird Ankara kaum von seiner klaren Haltung abweichen.


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